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Männer und Frauen sind an der Klagemauer, diesem für Juden heiligen Ort, strikt voneinander getrennt. Doch das soll sich bald ändern.

© REUTERS

Jerusalem: Frauen streiten für Gleichberechtigung an der Klagemauer

Mit Schal und Riemen: Frauen und Männer dürfen künftig gemeinsam an der Klagemauer beten – aber nur in einem kleinen abgetrennten Bereich. Selbst das stört viele Orthodoxe.

Sie wurden bespuckt, beschimpft und verhaftet. Man nahm ihnen die Thorarollen weg und entriss ihnen die Gebetsschals. Doch sie haben nicht aufgegeben. Gut ein Vierteljahrhundert nach dem Beginn ihres Kampfes um Anerkennung und Gleichberechtigung haben sie in dieser Woche einen historischen Sieg errungen: Die Frauen der Organisation „Women of the Wall“, dürfen zukünftig nach ihrer eigenen Fasson in einem neuen Bereich an der Klagemauer in Jerusalem laut beten und singen – gemeinsam mit den Männern, mit Gebetsschal und Gebetsriemen. Und sie dürfen aus der Thora lesen.

Das entschied Israels Regierung mit einer Mehrheit von 15 Stimmen. Nur fünf orthodoxe Minister waren dagegen. „Wir waren am Nachmittag der Entscheidung an der Klagemauer und haben gewartet, bis wir die SMS mit dem Ergebnis erhalten haben“, berichtet Anat Hoffman, Mitgründerin der „Women of the Wall“, von dem für sie bewegenden Moment. „Danach lagen wir uns in den Armen und haben zu singen begonnen.“

Denn was selbstverständlich klingt – dass in Israel sowohl orthodoxe als auch konservative und Reformbewegungen am heiligsten Ort der Juden auf ihre Weise beten dürfen – war lange Zeit nicht der Fall. Es herrschten strenge orthodoxe Regeln, vorgegeben von dem ultraorthodoxen Rabbi Schmuel Rabinowitsch von der „Western Wall Heritage Foundation“. Er hat die Aufsicht über den bisherigen Teil der Klagemauer und war über die Entscheidung am Sonntag wenig erfreut. Der Rabbiner teilte mit, er habe sie „schweren Herzens“ vernommen.

Unter seiner Aufsicht durfte an der Klagemauer jahrelang nur nach streng orthodoxen Regeln gebetet werden: Männer in einem 48 Meter langen Bereich, Frauen in einem blickdicht abgetrennten, nur 17 Meter langen Teil südlich davon. Lange durften sie nicht laut singen und beten, geschweige denn aus der Thora lesen oder Gebetsriemen oder -schals tragen. Im orthodoxen Judentum ist das den Männern vorbehalten.

Es wird ein größeres Projekt

Die konservativen und reformierten Gemeinden, viele davon aus den USA, sahen das nicht ein. Und so begannen die Frauen von der Mauer vor 27 Jahren, jeden ersten Tag im Monat nach dem jüdischen Kalender morgens um sieben Uhr gemeinsam an die Klagemauer zu kommen, und den orthodoxen Regeln zu trotzen. Ihr Markenzeichen waren die eigens angefertigten Gebetsschals mit rosa-, violett- und lilafarbenem Muster.

Nach jahrelangem Kampf und heftigen Rangeleien entschied das Bezirksgericht in Jerusalem 2013, dass die Frauen zumindest singen sowie Riemen und Schals tragen dürfen. Doch das Lesen aus der Thora war weiterhin tabu, und die Geschlechtertrennung blieb erhalten. Vor zweieinhalb Jahren dann begannen die Verhandlungen um einen separaten Gebetsbereich. Dieser soll südlich des bisherigen Platzes liegen. Gerechnet wird mit Kosten in Höhe von mehr als acht Millionen Euro. Das Geld soll unter anderem aus dem Büro des Premierministers und aus dem Finanzministerium kommen.

Es wird ein größeres Projekt. Denn bisher ist der Bereich nur über einen separaten Eingang zugänglich und liegt einige Meter tiefer als der herkömmliche Gebetsplatz. „Es sieht ja tatsächlich so aus, als würde man uns in den hinteren Teil des Busses stecken, als würde man uns da runterwerfen. Aber der Plan ist, es zu einem majestätischen Platz zu machen, der über den gleichen Eingang zugänglich ist“, sagt Hoffman. Wenn es so weit ist, soll ein Komitee die Aufsicht über diesen neuen, 900 Quadratmeter großen, Gebetsplatz haben. Der Vorsitzende der Jewish Agency, Vertreterinnen der Women of the Wall, der konservativen sowie der Reformbewegung, der jüdischen Verbände von Nordamerika und der Regierung sollen diesem Komitee angehören. Bis es dazu kommt, dürfen die Frauen weiterhin im Frauenbereich beten.

Orthodoxe Frauen wollen Trennung beibehalten

Doch Anat Hoffman ist nicht naiv und weiß, dass das alles erst der Anfang ist. „Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Was jetzt folgen muss, ist die Implementierung der politischen Entscheidung. Das ist eine Herausforderung und kann Jahre dauern.“ Ihr ist auch klar, dass die Zahl der Gegner mit der Entscheidung nicht kleiner geworden ist, im Gegenteil. So hat die palästinensische Autonomiebehörde bereits kritisiert, der Bauplan verstoße gegen den Status quo auf dem Tempelberg.

Die jordanische Waqf, eine muslimische Stiftung, die den Tempelberg oberhalb der Klagemauer verwaltet, sieht darin einen weiteren Versuch Israels, die Al- Aksa-Moschee zu unterminieren. Selbst einige Frauen sind verärgert über die Entscheidung. Schon als die Verhandlungen um den neuen Gebetsplatz begannen, gründeten einige die Gruppe „Original Women of the Wall“. Ihre Mitglieder sind orthodoxe Frauen, die zwar aus der Thora lesen wollen, allerdings von den Männern getrennt.

Da es danach aussieht, dass im alten Bereich zukünftig wieder nach den strengen ultraorthodoxen Regeln unter der Aufsicht von Rabbi Schmuel Rabinowitsch gebetet werden soll, kommt für diese Frauen dann kein Gebetsort mehr infrage. Doch auch dafür sieht Anat Hoffman eine pragmatische Lösung: „Für diesen Fall haben wir bereits an eine Trennung im neuen Bereich gedacht.“ Nach 27 Jahren habe sie gelernt, Kompromisse einzugehen.

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