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Vor den Toren der Bordellstraße. Frauen protestieren mit Plakaten.

© Sevval Kilic

Istanbul: Skandal im Sperrbezirk

Seit osmanischen Zeiten werden Bordelle in Istanbul geduldet, doch jetzt schließen die Behörden eins nach dem anderen. Prostituierte protestieren dagegen – sie sehen sich von Politikern auf den Straßenstrich gedrängt.

Im Gassengewirr unterhalb vom Galata-Turm in Istanbul führt ein steiles Gässchen an einem grau gestrichenen Tor vorbei, das den Touristen nicht weiter auffällt. „Kein Zutritt ohne Personalausweis“ steht auf Türkisch daran, ein handgeschriebener Zettel zählt auf, was alles am Eingang abzugeben ist: Handy, Schlüsselbund, Feuerzeug und natürlich Waffen aller Art. Männer mit hochgeschlagenen Kragen warten vor dem Tor darauf, dass der Polizist am Eingang ihre Ausweise kontrolliert, bevor er sie durch einen Metalldetektor eintreten lässt in den Sperrbezirk von Istanbul. Ein ganzer Straßenzug voller Bordelle verbirgt sich hinter dem grauen Tor, durch das täglich 5000 bis 7000 Männer eintreten. Denn Prostitution ist zwar erlaubt in der Türkei, soweit sie von staatlich anerkannten Sexarbeiterinnen in behördlich genehmigten Bordellen betrieben wird; öffentlich sichtbar werden darf sie aber nicht.

Das änderte sich, als die Prostituierten aus der Bordellstraße öffentlich aufbegehrten. Anwohner und Ladeninhaber starrten mit offenen Mündern, als Dutzende mit Schals und Kopftüchern vermummte Frauen aus dem grauen Tor herausströmten und Protestplakate entfalteten. „Lasst die Bordelle in Ruhe“ stand auf den handgemalten Plakaten, „Hände weg von meinem täglichen Brot“ und „Sexarbeit ist auch Arbeit“. Eine Wortführerin, das Gesicht hinter einer Sonnenbrille versteckt, verlas eine gemeinsame Erklärung. „Seit einem Jahr wird ein Bordell nach dem anderen von den Behörden geschlossen, willkürlich und gesetzeswidrig“, hieß es darin. „Hunderte Sexarbeiterinnen wie wir werden dadurch auf den illegalen Straßenstrich gezwungen.“

Die spontane Protestkundgebung richtete sich gegen einen Polizeieinsatz, bei dem die Behörden sechs Bordelle in der Straße geschlossen hatten. Einige Frauen in den Bordellen hätten Freier angesprochen, hieß es zur Begründung – das ist nach den türkischen Vorschriften als Freierwerbung ebenso verboten wie Zuhälterei. „Lächerlich“, beschwerte sich eine der Demonstrantinnen. „Der Sperrbezirk ist von außen gar nicht einsehbar, außerdem müssen alle Häuser darin Milchglasscheiben haben – und dann soll es noch strafbar sein, wenn eine Frau mal einem Freier zupfeift.“ Ohnehin sei das nur ein Vorwand gewesen, sagen die Frauen. „Da sind zwei verdeckte Ermittler rein, haben sich mit einer Frau geeinigt – und anschließend behauptet, die habe ihnen zugerufen.“

Nach den jüngsten Schließungen sind nur noch elf Bordelle offen im Istanbuler Sperrbezirk, wo es einst um die 50 Etablissements waren. Seit osmanischen Zeiten sind die Bordelle hier.

Geduldet war die Prostitution schon damals, legalisiert wurde sie aber erst von der Türkischen Republik in den Dreißigerjahre. Seine goldenen Jahre erlebte der Sperrbezirk von Galata in den Neunzigerjahren, als eine Armenierin namens Matild Matukyan hier drei Dutzend Bordelle betrieb und zur Rekordsteuerzahlerin der Türkei gekürt wurde. Heute stehen die meisten Häuser in der Bordellgasse leer, mit leeren Fensterhöhlen und Vorhängeschlössern an den Türen.

Anderswo im Land sehe es kaum anders aus, beschweren sich die Frauen. In Ankara ließ die Stadtverwaltung vergangenen Sommer nach jahrelangem Rechtsstreit den kompletten Sperrbezirk abreißen, um einen Stadtpark anzulegen und nach römischen Ruinen zu graben. In Antalya mussten die Bordelle schließen, als nebenan eine Moschee gebaut wurde – laut Gesetz darf der Sperrbezirk nicht in der Nähe von Schulen oder Gotteshäusern liegen. In Afyonkarahisar muss das Bordell wegen eines Stadterneuerungsprojektes zum 1. März schließen. Alles fadenscheinige Vorwände, glaubt Sevval Kilic vom Verein Frauentor, der sich für die Belange von Prostituierten einsetzt. Dabei spiele es auch keine Rolle, dass Antalya gar nicht von der religiös-konservativen Regierungspartei AKP regiert werde, sondern von der säkularistischen CHP.

„Wenn es um dieses Thema geht, sind alle Parteien gleich“, sagt Sevval Kilic. „Sie wollen alle die Prostitution ausmerzen.“ Nur eines hätten die Politiker dabei nicht verstanden, sagt Kilic, die selbst in der Branche gearbeitet hat: „Durch die Schließung der behördlich beaufsichtigten Bordelle stoppt man nicht die Prostitution, man zwingt sie nur in die Illegalität und auf die Straße.“ Statt unter Polizeischutz und ständiger Kontrolle des Gesundheitsamtes zu arbeiten, wie es in den anerkannten Bordellen der Fall ist, müssten die Frauen ihr Gewerbe dann ungeschützt in finsteren Gassen ausüben, um ihre Kinder zu ernähren.

Denn andere Arbeit bekommen die staatlich anerkannten Sexarbeiterinnen nie wieder im Leben, sagen die Frauen, die vor dem Tor protestierten; schließlich sind sie polizeilich als Prostituierte registriert. „Uns bleibt dann nur Laleli oder Aksaray“, die Straßenstriche von Istanbul, sagt eine rothaarige Sexarbeiterin. Allerdings stehen dort jetzt schon zu viele Frauen: Rund 100 000 illegale Straßenmädchen gebe es in der Türkei, schätzt der Verein Frauentor. 40 000 von ihnen haben die staatliche Anerkennung und die Aufnahme ins Bordell beantragt, „weil sie sich nicht auf der Straße mit Psychopathen und Polizisten herumschlagen wollen“, sagt Kilic. Doch seit zehn Jahren werde kaum ein Antrag mehr bewilligt.

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