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Panorama: Japaner, kauft Aktien!

Eine Girl-Band vertont die umstrittene Wirtschaftspolitik von Regierungschef Shinzo Abe – und macht Geld damit.

Yuki Sakura, Kanon Mori, Hinako Kuroki und Jun Amaki verfolgen den Nikkei 225 rund um die Uhr. Fast täglich stehen sie auf den Straßen von Akihabara, einem Szeneviertel in Tokio, singend und tanzend, und haben die Entwicklungen des wichtigsten Aktienindex Japans ständig im Hinterkopf. Die vier Frauen sind noch jung, zwischen 16 und 23 Jahre, vielleicht zu jung, um die Bewegungen der Wertpapiere zu verstehen. „Aber wir wissen immer genau Bescheid“, sagt Yuki Sakura grinsend. Schließlich hat das, was dort passiert, direkte Auswirkungen auf ihr Outfit.

Die vier Mitglieder der Popband „Machikado Keiki Japan“, auf Deutsch: „Straßeneckenökonomie Japan“, kleiden sich abhängig vom aktuellen Punktestand des Nikkei 225. „Wenn der Index unter 10 000 Punkten liegt, treten wir mit sehr langen Röcken auf“, sagt Sakura. In Tausenderschritten werden die Röcke kürzer. Ab 12 000 Punkten gibt es einen Minirock, jenseits der 13 000 Punkte treten sie ganz ohne Rock auf. Täglich in einem Konzertsaal in Akihabara können die Zuschauer dann nackte Beine in Hotpants bewundern.

„Das Ganze geht auf ein altes Sprichwort zurück“, sagt Itao Kusanagi, der Manager der Gruppe. Als Japans Wirtschaft bis in die 1980er Jahre boomte, wurden überall in Tokio extravagante Partys gefeiert, weil es sich die Japaner mit ihren damals sehr hohen Einkommen leisten konnten. In der Zeit dieses Wirtschaftswunders wurde auch der Minirock beliebt. Aber mit dem Platzen einer Spekulationsblase Anfang der 1990er Jahre sank nicht nur der Wert des Nikkei ins Bodenlose. Auch die Mode habe sich geändert, Japanerinnen zeigten fortan weniger Haut. „Mit der Popgruppe wollen wir die Menschen ermutigen, wieder zu investieren, Geld auszugeben. Damit es mit der Wirtschaft aufwärtsgeht“, sagt Kusanagi.

Für diese gute Sache, oder bloß das Versprechen einer Popkarriere, sind sich junge Japanerinnen offensichtlich für kaum etwas zu schade. Kusanagi spricht von mehr als 100 Bewerberinnen beim Casting Anfang des Jahres, kurz nachdem Premier Shinzo Abe sein Amt angetreten hatte. Alle Bewerberinnen waren bereit, für das Wohl des Vaterlands zu singen und zu tanzen. Die beiden erfahreneren Anführerinnen der Band, Yuki Sakura und Kanon Mori, sind schon in weiteren Gruppen unter Vertrag, die Kusanagis Unternehmen verwaltet. Die Schülerinnen Hinako Kuroki und Jun Amaki sind noch ziemlich unerfahren.

Die erste Single der Gruppe heißt „Abeno MIX“, in Anlehnung an die Politik von Shinzo Abe, die Japan mit Gelddrucken, hohen Staatsausgaben und Reformen aus mittlerweile zwei Jahrzehnten ökonomischer Stagnation hieven soll. Seit einem halben Jahr steht der Begriff Abenomics täglich in allen Zeitungen. Das Lied der Girlgroup hat die Politik auf eine neue Ebene gehoben. „Die CD hat sich bis jetzt 50 000 Mal verkauft“, sagt Kusanagi. „Unser Ziel ist, das nächste Lied gemeinsam mit Shinzo Abe selbst aufzunehmen.“

Dessen Politik wird in „Abeno MIX“ immerhin derart positiv besungen, dass das ganze Projekt wie Propaganda anmutet. In einer Zeile heißt es: „Stoppe die Aufwertung des Yen, kaufe Staatsanleihen, und achte auf öffentliche Investitionen! Zuerst erreichen wir zwei Prozent Inflation, und dann geht’s los!“ Zwei Prozent Inflation sind das offizielle Ziel der Regierung, die die jahrelange Deflation um jeden Preis überwinden will. Alle diese Punkte sind durchaus umstrittene Vorstellungen, für die Abes Kabinett steht. Weiter geht es mit: „Hohe Zinsen sind nur ein Geschenk, also senke sie weiter und treibe die Wirtschaft nach oben!“ Zwischendurch kreischen die Mädchen immer wieder „smile“, „cheer“ und „love Abenomics“. Solche Füllwörter sind wichtig für einen Popauftritt, eine reine Vertonung des offiziellen Parteiprogramms würde die Zuschauer wohl zu sehr strapazieren und womöglich gar den Verdacht von Ironie aufkommen lassen. Die Sängerinnen geben zu, sich in Sachen Ökonomie bisher nicht gut ausgekannt zu haben. „Keine der Mädchen hat vorher Wirtschaft studiert. Aber seit wir die Gruppe gegründet haben, lernen alle ganz eifrig“, sagt Kusanagi. In einem Interview mit der „Japan Times“ gab Yuki Sakura vor kurzem schon einen Einblick: „Wirtschaft hat doch immer viel mit Psychologie zu tun.“ Deswegen sei es wichtig, die Menschen mit ihrem Lied in die richtige Stimmung zu bringen.

Shinzo Abe befindet sich gerade mitten im Wahlkampf. Am 21. Juli stimmen die Japaner über das neue Oberhaus ab. Abes Liberaldemokratische Partei (LDP) sowie ihr Partner Komeito lagen zuletzt in Umfragen vorn, haben bislang aber keine Mehrheit in dieser Kammer. Ein Wahlerfolg ist von entscheidender Bedeutung für Abe. Nur dann kann er seinen aggressiven wirtschaftspolitischen Kurs problemlos fortsetzen – und ist nicht auf die Unterstützung durch die Opposition angewiesen.

Dass „Machikado Keiki Japan“ in irgendeiner Beziehung zu Japans Regierung steht, verneint Kusanagi vehement. Vielmehr habe man bei der aktuellen Aufbruchstimmung eine Möglichkeit gesehen, aus dem Begriff „Abenomics“ Geld zu machen. Auf die Idee ist nicht nur „Kleeblatt Inc.“ gekommen. Der Schweizer Unterwäschehersteller Triumph hat vor kurzem den „Branomics Bra“ herausgegeben. In Anlehnung an Abes Ziel, eine Inflationsrate von zwei Prozent zu erreichen, soll dieser BH durch eingelegte Kissen für ein zweiprozentiges Wachstum der Körbchengröße sorgen. Derzeit scheint es, als sei es nur eine Frage der Zeit, bis dem nächsten Unternehmen eine Geschäftsidee zu Abenomics einfällt.

Am Aktienmarkt sind die ganz guten Zeiten zunächst vorbei. Nachdem der Nikkei 225 wochenlang neue Bestwerte aufstellte, setzte eine Trendwende ein. Deshalb werden die Röcke wieder länger. Andererseits ist das schlecht fürs Geschäft. Kusunagi plant, die nächste Single erst zu veröffentlichen, wenn der Nikkei 225 die 20 000-Punktemarke geknackt hat.

Da hilft nur eins: Aktien kaufen.

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