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Panorama: Jenseits von Gut und Böse

Frankfurter Polizisten misshandelten Amputierten – eine bizarre Geschichte

Von Karin Ceballos Betancur,

Frankfurt(Main)

Die Stimmung sei lustig gewesen an jenem Morgen, sagt Michael A. und grinst, wenn er davon erzählt, wie er seinen Freund in die letzte Kneipe ihrer Tour, den „Yellow Pub" an der Moselstraße im Frankfurter Bahnhofsviertel, tragen musste. „André und ich hatten viel gelacht und die ganze Nacht getrunken – wir waren jenseits von Gut und Böse." Der 33-Jährige gibt zu, dass er „ein bisschen Randale gemacht" habe, bevor die Kellnerin die Polizei rief. Kurze Zeit später nahmen ihn Beamte des 4. Polizeireviers fest und brachten ihn für einige Stunden in eine Ausnüchterungszelle im Keller des grauen Gebäudes an der Wiesenhüttenstraße, am Morgen des 14. Februar 2003. Mit dem, was sein Freund André H. unterdessen erlebte, beschäftigt sich inzwischen die Frankfurter Staatsanwaltschaft. Ermittlungsgrund: Verdacht auf Körperverletzung im Amt.

Zwei Beamte des 4. Polizeireviers sollen dem 30 Jahre alten André H., der ebenfalls auf die Wache gebracht worden war, in seiner Zelle mit einer Metallstange mehrfach auf das rechte Becken geschlagen haben – auf das Bein, an dem dem Mann vor Jahren wegen einer Gefäßkrankheit der Unterschenkel amputiert werden musste. Am frühen Nachmittag wurde er aufgefordert, das Revier zu verlassen. Von einem Lokal im Bahnhofsviertel aus rief André H. seinen Freund Michael an. „Er hat gefragt, ob ich ihn abholen kann, und gesagt, dass ihm sein Bein weh tut." Ob er ihm schon zu diesem Zeitpunkt von den Misshandlungen der Polizisten erzählt habe, könne er nicht mit Sicherheit sagen, sagt Michael A. „Ich war immer noch ziemlich betrunken." Sanitäter brachten André H. ins Krankenhaus, wo er wegen eines Oberschenkelhalsbruchs operiert wurde. Michael A. sitzt am Tresen des „Yellow Pub" und sagt, dass er seinem Freund die Geschichte anfangs selbst nicht geglaubt habe. Erst André H.s genaue Beschreibung der Beamten, die ihn geschlagen haben sollen, habe ihn überzeugt – vor allem deshalb, weil er die Gesichter der Polizisten auch gesehen hatte, im Türrahmen seiner Zelle. „Die standen da und die Körpersprache war eindeutig – ich bin für sowas empfänglich, ich hab da Erfahrung", sagt Michael A. „Die wollten mich aufmischen, aber ich hab gesagt: Passt auf, einen oder zwei von euch nehm’ ich mit." Daraufhin seien die Beamten gegangen. Einer von ihnen habe ihm später Tabak und Papers in die Zelle gebracht. „Ich weiß auch nicht warum, vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen wegen André, der misshandelt wurde."

Der Vorgang ereignete sich auf dem gleichen Polizeirevier, auf dem auch der Entführer und mutmaßliche Mörder Jakob von Metzlers, Magnus G., mit Folter bedroht worden war.

Bereits Mitte der 90er Jahre hatte Amnesty International das 4. Frankfurter Polizeirevier in einem „Schwarzbuch" über Misshandlungen auf deutschen Polizeiwachen erwähnt.

Auf einen Fehler der Staatsanwaltschaft Frankfurt ist zurückzuführen, dass André H. an jenem Morgen überhaupt wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Der 30-Jährige, wegen Überweisungsbetrugs zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, stand auf der Fahndungsliste, seit er Anfang Januar von einem Hafturlaub nicht ins Gefängnis zurückgekehrt war. Eine Sekretärin habe den Antrag auf Ausschreibung zur Festnahme auf die falschen Personalien ausgestellt, erklärt Job Tilmann, Sprecher der Staatsanwaltschaft. „Dadurch entstand eine Fahndungslücke von mehreren Tagen."

Genau in diese Fahndungslücke fiel der Vorgang auf dem 4. Polizeirevier und die Klinikoperation. Das Opfer ließ über einen Anwalt Anzeige erstatten. Bisher ermittelte die Staatsanwaltschaft in dieser Frage gegen Unbekannt, weil das Opfer flüchtig war und keine Gegenüberstellung mit den Beamten stattfinden konnte. Nachdem André H. jedoch jetzt von Zivilfahndern festgenommen worden ist, wird es voraussichtlich nächste Woche zu einer Gegenüberstellung kommen.

Karin Ceballos Betancur[Frankfurt(Main)]

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