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Wer ist die Coolste? Demi Moore natürlich. Szene aus „The Joneses“. In dieser Filmsatire zieht eine Familie in einen Vorort und lebt allen Nachbarn vor, welche Produkte angesagt sind. Die Menschen merken nicht, dass die Familie eine Werbeaktion ist.

© promo

Jäger der neuen Mode: Virales Marketing als Befreiung des Kunden

Mit Concept Stores will die Werbeindustrie Stilsicherheit und Orientierung liefern. Die inszenierte Auswahl will den Kunden von der Mühsal befreien, sich seine Produkte selbst aussuchen zu müssen - auch in Berlin.

Ihr Vorbild ist das Virus. Ihr Ziel eine Epidemie. Marketingexperten versuchen, eine neue Dimension zu eröffnen. Sie wollen Werbung machen, ohne dass die Kunden merken, dass es Werbung ist. Sie betreiben Product Placement im Alltag, Schleichwerbung der ganz neuen Art. Ihre Zauberworte heißen „Hybrid-Marketing“, „virales Marketing“ und „Concept Stores“. Viral, das kommt von Virus, die Botschaft soll sich wie eine Epidemie fortsetzen. Das Projekt ist aber nicht nur heimliche Werbung, es ist die Befreiung des Kunden von der mühseligen Freiheit, sich seine Produkte selber aussuchen zu müssen. Es geht um die Befreiung des Kunden von dem Terror, bei der Auswahl seiner Produkte immer den richtigen Stil finden, richtig liegen zu müssen. Das neue Marketing nimmt den Leuten diese Qual ab. Es gibt eine Hollywoodsatire, die das exemplarisch vormacht.

In „The Joneses“, in Deutschland nur auf DVD erhältlich, zieht eine Familie in einen amerikanischen Vorort und lebt dort all den Nachbarn ein stilsicheres Leben vor, immer mit den trendigsten Produkten am Leib. Die Nachbarn merken nicht, dass diese schrecklich nette Modellfamilie nur dazu da ist, ihnen vorzumachen, welche Kleidung sie tragen, welches Auto sie fahren, welches Telefon sie kaufen und welches Essen sie zu sich nehmen sollen. Mit ihrem antrainierten Charisma sollen die Familienmitglieder „Welleneffekte“ auslösen. Ihr Haus ist ein als Familienvilla getarntes Warenhaus, ein sogenannter Concept Store, aus dem heraus sie eine verdeckte Wirtschaftszone aufbauen.

Concept Stores gibt es bereits in der Wirklichkeit. Berühmter Vorreiter ist das „Collette“, ein edles Geschäft in der Pariser Rue St. Honoré. Viele Prominente kaufen hier ein, Ströme junger modebewusster Touristen aller Nationen schieben sich hier, von schwergewichtigen Türstehern observiert, an schlichten Regalen und Glaskästen mit kostspieligen Turnschuhen, Mobiltelefonen, Architekturzeitschriften, Uhren, CDs, Quellwassersorten entlang und verweilen am Ende in dem völlig überfüllten Café.

In einem Concept Store sind die verschiedensten Produkte versammelt, die nichts miteinander zu tun haben und wild gemischt präsentiert werden. Alles ist durcheinander. Der Kunde kann alles dort kaufen, wie aus einer Hand und dabei sicher sein, dass alles stilistisch zusammenpasst. Vorbei ist damit die Anstrengung, sich überlegen zu müssen, was wozu passt, was gerade im Trend ist. Man kauft einfach alles ein, was es dort gibt. Und da das teure T-Shirt von Dolce & Gabbana neben einem Glas billigen Olivenöls steht, kauft man beides, weil man beides braucht.

Die Andacht der Besucher verwandelt den Ort in eine Art Tempel. Es ist ein neues Einkaufserlebnis, wenn ein Warenhaus nicht nach Produktgruppen geordnet ist, sondern alles gemischt herumliegt. Eine eigenartige Magie geht von der kunstvollen Zusammenstellung aus. Zu den erschwinglicheren Gegenständen bei „Collette“ gehören Wäschesäcke ab 30 Euro mit aufgedruckten Vorgaben: „Put your Laundry in this bag and keep the smell out“. Verschlossene Papiertüten, „Lucky Bags“, gibt es schon für 20 Euro, Inhalt ungewiss. In einer solchen Tüte kann alles drin sein, man weiß es vorher nicht, kann aber sicher sein, dass es stilistisch genau das Richtige sein wird, was man brauchen soll.

Concept Stores, die nach dem Vorbild von „Collette“ auch in Berlin und anderen Großstädten entstehen, leben Geschmackslinien auf exklusivem Niveau vor. Die Einkäufer und Leiter der Stores geben ihren Stil über ihre neuartigen Zusammenstellungen weiter. „Wir suchen weltweit nach dem Ungewöhnlichen, Neuen, künstlerisch Anspruchsvollen, um es in unsere Umgebung zu integrieren“, sagt Sarah Lerfel, die 34-jährige Einkäuferin von „Colette“. Sie und die nachfolgenden Concept-Store-Betreiber, wollen ihren Fundstücken einen neuen und eigenen Rahmen geben, sie in ein trendbewusstes Umfeld stellen. Hierbei spielt die Überraschung eine große Rolle, wenn etwa eine Olivenöldose neben Laptophüllen oder billige Haarbänder neben Haute-Couture-Kleidern liegen. Das Unerreichbare gesellt sich ganz unkompliziert zum Vertrauten. Die Einkäufer der Concept-Stores sind für den amerikanischen Autor Malcolm Gladwell auch „Coolhunters“, Jäger, die eine neue Mode entdecken und vermitteln. Gladwell war es, der Verhaltensweisen und Ideen von Trendsettern als „Viren“ bezeichnete. Alles folge dem Gesetz der Epidemie. Das Internet hilft aktiv mit, „virales Marketing“ lautet der Begriff, der das neue Phänomen beschreiben soll.

Wer sich bei YouTube lustige Filmchen ansieht, merkt oftmals gar nicht, wenn bei einer harmlosen Videogeschichte in Wirklichkeit auf ein Produkt hingewiesen wird, ein Produkt ganz selbstverständlich in einen Erzählzusammenhang integriert wird. Nike hat ein solches Filmchen gedreht und bei YouTube reingestellt, ein weiteres Beispiel ist ein verstecktes Werbefilmchen, das offenkundig von Hornbach stammt.

T-Shirt neben Telefon. Prominente wie Katy Perry kaufen im berühmten „Collette“ ein.
T-Shirt neben Telefon. Prominente wie Katy Perry kaufen im berühmten „Collette“ ein.

© ullstein bild

Die konstruierte Familie Jones aus der Satire „The Joneses“ koppelt ihre Verhaltensweisen und Persönlichkeit an die Produkte, die sie indirekt bewerben, durch sie wollen sie „cool“ wirken, selbstbewusst und unabhängig. Zielgruppengerecht inszenieren sie sich als ideale Familie, die als soziales Medium den Absatz bestimmter Produkte befördert. Sie schaffen eine neue Gemeinschaft, deren Stil sie prägen. Es ist eine Satire, die eine Zukunft entwirft.

Das niederländische Institut „Trendwatching“ setzt Concept Stores mit einem „kuratierten Einkaufen“ gleich. „Es geht mehr um den Kontext als um die Produktpalette“, sagt Astrid von Rudloff, Geschäftsführerin der PR-Agentur Weber Shandwick, „Concept Stores werden als individuelle Lebenswelten wahrgenommen, die Stilsicherheit und Orientierung liefern.“ Die inszenierte Auswahl ersetze das Überangebot. Dass der Kauf einer Jeans bei unzähligen Marken zur Tortur ausarten kann, demonstrierte der US-Psychologe Barry Schwartz anschaulich in seinem Videovortrag „The Paradox of Choice“, der auf Youtube über 560 000 Mal aufgerufen wurde: „Wenn alles möglich ist, ist der Mensch paralysiert.“

Concept Stores machen sich auch in Berlin breit. Wie ein gut gelauntes Versuchslabor wirkt der „Happy Shop“, ein neuer Concept Store in der Torstraße 67. Inhaberin Mischa Alexandra Woeste setzt auf wandelbare Inszenierungen. Die hängenden Kleiderstangen machen den Raum zur Bühne. Die Stricksachen aus Woestes eigener Kollektion greifen Muster aus der ganzen Welt auf, dazwischen hängen teure und günstige Vintage-Teile. Hinter dem Haus wird gerade ein Garten angelegt. Für Woeste zählen Offenheit, liebevolle Details und gutes Handwerk.

Das Weckermodell „Ezan“, eine kleine rosa Plastikmoschee mit dem Ruf des Muezzin als Alarmsignal, führt in vielen Kreuzberger Ladensortimenten ein Nischendasein. Bei „Voo“, dem neuen Konzeptstore im Hinterhof der Oranienstraße 24, wird „Ezan“ auf einem großen Glastisch vor fünf Gummipflanzen in Szene gesetzt, neben kunstvoll eingebundenen Notizheften, Mausefallen mit Sargdeckel-Unterbau, Linealen in Pistolenform und Klebebandrollen, Kerzen und Cremes einer alteingesessenen Pariser Manufaktur, stilvoll arrangiert auf einer vorsintflutlichen Waschmaschine aus Holzzuber und Motor. „Hier kommt man herein wie in ein Museum“, sagt Inhaber Yasin Müjdeci. „Es ist wie eine Reise durch die ganze Welt.“ Bei Voo gehen geschmackvolle Inszenierung und Schrulligkeit nahtlos ineinander über. Zwei junge Besucherinnen zahlen gerade ganz entspannt für zwei sündhaft teure T-Shirts.

Die exklusive Auswahl ist für Tim Blumer, Dozent für Kommunikationspsychologie an der Universität der Künste, in Concept Stores entscheidend. „Der Wunsch, sich von dem Gewöhnlichen abzugrenzen, galt von jeher in den höheren gesellschaftlichen Kreisen. Heute ist er ein allgemeines Phänomen.“ Das führt zu einem Paradox. „Wenn sich jeder von jedem unterscheiden will, sind alle in ihrem Streben nach Individualität wieder gleich.“

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