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Jemen: Volk unter Drogen

Ein Land zerkaut seine Zukunft – wie im Jemen die Drogen-Pflanze Qat Gesellschaft und Natur zerstört.

Im Jemen ist mittags Feierabend. Wer etwas auf der Behörde zu erledigen hat, muss sich sputen. Jeden Tag kurz nach zwölf Uhr leeren sich die Schreibtische. Erst gehen alle zum Mittagsgebet, dann zum Markt, um sich mit Qat einzudecken - für die gemütliche zweite Hälfte des Tages. Zurück bleiben höchstens ein paar vereinzelte Frauen, die männliche Kollegenschaft dagegen ist komplett entschwunden zum täglichen Kauritual, das seine vier bis sechs Stunden dauert. Und bald sind ihre Backen rund und prall gefüllt mit den narkotischen Blättern, die jeden Morgen frisch aus dem Umland in die jemenitische Hauptstadt geliefert werden. Nach Schätzungen der Weltbank kauen 90 Prozent aller Männer in Sanaa Qat, im übrigen Land sind es drei Viertel. Auch der Anteil der Frauen wächst und liegt bei einem Drittel. Längst hat der bittere Drogensaft die 23 Millionen Einwohner in ein Teilzeitvolk verwandelt. 20 Millionen Arbeitsstunden gehen pro Tag verloren, hat ein lokaler Forscher ausgerechnet.

Jemen zerkaut seine Zukunft – so jedenfalls sehen es die wenigen öffentlichen Kritiker dieser Gewohnheit. „Es ist ein Desaster“, seufzt Präsidentenberater Faris al Sanabani. Nach seinen Angaben geht inzwischen knapp die Hälfte der raren Wasservorräte für den Anbau der begehrten Pflanzen drauf. Immer tiefer müssen die Brunnen gebohrt werden, um an das unersetzliche fossile Grundwasser für die unersättlichen Qat-Plantagen heranzukommen. Mit den Wasservorräten aber schrumpft die Anbaufläche für Gemüse und Obst. Ein Drittel der Jemeniten hat nach Angaben des Welternährungsprogramms inzwischen nicht mehr genug zu essen, weil die Bauern mit Qat fünfmal mehr Geld verdienen als mit Kaffee, Kartoffeln oder Getreide. „Wir rutschen dem Abgrund entgegen“, sagt Umweltminister Abdul-Rahman al Eryani, dessen Nation schon jetzt zu den zehn trockensten der Welt zählt.

Dabei ist das populäre Qat der einzige Wirtschaftszweig im Jemen, der reibungslos funktioniert. Der Handel auf den Märkten der Hauptstadt Sanaa ist bestens organisiert. In der Altstadt ist die frisch glänzende, stimulierende Ware in der Salzgasse neben dem Silbersouk ausgelegt – säuberlich gebündelt und in Bananenstauden feucht gehalten. Landwirt Abdullah Hassan besitzt vor den Toren ein eigenes Feld. 15 Kilogramm der Standardsorte Hamdani hat er in seiner schwarzen Koffertasche vor sich auf dem Boden ausgebreitet. Die Tagesgebühr an die Polizei hat er bereits entrichtet. Von seinen Kunden nimmt er zwei Euro pro Bündel. Andere Sorten wie Sawti sind billiger, Spitzenware vom Typ Arhabi dagegen kostet zehn und mehr Euro. Hassan fährt jeden Nachmittag mit rund 70 Euro Profit in sein Dorf zurück – für den Jemen ist er ein gemachter Mann. Andere, wie der 22-jährige Adel Ahmed, arbeiten als Zwischenhändler. Er muss drei Viertel seiner Einnahmen an den Qat-Bauern abliefern, ein Viertel bleibt in der eigenen Tasche.

Einer der Stammkunden ist Ali Muhammed Marwani. Acht Mal verheiratet sei er gewesen, deklamiert der 87-Jährige stolz. Mit Qat gehe es ihm gut, „dann bin ich entspannt und denke nach über mein langes Leben“. Für diesen Genuss gibt der ehemalige Wachmann – wie viele Arme hier – ein Drittel seiner kleinen Pension aus. Ursprünglich eine Droge, um bei religiösen Sufitänzen besser in Trance zu kommen, ist der Konsum heute ein Massenphänomen. Der jährliche Umsatz wird auf 600 Millionen Euro geschätzt – und das in einem Land, dessen Bruttosozialprodukt pro Kopf mit zu den niedrigsten der Welt gehört.

Alle Versuche der Regierung, mit Aufklärung oder Steuern den Konsum zu dämpfen, zeigen keine Wirkung – nicht zuletzt weil Politiker und einflussreiche Scheichs selbst von dem großen Geschäft profitieren. Ihre täglichen Qat-Runden wollen die meisten nicht missen, wie das Dutzend Parlamentarier, das sich in einem reichen Vororthaus in Sanaa versammelt hat. Munter durcheinander sitzen die Männer von Regierungspartei und Opposition. Jeder hockt in einer Sesselnische, gekleidet in dem langen, weißen Gewand, den Zierdolch Khanjer im Gürtel, vor sich eine Plastiktüte mit den begehrten Zweigen, daneben eine Wasserflasche und einen Spucknapf. Stundenlang werden die Blätter gezupft und in die Backe gestopft. Zwischendurch wird geplaudert, gelacht und diskutiert – über den Präsidenten, Al Qaida, den Ärger im Südjemen und natürlich die Schäden durch Qat. „Ich weiß um all die negativen Folgen“, nuschelt schließlich einer aus dem Kreis mit praller Backe. „Und trotzdem – ich kann es nicht lassen.“

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