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Italienische Mafia: ’Ndrangheta – die Krake aus Kalabrien

Ihre Regeln sind archaisch, trotzdem liegt der Jahresumsatz bei 30 Milliarden Euro. In Berlin soll sie 30 Pizzerien kontrollieren.

Dass die kalabrische Mafia ihre Familienfehden über die Landesgrenzen hinausträgt, das ist für Italiens Ermittler bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenministerium eine „absolute Neuheit“, ein „Qualitätssprung“. Wie nie zuvor wolle die ’Ndrangheta – so heißt die Mafia in Kalabrien – „Stärke demonstrieren “, sowie die „staatlichen und internationalen Autoritäten herausfordern“, hiße es in offiziellen Kommentaren in Rom.

Normalerweise zieht es die ’Ndrangheta vor, abseits der Scheinwerfer zu bleiben. Und wie Kalabrien – die arme, wirtschaftlich extrem rückständige und von Abwanderung geprägte Stiefelspitze Italiens – als eine „vergessene Region“ des Landes gilt, so wurde auch die ’Ndrangheta lange Zeit unterschätzt. Genau dadurch aber hat sie es geschafft, zur mächtigsten und reichsten Mafia Italiens aufzusteigen. Hatte sie ihre ersten Millionen (bis 1991) mit den spektakulären Entführungen reicher Norditaliener verdient, so hält sie heute praktisch das Monopol im europäischen Kokain-Import; allein damit erzielt sie einen Jahresumsatz von bis zu 30 Milliarden Euro. Waffenhandel, Wucher, Erpressung, Prostitution bringen weitere zehn Milliarden Euro. Zudem dringt die ’Ndrangheta immer stärker ins öffentliche Bauwesen ein; sie sichert den clan-eigenen Firmen lukrative Aufträge und wäscht ihr Geld mit Vorliebe durch den Aufkauf weitläufiger Immobilien in unverdächtigen Gegenden: In Mailand, im Piemont beispielsweise – aber auch in Belgien und Tschechien.

Dass Familien der ’Ndrangheta auch in Deutschland aktiv sind, weiß man. An die 300 Pizzerien, etwa 30 davon allein in Berlin, gelten als Schaltstellen für illegale Tätigkeiten. Nach Deutschland, sagt Italiens Innenminister Giuliano Amato, hatten sich auch die Betreiber der Duisburger Pizzeria geflüchtet; sie meinten, dort der Blutrache in ihrem Heimatdorf zu entkommen. Einer der Getöteten war laut Amato zuvor ja selbst aktiv an einem Mordanschlag in San Luca beteiligt. Die Killer indes, so ein Antimafia-Staatsanwalt aus Kalabrien, hatten in Deutschland ein leichteres Spiel als in Kalabrien: „Wir hier halten die beiden verfeindeten Familien unter strenger Beobachtung.“ San Luca, das Heimatdorf der Getöteten, liegt an den Hängen des schwer zugänglichen, dicht bewaldeten Aspromonte-Gebirges, in dessen Höhlen einst die von der ’Ndrangheta Entführten verschmachteten. Die Gegend gilt als das Zentrum der ’Ndrangheta schlechthin. Anders als die sizilianische Cosa Nostra ist die kalabrische Mafia nicht vertikal organisiert; es gibt keine Hierarchie, keinen „Boss der Bosse“, es gibt nur ein Netz von Familien, deren Lebensweise und Umgangsformen trotz ihrer Weltläufigkeit in Sachen Rauschgift- und Waffenhandel recht archaisch geblieben sind. Die Blutrache lebt.

Minister Amato war sich am Mittwoch sicher: Das Massaker von Duisburg sei nur ein weiteres Kapitel im Familienkampf von San Luca gewesen. Dieser Zwist kam ans Licht bei einer absurden Faschings-Schlägerei im Februar 1991; die Clans Pelle-Vottari und Nitra-Strangio verprügelten einander derart, dass zwei junge Männer starben. Es folgten – wechselseitig – sechs Morde. Im Jahr 2000 schien die Fehde eingeschlafen zu sein. Sie erwachte am Weihnachtstag 2006 wieder, als eine 33jährige Frau aus der Strangio-Familie erschossen und ein fünfjähriges Kind verletzt wurden. Seither, bis in den August hinein, gab es in San Luca drei weitere Morde und sechs Mordversuche.

Wie sich die Duisburger Mord-Opfer in dieses Familienschema einordnen, war am Mittwoch noch nicht ganz klar. Der Betreiber der Pizzeria jedenfalls heißt Strangio; einer der Getöteten ebenfalls – wobei sich vorerst nicht klären ließ, ob dieser Sebastiano Strangio identisch war mit jenem gleichnamigen ’Ndrangheta-Boss, der wegen Rauschgifthandels vor zwei Jahren in Amsterdam verhaftet worden war. Innenminister Amato warnte jedenfalls in Rom davor, es könnte in Fortsetzung der Blutrache nun zu weiteren Massakern kommen.

Der Aufruf richtete sich insbesondere an die Antimafia-Ermittler, die sich mit der ’Ndrangheta weit schwerer tun als mit der sizilianischen Cosa Nostra oder der neapolitanisch-kampanischen Camorra: da die kalabresische Mafia nicht aus zusammengewürfelten Verbänden, sondern aus wirklichen Familien besteht, wird sie auch durch Blutsbande zusammengehalten. Deswegen gibt es in Kalabrien auch so gut wie keine „Aussteiger“, keine „Kronzeugen“, die einen Blick in das Innere der ’Ndrangeta zulassen würden. Die Warnung Amatos wird auch durch ein weiteres, kurz bevorstehendes Datum gespeist: Jedes Jahr im September treffen sich die kalabrischen Clans zur allgemeinen Geschäfts- und Lagebesprechung im Marienheiligtum „Madonna dei Polsi“. Das liegt in den Wäldern des Aspromonte – nur wenige Kilometer entfernt von San Luca.

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