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Island-Wolke: Europas Flugverkehr lahmgelegt

Der Vulkan auf Island spuckt unvermindert seine Asche in die Atmosphäre. Die Aschewolke legt Europas Flugverkehr lahm – mit immensen Folgen.

Die Eruption des Eyjafjöll dauert an. Seit Mittwoch spuckt der Vulkan in Südisland Unmengen giftiger Asche in die Atmosphäre. Der Wind bläst diese Wolke laut isländischer Wetterstation weiter gen Süden, hüllt immer größere Teile Europas ein und stoppt den Flugverkehr. Denn die Asche kann die Flugdüsen zum Totalstopp bringen.

Wie ist die Lage in Island?

Die Evakuierung in der Umgebung des Vulkans wurde wieder aufgehoben. Bis auf 20 konnten alle 800 Betroffenen in ihre Häuser zurückkehren. Nach Angaben des Meteorologischen Instituts in Reykjavik gibt es jedoch keine Anzeichen, dass der Ausbruch bald vorüber sei. Experten warnen, dass die Austrittsstelle der Lava nicht die letzte sein wird. Die Insel ist von langen Brüchen durchzogen, in denen das Magma relativ leicht an die Oberfläche kommt. Verfolgt man diese Schwächezonen, auf der der Eyjafjöll sitzt, erreicht man bald die Katla, einer der aktivsten Vulkane Islands. Dort ist die Eisschicht noch um einiges dicker – die Folgen eines Ausbruchs wären noch dramatischer.

Die Eruptionswolke des Eyjafjöll reichte am Freitag bis zu fünf Kilometer weit in die Höhe. Am Vortag stieg sie bis elf Kilometer auf, wo sie von starken Westwinden aufgenommen und mit rund 200 Kilometer pro Stunde nach Europa getragen wurde.

Woraus besteht die Wolke?

An festen Bestandteilen enthält sie Aschepartikel. Das sind winzige Fetzen erstarrter Lava, die manchmal weniger als ein Hundertstel Millimeter messen. Hinzu kommen große Mengen Gasmoleküle, vor allem Wasserdampf, Schwefeldioxid und Kohlendioxid. „Man sollte sich nicht von den Computersimulationen täuschen lassen, in denen die Wolke als dunkler Fleck nach Europa zieht“, sagt Hans Volkert vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen. „Tatsächlich ist die Wolke kaum zu erkennen.

Wie lange bleibt die Wolke bestehen?

Solange die Eruption des Eyjafjöll andauert, bläst der Vulkan neues Material in die Atmosphäre. Die Wolke wächst. Andererseits verliert sie mit zunehmender Entfernung von ihrem Ursprungsort Substanz. Die feinen Aschepartikel halten sich nur einige Tage in der Troposphäre, der untersten Atmosphärenschicht, die bis in elf Kilometer Höhe reicht. Die Luftströmungen halten die Fragmente eine Zeitlang in der Schwebe, doch irgendwann unterliegen sie der Erdanziehungskraft. „Die größeren Partikel bis zu einem Zehntelmillimeter kommen in der Nähe des Vulkans wieder herunter, oft nach wenigen Stunden“, sagt Ottmar Möhler, Atmosphärenphysiker vom Karlsruhe-Institut für Technologie. Kleinere Bestandteile können einige Tage lang in der Luft bleiben und vom Wind über Tausende Kilometer verfrachtet werden.

Solange es trocken ist, wie derzeit in Mitteleuropa, bleiben die feinen Partikel länger in der Atmosphäre. Es dauert mehrere Monate, bis sich die Spur der Eruptionswolke dort ganz verliert.

Warum gefährdet die Wolke Flugzeuge?

Treffen die Aschepartikel auf den Rumpf einer Maschine, wirken sie dort wie Schmirgelpapier. Sie können die Außenhaut beschädigen und die Cockpitfenster so stark abreiben, dass die Sicht der Piloten extrem beeinträchtigt wird. Ferner besteht die Gefahr, dass die Partikel die zahlreichen Statik- und Drucköffnungen verstopfen, die eine wichtige Rolle beim Betrieb von Systemen und Instrumenten wie der Geschwindigkeitsermittlung, Hydraulik, Klimatisierung und Elektronik spielen. Die Partikel sind so winzig, dass sie durch klassische Filtersysteme nicht abgehalten werden.

Mit ihrem Wetterradar können die Piloten die Aschewolken aus dem Cockpit nicht voraussehen. Die Geräte sind dafür ausgelegt, aus Feuchtigkeit bestehende Wolken anzuzeigen und können die Asche nicht darstellen. Ihre Ausbreitung ist auch so groß, dass sie sich nicht wie eine Gewitterwolke umfliegen lässt.

Wie lange wird der Luftverkehr beeinträchtigt sein?

Für die nächsten zwei bis drei Tage zeichnet sich keine größere Änderung der Wetterlage ab, sagt Gerhard Lux vom Deutschen Wetterdienst. Ein zu dieser Jahreszeit eher seltenes Hochdruckgebiet über dem Nordatlantik ist verantwortlich dafür, dass die Wolke auf kürzestem Weg nach Europa geweht wird. Spuckt der Vulkan bei gleicher Wetterlage immer neue Asche, könnte die Situation „im schlimmsten Fall über Tage anhalten“, sagt Lux. Dann bliebe auch der europäische Luftraum in großen Teilen geschlossen.

Wie schnell kann sich der Luftverkehr nach Ende der Sperrung wieder normalisieren?

Nahezu alle großen europäischen Fluglinien und die wichtigsten Flughäfen des Kontinents sind betroffen. Nach Ende der Beschränkungen kann deshalb nicht sofort wieder mit dem planmäßigen Verkehr begonnen werden. Hauptproblem ist die Tatsache, dass die Flotten nach genau kalkulierten Umlaufplänen operieren. Bis die gestrandeten Maschinen und die dazu gehörenden Besatzungen alle wieder dort sind, wo sie nach Flugplan benötigt werden, können ebenfalls einige Tage vergehen.

Wer darf in Deutschland noch fliegen?

Polizei- und Rettungshubschrauber sind von der Sperrung des Luftraumes nicht betroffen. Sie operieren unter Sichtflugbedingungen in niedrigen Höhen und kommen deshalb nicht mit der Aschewolke in Kontakt. Auch Privatpiloten können unter Sichtflugregeln weiterhin starten, sagt Stefan Jaekel, Sprecher der Deutschen Flugsicherung in Berlin. Sie müssen sich aber zuvor beim zuständigen Kontrollturm melden und erklären, dass sie die neuesten Flugsicherheitshinweise gelesen haben und auf eigenes Risiko in die Luft gehen.

Gefährdet die Wolke die Gesundheit?

Keine schwarze Wolke am Himmel, kein Ascheregen in den Straßen: In 6000 bis 11 000 Metern Höhe treiben laut Deutschem Wetterdienst derzeit die Aschepartikel über Deutschland hinweg, zu hoch, um in die Atemluft zu geraten, nicht mal Allergiker sind gefährdet. Der Ruß sei „stark ausgedünnt“, sagt der Wetterdienst, man werde deshalb die Wolke in Berlin, Hamburg oder Frankfurt am Main nicht als solche wahrnehmen. Allenfalls würden Himmel und Sonne tagsüber ein bisschen milchiger oder dunstiger wirken als sonst. Und möglicherweise gibt es romantische Sonnenuntergänge. Denn die Aschepartikel filtern die blauen Anteile des Lichts heraus, was Rot und Orange verstärkt.

Die Meteorologen der Freien Universität Berlin kündigen fürs Wochenende eine Hochdrucklage mit Sonne und wolkenlosem Himmel an. Und nur Gewitterwolken, die 6000 bis 12 000 Meter in die Atmosphäre aufsteigen, könnten den Ruß erreichen und auswaschen, so dass er sich mit dem Regen niederschlägt.

Hat die Wolke Einfluss aufs Klima?

Große Vulkansausbrüche können das Klima merklich verändern. Der Ausbruch des Pinatubo auf den Philippinen 1991 zum Beispiel war so heftig, dass die Wolke die Grenze der Troposphäre überwand und bis ins darüberliegende Atmosphärenstockwerk, die Stratosphäre, vordrang. Dort wurde das Schwefeldioxid über komplexe chemische Vorgänge, an denen auch die UV-Strahlung der Sonne beteiligt war, zu Schwefelsäuretröpfchen umgewandelt. Obwohl nicht mal einen Tausendstelmillimeter groß, wirken die Tropfen wie kleine Sonnenschirme, die einen Teil des Sonnenlichts ins All zurückwerfen. Dadurch kommt weniger Energie bis zur Erdoberfläche, es wird um einige Zehntelgrad kälter.

Die Vorstellung, wonach der aktuelle Ausbruch des Eyjafjöll den hiesigen Sommer um ein Grad kühler machen könnte, wird in der Wissenschaft belächelt. Zum einen reichten die Eruptionswolken aus Island noch gar nicht in die Stratosphäre, zum anderen sei der Ausbruch von der Intensität her bislang „obere Mittelklasse, aber nicht mehr“. Allein lokale Einflüsse auf Island seien denkbar.

Schadet die Wolke der Wirtschaft?

Einig waren sich die großen Fluggesellschaften am Freitag darin, dass es eine solche Situation noch nie gegeben habe, uneinig aber in Sachen Folgekosten. Ein Ausfall von Flügen müsse nicht zwingend einen dauerhaften Verlust hunderttausender Kunden und einen damit verbundenen hohen Millionenschaden nach sich ziehen: Um Kunden zu halten, wollen sowohl Lufthansa als auch Air Berlin wie auch die meisten ihrer Konkurrenten kulant sein und den Kunden die Möglichkeit geben, die ausgefallenen Flüge kostenlos zu stornieren oder umzubuchen. Bis Ende Mai sei das möglich, teilte Lufthansa mit. Zwar verlor der Aktienkurs des Branchenführers bis zum Nachmittag gut zwei Prozent und damit mehr als alle anderen 30 im Dax notierten Konzerne, das war aber absolut im Rahmen eines normalen Handelstages.

Selbst wenn alle Kunden, die seit dem Vulkanausbruch nicht fliegen konnten, komplett stornieren, würde das Passagiervolumen im gesamten Quartal nur um 1,5 Prozent pro Tag sinken. Der Verlust könnte laut einer Luftfahrtexpertin bei Lufthansa etwa 15 Millionen Euro am Tag betragen.

Der Dachverband der europäischen Fluggesellschaften war weniger gelassen und rechnete vor, dass seine Mitglieder zusammengenommen täglich mehr als 100 Millionen Euro verlieren würden. Am Freitag seien rund 60 Prozent der Flüge ausgefallen. Zudem müssten die Airlines sich um die Unterbringung und Verpflegung von gestrandeten Gästen kümmern. Das könnte sich für die Reiseveranstalter zum Problem entwickeln – und am Ende für deren Kunden.

Deutschlands größtes Touristikunternehmen Tui teilte mit, dass man den Gästen in Ferienhotels, die nicht abfliegen können, bis zu zwei Übernachtungen zahle. Diese „Kulanzregelung“ ende am Samstag, erklärte ein Sprecher. Zusätzlich anfallende Kosten müssten dann gegebenenfalls die Reisenden tragen.

Auch für die Wirtschaft jenseits der Luftverkehrsbetriebe bedeutet die Einstellung des Flugverkehrs enorme Einschnitte. Transportfirmen mussten auf Straße und Schiene ausweichen. „Normalerweise haben wir an unserem Hauptdrehkreuz in Leipzig rund 100 Flugbewegungen am Tag. Die Sendungen müssen wir nun umleiten“, sagte ein Sprecher der Deutschen Post DHL. Es könne daher sein, dass Briefe und Pakete mit Verspätung ankommen. Der wirtschaftliche Schaden sei nicht bezifferbar.

Und wer profitiert?

Die Deutsche Bahn verzeichnete einen starken Passagierandrang, zusätzlich zum ohnehin hohen Verkehrsaufkommen vor dem Wochenende. Der Staatskonzern setze alle verfügbaren Züge ein, hieß es. Auch habe man zusätzliche Kräfte auf Bahnsteigen und in Reisezentren eingesetzt. Auf diese Situation habe man sich nicht vorbereiten können, sagte Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) forderte Bahn-Chef Rüdiger Grube per Telefon auf, alles zu tun, um den Verkehr in Deutschland so gut wie möglich aufrechtzuerhalten.

Gestrandete Reisende bemühten sich daneben um Mietwagen, selbst für Fahrten ins Ausland. Vermieter wie Sixt, Europcar und Avis registrierten eine deutlich höhere Nachfrage. Branchenführer Sixt stockte seine Fahrzeugflotte in Europa um bis zu 2000 Fahrzeuge auf.

Ein weiterer Profiteur des brachliegenden Flugverkehrs ist Regus. Der Vermieter von Videokonferenzräumen, der an 1000 Standorten in 80 Ländern vertreten ist, erwartet für den heutigen Samstag den Rekordumsatz seiner Unternehmensgeschichte. Seit Ausbruch des Vulkans seien die Buchungen für Videokonferenzen in Europa an einem Tag um zwölf Prozent gestiegen – in Großbritannien sogar um 38 Prozent.

Im herstellenden Gewerbe könnte es zu Engpässen kommen, da die auf Flugpläne abgestimmten Lieferfristen unterbrochen wurden. „Können etwa Ersatzteile nicht rechtzeitig geliefert werden, stehen in Fabriken bald die Räder still“, sagte Jens Nagel, Geschäftsführer beim Bundesverband des Groß- und Außenhandels. Auch Reparatureinsätze von spezialisiertem Personal gebe es derzeit nicht. „Kommen Ingenieure oder Mechaniker nicht an ihr Ziel, um eine Maschine zu reparieren, muss diese halt gestoppt werden.“

Mit Langzeitschäden sei nicht zu rechnen, sagt Harald Gleißner, Logistik-Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. „Die Ausfälle werden mit der Zeit wieder aufgeholt.“ Allenfalls die Versorgung mit Lebensmitteln, die per Flugzeug anreisen, könnte gestört werden. Doch da glaubt nicht mal Edeka dran, Deutschlands größter Einzelhändler.

Nicht ausgeschlossen ist, dass der Fernseh- und Satellitenempfang durch die Asche beeinträchtigt wird. Die Wirkung wäre ähnlich wie bei einem Gewitter oder einem Schneeschauer, hieß es beim Hihgtechverband Bitcom. In der nächsten Stufe wären dann GPS-Empfangssysteme sowie satellitengestützte Handys betroffen. Ein solches Szenario nannte Bitkom allerdings „eher unwahrscheinlich“.

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