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Interview mit Kardinal Woelki: "Habenwollen darf kein Götzendienst werden"

Der neue Papst fordert eine "Kirche für die Armen". Was folgt daraus? Ein Gespräch mit dem Berliner Erzbischof Rainer Maria Woelki über Reichtum, Suppenküchen – und Franziskus in der U-Bahn.

Herr Kardinal, müssen die deutschen Bischöfe jetzt ihre schönen Dienstwagen stehen lassen und nach dem Vorbild des neuen Papstes mit der U-Bahn fahren?

Wo es möglich ist, nehmen deutsche Bischöfe den Zug oder die U-Bahn, und der Papst nimmt auch mal den Dienstwagen. Für mich ist er ein notwendiges Arbeitsgerät, oft geht es zeitlich gar nicht anders – gerade wenn ich nach Brandenburg oder Vorpommern fahren will.

Franziskus will eine „arme Kirche für die Armen“. Was folgt daraus für das Verhältnis der Kirche zu Reichtum und Besitz?

Wo wir als Kirche – wie in Deutschland – Vermögen, Gebäude und Grundstücke besitzen, dürfen sie nur dazu dienen, unseren Auftrag wahrzunehmen. Dazu gehört die Sorge um sozial benachteiligte Menschen. Entscheidend ist also, wofür wir Reichtum und Besitz einsetzen. Wir können auch nicht einfach unsere Kirchen aufgeben oder Kunstschätze aus den Vatikanischen Museen verkaufen. Da haben wir auch eine kulturelle und soziale Verantwortung. Würden wir Kunstschätze an einige reiche Sammler verkaufen, wäre die Kunst, an der sich viele erfreuen, wieder nur für einige wenige zu haben. Besitz darf nie zum Selbstzweck werden. Wir müssen sehr genau unterscheiden, wo Besitzen- und Habenwollen zur Habsucht wird und damit zum Götzendienst, und wo Besitz und Haben in sozialer Verantwortung verwendet wird.

Die Kirche in Deutschland hat es sich in der Bürgerlichkeit gemütlich gemacht. Stört Franziskus nun dabei?

Er stört und verunsichert in einem guten Sinn. Es wird jetzt darum gehen, die Zeichen, die er gesetzt hat, in unsere kulturell und politisch gewachsene Situation zu übersetzen. Wir werden auch in Deutschland deutlich machen, worum es uns als Kirche wirklich geht: Dass wir nicht von einem Mehr an Geld und Besitz leben, sondern von einem Mehr an sozialer Gerechtigkeit und einem Mehr an Liebe, also von dem, was unbezahlbar ist.

Ist da die Finanzierung über ein automatisiertes, für die Kirchen bequemes Kirchensteuersystem noch angemessen?

Es ist ein bewährtes System, durch das die Kirchenmitglieder einen Beitrag leisten zur Aufrechterhaltung von kirchlichem Engagement. Dadurch tun sie auch etwas für die Allgemeinheit. Wir investieren Kirchensteuermittel zum Beispiel in die allgemeine Sozialberatung, wo jeder mit seinen Sorgen und Nöten kommen kann, in die Schuldnerberatung, Kleiderkammern oder das Frauenhaus. Aber auch unsere Kindertagesstätten und Schulen könnten wir nicht ohne Kirchensteuermittel aufrechterhalten. Die Kirchensteuer ist kein Privileg, sondern eine Einrichtung, mit der wir neben innerkirchlichen Aufgaben gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.

Aber das meiste Geld für diese Arbeit der Kirchen kommt doch vom Staat.

Das ist in vielen Fällen richtig. Kirchliche Träger übernehmen im sozialen und Bildungsbereich Aufgaben, für die sie eine staatliche Refinanzierung bekommen. Aber oft reicht sie nicht aus, und andere Dienste wie die Obdachlosen-Medizin oder die Seelsorge in unseren Krankenhäusern leisten wir auch ohne Refinanzierung. Das geht nur mit Kirchensteuer.

Wo beginnt für Sie Armut? Beim Existenzminimum von 677 Euro im Monat?

Armut ist ein schillernder Begriff. Es gibt neben der sozialen und wirtschaftlichen Armut auch Kinderarmut, Bildungsarmut und eine Armut an Glück.

Sprechen wir von wirtschaftlicher Armut.

Überall im Erzbistum Berlin, also auch in Brandenburg und Vorpommern, liegt der Anteil wirtschaftlich armer Menschen höher als im Bundesdurchschnitt. Da müssen wir den Finger in die Wunde legen und auch die entsprechenden sozialpolitischen Maßnahmen fordern. In Lichtenberg zum Beispiel wurde ein bewährtes Kinder- und Jugendhilfeprogramm der Caritas fast eingestellt, weil sich die Politik im Sparen übertrumpfen wollte. Da haben wir auch entsprechende Proteste organisiert, das Ergebnis ist offen.

Helfen Suppenküchen? Oder muss man das Problem tiefer angehen: bei der ungleichen Verteilung von Vermögen?

Natürlich, der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass die Kluft hier immer größer wird. Mit Blick auf die Einkommen ist eine Angleichung erfolgt, aber nicht, was die Vermögen angeht. Es kann nicht sein, dass nur etwa zehn Prozent der reichsten deutschen Haushalte 58 Prozent des Privatvermögens besitzen.

Sollte diese Gruppe mehr Steuern zahlen?

Es muss eine stärkere Besteuerung der Vermögen, beispielsweise über die Erbschaftssteuer, gefunden werden und ein stärkerer sozialer Ausgleich. Wir müssen uns auch einsetzen für Langzeitarbeitslose. Die Arbeitslosenzahl ist zwar zurückgegangen, doch seit der Einführung von Hartz IV ist die Zahl der Hilfeempfänger nicht geringer geworden. Damit dürfen wir uns nicht abfinden. Damit einhergeht auch eine Wohnungsarmut. Von den 1,2 Millionen Wohnungen, die 2011 im Berliner Mietspiegel erfasst waren, sind 335 000 mit einfacher Wohnlage ausgewiesen. Dem stehen 373 000 Hartz-IV- Haushalte und weitere 500 000 Haushalte mit geringem Einkommen gegenüber. Diese Personengruppen konkurrieren schon seit längerem um den immer knapper werdenden preiswerten Wohnraum. Dazu kommen in Berlin rund 10 000 wohnungslose Menschen. Die Gefahr ist groß, dass viele aus dem Zentrum an den Stadtrand gedrängt werden, wie in anderen europäischen Großstädten auch.

Andererseits kassieren die wenigen Spitzenmanager immer höhere Gehälter.

Früher konnten Manager gut von 500 000 Euro Jahreseinkommen leben, ohne dass sie Hunger leiden mussten. Ich kann nicht nachvollziehen, dass es heute zwei, drei und fünf Millionen Euro sein müssen. Das steht in keinem Verhältnis mehr zur Leistung oder anderen Einkommen.

Muss die Kirche den Kapitalismus grundsätzlich infrage stellen?

Wir haben mit der sozialen Marktwirtschaft ein gutes System. Aber wir müssen es wiederbeleben. Es braucht einen Perspektivwechsel: Es geht nicht nur darum, dass es mir gut geht. Wir müssen deutlich machen, dass dort, wo Gehälter und Einkommen gerechter verteilt sind, auch der soziale Friede größer ist. Leistung soll belohnt werden, keine Frage. Es wird auch immer Unterschiede geben. Aber Menschen müssen von ihrer Hände Arbeit leben können.

Im Herbst ist Bundestagswahl. Früher gab es von der Kirche Wahlempfehlungen …

Wir müssen unsere Stimme dort erheben, wo Menschen in ihrer Existenz bedroht sind – am Anfang und am Ende des Lebens, aber auch, was die Herausforderungen des demografischen Wandels und den gerechten Zugang zu den Segnungen unsres Gesundheitssystems angeht. Es darf nicht so weit kommen, dass sich die Reichen eine Medizin erster Klasse leisten können und die anderen nur eine zweiter oder dritter Klasse.

Sind Sie denn froh, dass sich mit der Union wenigstens noch eine Partei für die traditionelle Familie starkmacht?

Unsere Gesellschaft lebt von der Familie als Keimzelle, und dieses Lebensmodell hat Erhebliches für unser Zusammenleben geleistet. Deshalb glaube ich, dass die Familie, wie vom Grundgesetz festgelegt, auch weiter gefördert werden muss. Wenn Sie junge Menschen fragen, was für sie ein gelingendes Leben ausmacht, dann ist es für sie immer wichtig, in stabilen Beziehungen zu leben.

Auch eine Homo-Ehe kann stabil sein ...

Für uns als katholische Kirche ist die Ehe eindeutig beschränkt auf die sakramentale Beziehung zwischen Mann und Frau. Ich wende mich insofern sehr eindeutig gegen eine Ausweitung des Ehe- oder Familienbegriffes.

Was ist aus Kirchensicht wichtiger für die Wahlentscheidung: Familien- und Lebensschutz oder mehr soziale Gerechtigkeit?

Ich gebe keine Wahlempfehlungen und bewerte keine Parteiprogramme. Für uns als Kirche sind der Schutz des Lebens und der besondere Schutz von Ehe und Familie genauso wichtig wie soziale Gerechtigkeit. In allen demokratischen Parteien sind Christen engagiert. Genauso muss jeder Christ selbst entscheiden, welche Partei er wählt.

Ein anderes Debattenthema sind Frauen-Quoten für die Wirtschaft. Braucht es eine solche Quote auch für das Unternehmen Kirche?

Ich bin gegen eine feste Quote und dafür, bestehende Möglichkeiten zu nutzen. Im Vergleich zu politischen Parteien und Wirtschaftsunternehmen stehen wir gar nicht so schlecht da. Wenn Sie an Pflegedienstleitungen in Krankenhäusern, Lehrerinnen, an die Präsidentin der katholischen Hochschule oder an die Berliner Caritas-Direktorin denken ...

Uns ist nur diese einzige Caritas-Chefin bekannt.

Mindestens in Hamburg gibt es jetzt auch eine Caritas-Direktorin, wir lassen uns aber auch gern drängen. Ich selbst lege großen Wert darauf, auch kirchliche Leitungspositionen mit Frauen zu besetzen. Ich sehe uns da auf einem guten Weg.

Kirchenrechtlich wäre es auch möglich, Frauen zu Kardinälen zu ernennen.

Sie haben recht: Auch auf der Ebene der Weltkirche müssen Frauen stärker in die Verantwortung eingebunden werden. Der Papst braucht gute Beratung und man sollte gut überlegen, wie die Beratungsgremien im Vatikan künftig besetzt sein sollen. Das Kardinalskollegium würde ich nicht überschätzen. Wir haben die Tage vor dem Konklave dringend gebraucht, um uns erst mal kennenzulernen.

Das Gespräch führten Claudia Keller und Rainer Woratschka. Das Foto machte Thilo Rückeis.

FRISCH

1956 in Köln als Kind Heimatvertriebener geboren, hat Woelki die längste Zeit seines Lebens im Rheinland verbracht – als Priester, Kaplan, Geheimsekretär, Weihbischof. Seit 2011 bringt er als Erzbischof neuen Elan ins geistlich und finanziell ausgedörrte Berliner Bistum. 2012 wurde er mit erst 55 Kardinal.

FROMM 

Woelki vertritt die Lehre der Kirche und ist von tiefer Frömmigkeit geprägt. Er gehört theologisch aber nicht zu den Engherzigen, wie Äußerungen zur Homosexualität zeigten.

FRÖHLICH

Er begegnet Menschen offen, geduldig und mit rheinisch-selbstironischem Humor. clk

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