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Der französische Zeichner und Karikaturist Jean-Jacques Sempe erfand den kleinen Nick.

© De Sakutin/AFP/dpa

Jean-Jacques Sempé: Der Erfinder von "Der kleine Nick" wird 85

Das berühmteste Werk von Jean-Jacques Sempé wurde millionenfach verkauft. Bis heute hat der Zeichner die Faszination fürs Kindliche nicht verloren.

Wer in Paris wohnt, hat Glück. Etwa das Glück, in die Galerie Martine Gossieaux gleich hinter dem berühmten Musée d’Orsay huschen zu können, um dort jederzeit Werke des Künstlers Jean-Jacques Sempé zu bewundern. An diesem Donnerstag wird der Illustrator des „kleinen Nick“ 85 Jahre alt. Seinen Geburtstag, so lässt die Galerie ausrichten, feiere er im kleinen Kreis seiner Familie.

Sempé war immer ein bescheidener Mann. Bis heute ist er dankbar für die öffentliche Anerkennung, die ihm entgegengebracht wird. „Ich hätte nie geglaubt, dass eines Tages jemand meine Sachen kaufen wird, um sie bei sich zu Hause zu haben“, sagte er einmal im Gespräch mit dem Magazin der „Süddeutschen Zeitung“. „Das haut mich um, auch nach all den Jahren noch.“ Es ist diese fast kindliche Freude über die Zufälle des Lebens, die auch in Sempés Zeichnungen steckt. Kindliche Freude gepaart mit einem Hauch Melancholie und einer feinen Prise Humor. Ein Erfolgsrezept.

Seit mehr als 60 Jahren erzählt und illustriert Sempé Geschichten. Die bekannteste: „Der kleine Nick“, die er zusammen mit dem 1977 verstorbenen René Goscinny umgesetzt hat. Die zeitlos schönen Anekdoten über einen Schuljungen und seine Clique im Frankreich der 50er und 60er Jahre haben sich millionenfach verkauft, sind in mehr als 30 Sprachen übersetzt und mehrmals verfilmt worden. Die Idee für die anfangs noch namenlose Figur, das erzählt Sempé, entstand für eine Zeitschrift in Belgien, damals dem Mekka aller Cartoonisten und Comic-Künstler. Der Chefredakteur des Blattes wollte dem Kind einen Namen geben. Kurz vor der nächsten Verabredung mit dem Mann „fuhr ein Bus an mir vorbei, auf dem Werbung für einen Wein namens Nicolas zu sehen war – und, zack, hatte ich einen Namen für den Kleinen“.

Eine Zeichnung der Reihe "Der kleine Nick". (1974) aus der Feder des französischen Zeichners.
Eine Zeichnung der Reihe "Der kleine Nick". (1974) aus der Feder des französischen Zeichners.

© Goscinny/Sempe/Diogenes Verlag/dpa

Die Erzählungen spiegeln Sempé zufolge eine Art Ideal wider. „Im ,kleinen Nick‘ balgen sich die Kinder, aber sie tun sich nicht weh“, sagt er. Stattdessen haben sie jede Menge Spaß im Urlaub, auf dem Sportplatz oder bei Schulstreichen. Bis heute kann Sempé auf mehr als 40 Bildbände zurückblicken. Dazu kommen Titelbilder für das US-Magazin „New Yorker“ und Zeichnungen für zahlreiche französische Printmedien. Einen tieferen Blick auf seine eigene Vergangenheit warf Sempé in dem Werk „Kindheiten“. Darin erfährt man, dass seine eigene Zeit als Dreikäsehoch in Bordeaux nicht gerade glücklich war. Seine Eltern stritten oft und hatten Geldprobleme.

Die Schulzeit war für den Sohn eines Lebensmittelhändlers trostlos. Wegen Ungezogenheit flog er von der Schule. Mit 18 ging Sempé nach Paris, wo er sich unter anderem als Weinauslieferer durchschlug. „Meine Kindheit war wirklich alles andere als lustig“, sagt er heute. „Das ist gewiss der Grund dafür, dass ich das Heitere liebe.“ Und vielleicht auch der Grund dafür, dass in vielen seiner Zeichnungen Kinder im Mittelpunkt stehen – und die Welt der Erwachsenen oft grau und trist daherkommt.

"Das Geheimnis des Fahrradhändlers" wird verfilmt

Sempé analysiert, ordnet die Welt und die Menschen. Auch seine Erzählung „Das Geheimnis des Fahrradhändlers“ hat einen philosophischem Hintergrund. Sie handelt von einem Mann, der vorgibt, ein anderer zu sein. Denn Tamburin kann zwar Zweiräder reparieren, aber nicht auf ihnen fahren. Um nicht zum Gespött der anderen zu werden, lässt er sich deshalb so manche Notlüge einfallen. In Deutschland kam der Bildband in einer Übersetzung von Patrick Süskind im Jahr 2009 in den Buchhandel. Passend zum 85. Geburtstag von Sempé wurde die Geschichte von Pierre Godeau („Down By Love“) jetzt verfilmt. Sempé ließ es sich trotz seines geschwächten Gesundheitszustands nicht nehmen, bei den Dreharbeiten im Juni in dem Dorf Venterol in der Provence überraschend aufzutauchen. Das Erscheinungsdatum des Films, in dem das Komikerduo Benoît Poelvoorde und Edouard Baer die Hauptrollen spielt, ist bisher noch nicht bekannt.

„Sempé bringt das Menschliche in uns zum Ausdruck“, sagte Schauspieler Poelvoorde, der in der Verfilmung den Fahrradhändler Tamburin spielt. Er sei ein Fans des Zeichners, kenne alle seine Geschichten und habe deshalb sofort Ja zum Film gesagt, als man ihn fragte, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in einem Interview während der Dreharbeiten.

"Heroismus im Alltag der kleinen Leute"

Für Benoît Poelvoorde stellen die Geschichten Sempés den Heroismus im Alltag der kleinen Leute dar. „Ihre kleinen Laschheiten und Falschheiten, ihre großen und kleinen Freuden und Enttäuschungen“, sagte er. Es gehöre dazu, den Kleinbürger und Spießer in uns aufzudecken, seine Erfahrungen als Vater in den „Der kleine Nick“-Geschichten zu karikieren, den modernen Manager auf dem Flughafen ins Visier zu nehmen ebenso wie den gelangweilten Bootsbesitzer in Saint-Tropez.

Sempé selbst arbeitet noch immer an seinem großen Schreibtisch in Paris. Nicht mehr so schnell wie noch vor 20 Jahren und mit einer Lupe. Er sei langsam geworden und das nerve ihn ungemein, sagte er jüngst in einem Interview. Doch die Faszination des Künstlers für alles Kindliche ist geblieben. Bis vor ein paar Jahren noch konnte Sempé kein Fußballspiel mit Kindern auslassen, wie er erzählt. Einmal habe er dabei ein paar kleine Jungs ausgedribbelt und ein Tor geschossen. „Und da höre ich, wie einer zum anderen sagt: Das ist ein Profi! Ich war so was von stolz.“

Und so werden vielleicht noch weitere große Zeichnungen von kleinen Menschen aus der Feder des Franzosen kommen und im kleinen Pariser Atelier unweit der Galerie Martine Gossieaux zu sehen sein. (dpa, AFP, TSP)

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