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Eine Bewohnerin geht auf dem Höhepunkt der Müllkrise 2011 durch eine Straße Neapels.

© Carlo Hermann/AFP

Italien: Die Rückkehr der Müllkrise

In der italienischen Region Kampanien brennen wieder Müllberge in den Straßen. Die dramatische Lage führt zu erbittertem Streit in der Politik.

In der süditalienischen Stadt Caserta hat die italienische Regierung diese Woche an einer Sondersitzung einen Aktionsplan beschlossen, mit welchem sie der neu aufgeflammten Müllkrise Herr werden will. Unter anderem sollen die 262 offiziell bekannten legalen und illegalen Müllkippen in der Region Kampanien besser überwacht und vor Brandstiftern geschützt werden. Mit dieser Maßnahme soll die bereits vorhandene Militärpräsenz noch einmal verstärkt werden; zum Einsatz sollen künftig auch Drohnen kommen. Außerdem hat die Regierung von Premier Giuseppe Conte 160 Millionen Euro für die Entsorgung und Sanierung der vergifteten Böden in den bereits abgebrannten Deponien bereitgestellt.

Beim Sondermüll mischt die Mafia kräftig mit

Vor allem in der sogenannten „Terra dei Fuochi“, der „Erde des Feuers" am Fuß des Vesuvs, haben in den letzten Wochen wieder zahlreiche illegale Mülldeponien gebrannt. Gelegt werden die Brände in der Regel von verzweifelten Anwohnern – oder von der Camorra. Die Rückkehr der Müllkrise war nur eine Frage der Zeit: In Süditalien herrscht ein dramatischer Mangel an Müllverbrennungsanlagen. Die wenigen Öfen vermögen bei Weitem nicht den produzierten Abfall zu bewältigen. Der Rest verschwindet zum Teil in Deponien, wobei die Mafia insbesondere bei der Beseitigung des Sondermülls kräftig mitmischt. Der restliche Abfall wird entweder nach Norditalien gekarrt oder mit Schiffen ins Ausland transportiert – vorwiegend nach Holland, Indien und China.

Inzwischen hat die Krise den bezüglich Müllentsorgung deutlich moderneren Norden des Landes erfasst. Ein Grund dafür ist paradoxerweise der Erfolg der Mülltrennung: Es fehlen zum Beispiel Kompostieranlagen, in denen der getrennt gesammelte organische Hausmüll verwertet werden kann. Experten schätzen, dass in Italien rund drei Millionen Tonnen von diesem übel riechenden Müll in leerstehenden Fabrikhallen zwischengelagert werden. Beschleunigt wurde die Krise dadurch, dass sich China seit einem knappen Jahr weigert, wie bisher den Plastikmüll aus Europa zu übernehmen. Inzwischen sind in Norditalien zahlreiche „Zwischenlager“ in Flammen aufgegangen, um Platz zu schaffen.

Mindestens vier Milliarden Euro sind nötig

„Wegen der Unterdimensionierung unseres Netzes der Wiederverwertungs- und Verbrennungsanlagen ist die Abfallkrise längst kein Problem des Südens mehr“, sagt Filippo Brandolini, Vizepräsident von Utilitalia, dem Dachverband der öffentlichen Entsorgungsbetriebe Italiens. „Wir stehen vor einem nationalen Notstand.“ Brandolini erinnert daran, dass auch im Norden seit 2013 keine Verbrennungsanlagen mehr gebaut worden seien und kritisiert das Fehlen einer nationalen Entsorgungsstrategie. Insgesamt, betont der Abfall-Experte, müssten in Italien mindestens vier Milliarden Euro in neue Anlagen investiert werden.

Die Situation ist völlig absurd: Italien bezahlt täglich 120000 Euro an Strafgeld an die EU, die nach der Müllkrise in Neapel im Jahr 2007 gegen Italien ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hatte. Seit Juli 2015, als die Strafzahlungen verhängt wurden, hat Rom bereits 165 Millionen Euro nach Brüssel überwiesen. Hinzu kommen hunderte Millionen Euro, die der Müllexport kostet. Die einzige Abhilfe bestünde im Bau von modernen Verwertungs- und Verbrennungsanlagen. Dennoch findet sich in dem Aktionsplan, den die Regierung am Montag beschlossen hat, kein Wort von solchen Projekten.

Müllverbrennungsanlagen sind für sie Teufelswerk

Grund ist eine weitere Absurdität: Für Italiens Umweltschützer sind die Müllverbrennungsanlagen wegen ihrer Abgase Teufelswerk. Der größere der beiden Regierungspartner, die Protestbewegung Cinque Stelle, hat ihre Wurzeln in der Umweltschutzbewegung und ist strikt gegen den Bau neuer Öfen. Ihr Rezept heißt: Müllvermeidung und hundertprozentige Wiederverwertung. Dass zum Beispiel in Kampanien, der Heimatregion von Vizepremier Luigi Di Maio, nur 50 Prozent des Abfalls getrennt werden, blenden die regierenden „Grillini“ ebenso aus wie den Umstand, dass die Entsorgung in legalen und illegalen Deponien die Böden und das Grundwasser verseucht.

"Wärme" als Vorteil, "Vergiftung" als Nachteil

Di Maio hatte im Vorfeld der Sondersitzung der Regierung sogar gefordert, Verbrennungsanlagen im Norden schrittweise stillzulegen. Weil Innenminister und Vizepremier Matteo Salvini von der rechtsradikalen Lega gleichzeitig mit Nachdruck den Bau neuer Öfen fordert, wurde die Müllkrise in den letzten Tagen zu einer kleinen Regierungskrise. „In jedem normalen Land wird der Restmüll verbrannt, und dabei entstehen nicht Verwüstung und Vergiftung, sondern Wärme, Elektrizität und Profit“, betont Salvini. Di Maio kontert, dass der Bau von Müllverbrennungsanlagen nicht im Koalitionsvertrag stehe – damit war die Diskussion beendet. Und so wird der Müll in der „Terra dei Fuochi“ und anderswo im Land weiter unter den Teppich gekehrt und in illegale Deponien gekarrt. Immerhin unter Aufsicht des Militärs und begleitet von Drohnen.

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