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Interview mit Klaus Mertes: „Der Papst ist nicht der Inbegriff des Christlichen“

Jesuitenpater Klaus Mertes erklärt, warum der Machtverzicht von Benedikt XVI. ein heilsames Signal ist und das starre Festhalten an „Pseudo-Klarheiten“ die Botschaft der Bibel entstellt.

Pater Mertes, haben Sie den Papst gestürzt?

(lacht) Sicher war der Missbrauchsskandal, ohne dass ich das intendiert hätte, ein prägendes Ereignis für Papst Benedikt. Das Ausmaß auch in der deutschen Kirche hat ihn erschüttert.

Ist es gut, dass er zurückgetreten ist? 

Ja, das war mutig. Er hat dadurch einen Gegenakzent gesetzt zur Tendenz, Person und Amt symbiotisch zu vereinen. Der Anspruch, dass die ganze Kirche von der Glaubwürdigkeit der Person im Spitzenamt abhängig ist, entspricht nicht der katholischen Tradition. Es ist auch gefährlich, weil es nach hinten losgehen kann.

Wollte Benedikt den Hinweis geben: Ihr Päpste, nehmt euch nicht so wichtig?

Die Botschaft lautet Machtverzicht, Verzicht, im Mittelpunkt zu stehen und wichtig zu sein. An diesem Schritt können sich auch Bischöfe und Gemeindepriester ein Beispiel nehmen. Wer nah bei den Machtlosen sein will, muss erst mal selbst auf Macht verzichten. Jesus hat sich eben nicht zum König krönen lassen.

In der Politik gibt es viele Rücktritte. Wird man künftig auch bei jedem Papst fragen: Wie lange funktioniert er noch?

Die Kurie wird sich genau darüber Gedanken machen müssen. Diese Fragen ermöglichen Strukturreformen.

Ist diese Funktionalisierung nicht traurig? Weil sie die Aura des Amtes schmälert?

Die Aura war sowieso hochambivalent. Der Papst ist nicht der Inbegriff des Christlichen. Das sind die Christen, die das Evangelium leben und vor allem Christus selbst. Die Fixierung auf den Papst ist eine Verengung, eine Verfremdung des Christentums.

Wir leben in einer Welt, in der sich Positionen über Personen vermitteln. Was ist falsch daran, wenn der Glaube sich über Personen vermittelt?

Nichts. Aber das muss nicht die Person des Papstes sein. Mutter Teresa in Kalkutta repräsentierte das Christentum vielleicht noch besser. Wenn man das Religiöse an eine Superperson delegiert, ist das natürlich auch entlastend: Dann können sich alle anderen zurücklehnen.

Der Krakauer Kardinal Stanislaw Dziwisz hat Benedikt hinterhergerufen: „Vom Kreuz steigt man nicht herunter.“ Haben Sie dafür Verständnis?

Das befremdet mich. Jesus hat sich nicht freiwillig kreuzigen lassen. Ihm nachzufolgen heißt nicht, Leiden, das ich vermeiden kann, trotzdem anzunehmen – es sei denn für etwas, für das es sich wirklich zu leiden und zu sterben lohnt.

Masochismus gilt nicht?

Ich hatte Probleme mit der Art, wie Johannes Paul II. sein Altern vorlebte. Da war – gerade auch bei einigen Bewunderern – etwas von einer Leidensmystik drin, die Leiden als Leistung versteht. Noch mal: Jesus hat sich nicht kreuzigen lassen, weil er es wollte, sondern weil der Vater im Himmel es wollte. Bei Johannes Paul II. hatte ich manchmal den Eindruck, dass der eigene Willensakt sehr stark im Vordergrund stand.

Was erwarten Sie vom nächsten Papst?

Wir haben zwei Pontifikate hinter uns, in denen das innere Regiment der Kirche nicht im Vordergrund stand. Ich wünsche mir jetzt jemanden mit Verwaltungs- und Regierungskompetenz. Es ist zweitrangig, ob das ein Afrikaner, Latino oder Europäer ist. Der vatikanische Apparat braucht Führung, wie zuletzt Vatileaks gezeigt hat. Die informellen Zirkel und Denunziationskanäle müssen durch transparente Verfahren ersetzt werden. In der Kirche muss neues Vertrauen aufgebaut werden.

Was bedeutet Benedikts Rückzug für die deutsche Kirche?

Es entlastet den deutschen Katholizismus. Durch die Schlagzeile „Wir sind Papst“ wurden falsche Erwartungen geweckt, als ob wir einen besonderen Zugang zu Rom und zum Papst hätten. Damit ist jetzt Schluss.

Viele trauern jetzt erst mal. Die CSU hat beim Aschermittwoch getrotzt, Benedikt sei und bleibe der bayerische Papst!

So was ist doch richtig peinlich! Da wird Benedikt zum Double von Johannes Paul II. gemacht, der nun wirklich für seine polnische Nation eine historische Figur war. Jetzt wird Benedikt instrumentalisiert für bayerisches Lebensgefühl, und dann auch noch in Wahlkampfzeiten für die CSU.

Aber sind die Fragen, die uns hier umtreiben, die Sexualmoral, die Rolle der Frauen in der Kirche, aus dem Blickwinkel der übrigen Welt nicht ziemlich randständig?

Natürlich gibt es Unterschiede in den Ländern und Kontinenten. In Afrika spielen Fragen wie Polygamie oder der Umgang mit dem Hexenglauben eine große Rolle. Aber auch dort ist es zum Beispiel schwierig, Verständnis für den Zölibat oder das Kondomverbot durchzusetzen. Die These von den speziell deutschen Themen riecht nach Vermeidungsstrategie. Gewalt gegen Frauen, die hässliche Fratze des Patriarchats, das sind längst globale Themen. Es gibt katholische Bischöfe auf anderen Kontinenten, die für Homosexuelle die Todesstrafe fordern. Die Kirche wird gar nicht darum herumkommen, darüber einen weltweiten Streit zu führen.

Der Kölner Kardinal Joachim Meisner hat „Katholikenphobie“ in Deutschland ausgemacht. Fühlen Sie sich verfolgt?

Nein. Wer sich als Katholik hierzulande verfolgt fühlt, hat ein Wahrnehmungsproblem. Das kommt davon, wenn jemand bestimmte Realitäten dauerhaft nicht an sich heranlässt.

Als der massenhafte Missbrauch von Klerikern an Schutzbefohlenen bekannt wurde, wäre das ja eine Chance zur Veränderung gewesen. Wo stehen wir da?

Noch am Anfang. Bevor man etwas verändert, muss man die Realität wahrnehmen. Der Missbrauch und das Vertuschen ist eine derart monströse Form des Machtmissbrauchs, dass es sich nicht vermeiden lässt, ihn wahrzunehmen. Das ist geschehen. Jetzt ist die Frage: Wie viele Sehblockaden sprengt das Hinschauen auf den Missbrauch noch?

Aber ist dieser Effekt überhaupt eingetreten in der katholischen Kirche?

In den USA hat es drei Aufklärungswellen gegeben. Das hat 15 Jahre gedauert. Aber weil es den Missbrauch überall gab und gibt, wird sich das Erschrecken globalisieren. Weitere Sehblockaden abzuarbeiten, wird eine der wichtigen Aufgaben des nächsten Papstes sein.

Benedikt hinterlässt da eine Baustelle?

Er hat die Kirche für das Thema geöffnet. Er wollte Aufklärung. Seine Schwäche war vielleicht, zu sehr nur das Versagen von einzelnen Personen zu sehen und nicht die systemischen Hintergründe, die solche Taten und die Vertuschung begünstigen.

Vielleicht auch, weil in seiner Theologie das Übel der Welt aus dem Mangel an Glauben rührt?

Benedikt will die kirchliche Lehre stärken. Aber viele Opfer sagen, die Lehre ist mit schuld: Ich bin nicht nur missbraucht worden, sondern habe mich obendrein jahrzehntelang als Todsünder gefühlt.

Das müsste ein Nachfolger aufbrechen?

Er wird nicht darum herumkommen. Sollte  Benedikts Nachfolger einer der Sorte sein, die das für überflüssiges Geschwätz der Welt halten, dann wird es eben dessen Nachfolger tun müssen. Den Missbrauch zu verschweigen, würde die Kirche von innen her kaputt machen.

Ihr Optimismus in Ehren – aber die deutsche Kirche hat gerade die wissenschaftliche Aufarbeitung abgebrochen!

Das ist für mich kein Drama. Das Projekt war von Anfang an von beiden Seiten her unterkomplex angelegt. Der erste Schritt ist Aufklärung, also festzuhalten, was tatsächlich geschehen ist. Das muss in der direkten Begegnung zwischen Kirche und Opfern erfolgen. Die Bischofskonferenz hat versucht, diesen Schritt an ein wissenschaftliches Institut auszulagern. Dazu war es zu früh.

Welchen Rat würden Sie geben?

Wir müssen anfangen, über eigenes Versagen zu sprechen, jeweils in der ersten Person Singular. Warum müssen wir vor uns selbst, voreinander und vor Gott immer als die Unschuldigen dastehen? Die christliche Botschaft lautet doch: Schlimmer als schuldig zu werden, ist die Angst davor, Schuld zuzugeben. Und: Wagt etwas, auch wenn es vielleicht schiefgeht. Wenn Fehlervermeidung unser Hauptanliegen wird, enden wir in der Selbstgerechtigkeitsfalle.

Könnte sich Benedikts Rücktritt auch in dieser Hinsicht als heilsam erweisen?

Mit diesem Schritt ist Benedikt ein Risiko eingegangen. Die letzten Wochen haben ein beschämendes Gegenbeispiel gezeigt, was passiert, wenn es einem vor allem darum geht, Risiken zu vermeiden und Regeln zu befolgen: Der pseudo- klare Umgang mit der „Pille danach“, das ist eben so, als ob Jesus zu dem Kranken gesagt hätte: Ich kann dich jetzt leider nicht heilen, weil Sabbat ist.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Claudia Keller. Das Foto machte Mike Wolff.

DER JESUIT

Klaus Mertes wurde 1954 in eine Diplomatenfamilie geboren und besuchte in Bonn das von Jesuiten geleitete Aloisiuskolleg. Mit 23 Jahren trat er in den Jesuitenorden ein. Die ignatianische Pädagogik, mit dem Ziel, die Schüler zu selbstständigem Denken zu erziehen, überzeugte ihn. Er wurde selbst Lehrer.

DER WIDERSTÄNDIGE

Ihn treibt die Frage um, wie in Systemen mit Macht und Autorität umgegangen wird. „Wo Kritik als Majestätsbeleidigung gilt, rieche ich die Anfälligkeit für Machtmissbrauch“, sagte er einmal.

DER AUFKLÄRER

Als Rektor des Berliner Canisius-Kollegs machte er 2010 die ersten Missbrauchsfälle öffentlich. Für seine Bemühungen um die Aufklärung des Missbrauchs zeichnete ihn die SPD mit dem Gustav-Heinemann-Bürgerpreis aus. Seit 2011 ist er Direktor des Kollegs St. Blasien

im Schwarzwald.

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