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Panorama: Ist die Gemütlichkeit des Inseldaseins bald dahin?

KOPENHAGEN .Wer den schönsten Blick haben will, speist am besten im Blauen Salon des Nobelhotels Hesselet, wo sich gelegentlich auch EU-Unterhändler zu treffen pflegen.

Von Andreas Oswald

KOPENHAGEN .Wer den schönsten Blick haben will, speist am besten im Blauen Salon des Nobelhotels Hesselet, wo sich gelegentlich auch EU-Unterhändler zu treffen pflegen.Hier haben die Betrachterin und der Betrachter eine wunderbare Aussicht auf das Meer, über das sich die Brücke in einer großen eleganten Kurve schwingt.In der Ferne sind - mitten im Großen Belt - die beiden schlanken Türme zu sehen, die die größte Off-Shore-Hängebrücke der Welt tragen.Wer es ein paar Mark billiger haben will, steigt einfach in die Bahn.Sie bietet einen malerischen Blick, wenn sie in einer langgestreckten Kurve auf die Brücke fährt.

Wer vor der heutigen Eröffnung die seltene Gelegenheit hatte, als Fußgänger auf der Brücke zu verweilen, kam in den Genuß, sich einmal über die Brüstung lehnen zu können und sich die Türme und Seilkonstruktionen von Nahem anzusehen.Aber Fußgänger sind nach der Eröffnung nicht mehr zugelassen.Dann ist sie nur noch Autobahn, Traum all jener, die bald in einem Rutsch von Stockholm nach Neapel brausen können.

Wenn das Bauwerk heute von Königin Margrethe feierlich eröffnet wird, bricht für die Dänen - und nicht nur für sie - ein neues Zeitalter an.Die Brücke bedeutet nicht nur eine ingenieurtechnische Meisterleistung, mit der die geographischen Verhältnisse einer Weltregion grundlegend verändert werden, sie schafft zusammen mit einer weiteren Brücke einen völlig neuen Wirtschaftsraum, eine Art "Honkong des Nordens".

Vor allem aber wird die Brücke die Mentalität der Dänen in einer Weise verändern, die vielen überhaupt nicht recht sein wird."Die Gemütlichkeit wird durch Effizienz abgelöst", sagt Professor Bernd Henningsen vom Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität.Die Überquerung mit der Fähre von Fünen nach Seeland dauerte bislang etwa zwei Stunden.Mit dem Auto dauert sie zehn Minuten.Die Dänen sind es als Inselbewohner gewöhnt, auf Fähren zu warten und auf Fähren eine angenehme Zeit zu verbringen.Da unterhält man sich gemütlich mit Freunden und Bekannten und kommt bisweilen auch mit Fremden ins Gespräch.Viele mögen den Zeitgewinn durch die Brücke schätzen, sie verlieren dafür eine angenehme Befindlichkeit, die die Langsamkeit des Insel-Daseins mit sich bringt."Die Zeit- und Raumvorstellungen der Menschen ändern sich grundlegend", sagt Henningsen.Das hat auch viele angenehme Seiten.Durch die Brücke können Leute, die auf Fünen leben, abends nach Kopenhagen fahren, dort ins Theater gehen und anschließend wieder heimkehren.Früher mußten sie dafür in Kopenhagen übernachten.

Die Brücke wird nicht nur den Kopenhagener Theatern höhere Umsätze bescheren."Sie ist Teil eines großen ökonomischen Projekts, mit dem die Dänen zu einem wichtigen Mitspieler im globalen Wettbewerb werden wollen", sagt Uffe Paludan, Forschungsleiter des Instituts für Zukunftsforschung in Kopenhagen.Das einzige, was noch fehlt, ist die Brücke über dem Öresund, die Kopenhagen mit dem schwedischen Ballungszentrum Malmö verbinden wird.Schon im Jahr 2000 wird es soweit sein.Dann schaffen die beiden Brücken einen großen Arbeits-, Handels- und Wirtschaftsraum, in dem es keine Hindernisse mehr geben wird.

Das ist nur der Anfang.Mit den Brücken, dem Hafen, dem Flughafen und der Eisenbahn wird Kopenhagen als Zentrum des neuen Wirtschaftsraums zu einer idealen Handelsbasis für ganz Skandinavien, Norddeutschland, Polen, Baltikum und Rußland.

Firmen, die mit dieser Weltregion im Geschäft sein wollen, haben in Kopenhagen eine hervorragende Infrastruktur.Weltweit operierende Großkonzerne reagieren auf diese Entwicklung.Daimler-Benz hat vor sechs Wochen entschieden, den Hauptsitz für Skandinavien in die Nähe der Öresund-Brücke zu verlegen, weil dies ein optimaler Standort ist, um ganz Skandinavien zu versorgen und außerdem die Fühler nach Osteuropa auszustrecken.Die große skandinavische Fluggesellschaft SAS startet für ihre Interkontinentalflüge seit kurzem nicht mehr von Stockholm, sondern von Kopenhagen aus, sagt Niels Boserup, Chef des Kopenhagener Flughafens.Dessen Aktien haben in Erwartung der Entwicklung inzwischen derart schwindelerregende Höhen erreicht, daß selbst der Chef vom Kauf abrät.

Die Brücke über den Großen Belt ist nicht nur ein ästhetisches Meisterwerk, sondern auch ein technisches.Zwar wurde jüngst in Japan vor Kobe die größte Hängebrücke der Welt eingeweiht.Dagegen ist die dänische Brücke mit einer Spannweite von 1642 Metern nur die zweitgrößte.Aber die Japaner haben ihr Bauwerk an Land befestigt.Das kann jeder.Die Dänen haben ihre Hängekonstruktion dagegen vollständig im Meer verankert.Als solche Off-Shore-Brücke ist sie die größte der Welt.

Die Hängekonstruktion ist nur ein kleiner Teil des über 13 Kilometer langen Gesamtbauwerks.Es überquert zunächst als Flachbrücke den Großen Belt bis zu einer kleinen künstlichen Insel, wo die Eisenbahn in einen Tunnel fährt, während die Autofahrer weiterfahren und den eindrücklichen Hängebrückenabschnitt mit den 250 Meter hohen Türmen passieren.

Die Brücke, die Euphorie, die hochfliegenden Wirtschaftspläne - was ist in die Dänen gefahren? Das Land ist so klein, so hübsch, so ruhig, so abgetrennt vom übrigen Europa, was die Dänen doch immer wollten - warum wollen sie jetzt plötzlich internationalen Verkehr an sich ziehen mit Industrie, Pollution, Wachstum, Dreck? Vielleicht - wer bewahrt uns bloß davor - sogar Hochhäusern im beschaulichen Kopenhagen?

Es gibt Leute, die sagen, Dänemark sei so schön, so friedlich, so sicher, so ruhig und so langweilig, daß Autofahren das einzig mögliche Abenteuer ist.

Vielleicht haben sie ja nur deshalb eine schöne Brücke gebaut.

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