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Die Scheidungen haben in Italien drastisch zugenommen. Doch statistisch sind italienische Ehen nach den Iren immer noch die stabilsten in Europa.

© dpa

Italien: Im Heimatland des Katholizismus boomen Scheidungen

Ausgerechnet in der Heimat des Katholizismus steigt die Zahl der Trennungen enorm – vor allem ältere, lang verheiratete Paare wollen noch einmal neue Wege gehen.

In Italien explodiert momentan die Zahl der Ehescheidungen. Dem Verband der Familienanwälte (AMI) zufolge haben sich allein in den vergangenen beiden Monaten 50 000 Paare für immer getrennt – so viele wie zuletzt in einem ganzen Jahr. Dabei fällt besonders der Anteil älterer, lang verheirateter Paare auf. 20 Prozent der Scheidungen betreffen Ehepartner, die älter als 65 Jahre sind.

Der Anteil dieser Altersgruppe, so sagt es AMI-Präsident Gian Ettore Gassani, sei seit 15 Jahren kontinuierlich gewachsen: Damals seien es gerade mal fünf Prozent gewesen; heute kämen auch 80-Jährige in seine Kanzlei. Neulich wollte sich sogar ein 90-Jähriger scheiden lassen. „Zuerst habe ich das für einen Witz gehalten“, erzählt er. „Aber der wollte vor seinem Tod halt noch eine Sache ordnungsgemäß abschließen.“

Gassani schreibt die Entwicklung nicht nur dem gesellschaftlichen Wandel und dem Verfall der klassisch italienischen Familienstruktur zu, der „in unserer Zeit der großen Egoismen und Individualismen“ sogar Personen anstecke, die wie die meisten Italiener „katholisch und moralkonservativ erzogen“ worden seien.

Gesetzesreformen reduzierten die Dauer einer Scheidung drastisch

Hinzu kommt nach Einschätzung des Anwalts, dass sich durch die jüngsten Gesetzesreformen die Dauer eines Scheidungsverfahrens auf ein Sechstel und noch weniger verkürzt hat: „Das lohnt die Mühe, da trauen sich auch ältere Leute ran.“ Ferner könnten sich jetzt auch Rentner eine Scheidung leisten. Die Verfahrenskosten, so Gassani, „gehen ja heute gegen null“. Dafür gesorgt hat ein zweistufiges Reformpaket der Regierung von Matteo Renzi, das Ende Mai ohne nennenswerten politischen und gesellschaftlichen Protest in Kraft getreten ist. Allein die Möglichkeit einer Scheidung musste 1974 noch per Referendum gegen den massiven Widerstand der katholischen Kirche durchgesetzt werden.

Nach Renzis Reform ist vor einer formellen Scheidung der Ehe keine dreijährige Trennungsphase mehr erforderlich. Heute reichen sechs Monate bei einvernehmlicher und zwölf Monate Wartezeit bei streitiger Auflösung der Ehe. Noch stärker zur Verfahrenskürzung trägt aber eine andere Bestimmung bei: Bisher brauchten auseinanderstrebende Partner sowohl für ihre Trennung als auch für die endgültige Scheidung jeweils einen eigenen Richter, einen Gerichtspräsidenten genauer gesagt. Eine Ehe sollte protokollarisch-formell genauso feierlich beendet werden, wie sie einmal begonnen hatte.

Der Gerichtszwang entfällt nun – jedenfalls sofern die Partner sich einig sind. Das ist laut Nationaler Statistikbehörde (ISTAT) in bis zu 85 Prozent der Fall. Damit entrinnt die große Mehrheit der Paare den – so Anwalt Gassani – „biblischen Zeiten der italienischen Justiz“. Heute reicht meist der Gang zum Standesamt, und falls keine minderjährigen Kinder, keine auszugleichenden Vermögenswerte von mehr als 50 000 Euro im Spiel sind, brauchen die beiden nicht einmal einen Anwalt. Die zum Abschluss erforderliche Stempelmarke auf der Scheidungsurkunde gibt es schon einmal für 16 Euro.

Die Bestimmungen gelten rückwirkend für alle Trennungs- und Scheidungsverfahren, die in der dreijährigen Wartefrist feststecken oder bei den Gerichten schon in Arbeit sind. Auf diese Weise – und das war der eigentliche Beweggrund für die Reform – wollte die Regierung die heillos überlasteten Zivilgerichte befreien. Insofern hatte man eine Explosion der Zahlen auch erwartet: Die 50 000 Neu-Scheidungen der vergangenen acht Wochen rühren in der Hauptsache ja daher, dass eilige, bereits getrennte Partner ihr Verfahren dem Gericht entzogen und sich kurzerhand auf eigene Faust geeinigt haben. Die AMI rechnet damit, dass – bei geschätzt 200 000 anhängigen Prozessen – bis Weihnachten weitere 50 000 Scheidungen vollzogen sein könnten.

Ungewöhnlich bleibt dennoch die überproportionale Zunahme von Scheidungswilligen im Rentenalter, auch wenn der langfristige Trend dahingehend unübersehbar war. Seit 1995 – so das ISTAT in der letzten verfügbaren Analyse auf Basis der Zahlen von 2012 – hat sich die Zahl der Trennungen mit und nach der Silberhochzeit verdreifacht, während jene bei Ehen von weniger als fünf Jahren Dauer stabil geblieben sind.

Übersetzt heißt das: Heute trennen sich in Italien mehr eheerfahrene ältere Leute als die Jungen. Grundsätzlich aber, bereinigt um die Sondereffekte der aktuellen Reform, sind Italiens Ehen nach den irischen noch die stabilsten in Europa. Auf tausend Einwohner kamen 2012 laut ISTAT genau 0,9 Scheidungen. In Deutschland waren es 2,2.

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