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Kostümbildner unter den Designern. John Galliano inszenierte in seinen Schauen historische Szenen. In einer Welt von Schönheit und Drogen verlor sich ein einsamer Mann.

© AFP

John Galliano: Provokation im Übermaß

Der britische Designer John Galliano – vom Superstar zum einsamen Genie, das nicht mit sich fertig wird.

Hoffentlich hat er nicht das Hochzeitskleid für Kate Middleton entworfen. John Galliano war der angesehenste britische Designer, den es gibt. Jedenfalls bis vor einer Woche. Jetzt ist John Galliano das Hauptthema bei den Prêt-à-porter-Schauen in Paris. Alle stellen die Frage: Wie konnte der ebenso begnadete wie exzentrische Designer, der die Modewelt wie kein anderer zu Beifallsstürmen hinzureißen wusste, nur so abgleiten? Seine kreativen Provokationen haben die Annalen der Haute Couture bereichert, aber es waren Provokationen, die den Laufsteg als Bühne hatten und ihn, den narzisstischen Selbstdarsteller im Kostüm eines Napoleon, Kosmonauten, Stierkämpfers oder Rockers, als Beigabe.

Doch nun ist er über eine ganz andere, eine bösartige Provokation gestürzt. Das Modehaus Dior, dessen Chefdesigner er seit 1996 war, hat ihn wegen rassistischer und antisemitischer Pöbeleien in dem Pariser Szene-Café „La Perle“ fristlos entlassen. Wenn sich die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestätigen, und das erscheint angesichts des kompromittierenden Videos, in dem er in angetrunkenem Zustand „I love Hitler“ lallt, wahrscheinlich, drohen ihm Haft- und Geldstrafen von bis zu einem Jahr. Tiefer kann ein Ritter der Ehrenlegion und Commander of the Order of the British Empire kaum fallen.

Die Modewelt ist erschüttert. Viele seiner Anhänger wollen nicht wahrhaben, was er getan hat. Aber für Dior-Chef Sidney Toledano gibt es viel Verständnis. Er zog die Notbremse. Aber das Defilee, an dem morgen im Rodin-Museum Gallianos Dior-Kreationen gezeigt werden, wurde nicht abgesagt. Galliano selber wird nicht mehr dabei sein. Der Beifall am Ende der Modeschau für den Meister hätte einen schrägen Klang. Bei allem Entsetzen werden auch Stimmen der Ratlosigkeit und des Mitleids laut. In seiner beruflichen Umgebung hätten ihn alle als „sehr respektvoll gegenüber seinen Assistenten in Erinnerung – im Gegensatz zu vielen anderen Modeschöpfern“, zitiert „Le Monde“ einen Mitarbeiter. Niemals habe jemand von ihm antisemitische Äußerungen vernommen, schreibt „Libération“. Sympathiebekundungen kommen auch von Kollegen wie Roberto Cavalli. „Ich kenne John seit vielen Jahren“, zitiert ihn die Webseite Mode.net. „Er ist ein wunderbarer Mensch. Ich kann nicht glauben, dass er rassistische Kommentare macht.“ Und Giorgio Armani bekennt: „Es tut mir sehr, sehr leid für ihn.“

Sozusagen aus dem Stand heraus hatte der 1960 in Gibraltar als Sohn eines englischen Klempners und einer spanischen Mutter geborene Galliano nach seinem Diplom 1984 am renommierten Saint Martin’s College of Art and Design in London die Modewelt erobert. 1995 trat er an die Spitze von Givenchy. Ein Jahr später wurde er zum Art Director für Prêt-à-porter und Haute Couture bei Dior. Mit seinen ausgefallenen Kreationen und seinem respektlosen Stil wurde er zum Enfant terrible. 2000 präsentierte er in seiner Clochard-Show eine „luxuriöse Hommage an den vestimentären Einfallsreichtum der Armen“. Im Defilée 2006 schickte er unter dem Motto „Alle haben ein Recht auf Mode, denn alle sind schön“ Zwerge und Riesen, Dicke und Dünne, Junge und Alte und Schöne und Hässliche“ über den Laufsteg. Das brachte dem Haus Dior Protestdemonstrationen ein. „Ich provoziere nicht, um zu provozieren“, rechtfertigte Galliano sich in einem seiner seltenen Interviews, „ich provoziere, um Debatten auszulösen“. Von Bernard Arnault, dem Eigentümer des Luxuskonzerns LVMH, in dem Dior als Juwel funkelt, bekam er stets Rückendeckung. Das Publikum drängelte sich in seine Schauen, die Umsatzzahlen stiegen. Dieser Glanz soll in jüngster Zeit dunkle Flecken bekommen haben. Seine engsten Mitarbeiter hätten Galliano in den letzten Wochen kaum noch zu Gesicht bekommen, geht als Gerücht um. Besucher hätten ihn fahrig erlebt, mit zitternder Hand die Teetasse haltend und eine Zigarette nach der anderen rauchend, weiß „Le Figaro“ zu berichten. Folgen bewusstseinsverändernder Substanzen? Anders als Yves Saint-Laurent, der andere große Modeschöpfer, der unter Abhängigkeiten litt, habe Galliano keinen Freund wie Pierre Bergé, der Saint-Laurent beistand, schreibt das Blatt. Gallianos rechte Hand, Steven Robinson, starb 2007 an einer Überdosis. Sein anderer enger Kollege Alexander McQueen nahm sich 2010 das Leben. Um Galliano muss es zuletzt sehr einsam geworden sein. Das entschuldigt seine Tiraden nicht. Aber es mag ein wenig erklären, warum sich dieser Mann bis zur Selbstzerstörung gehen ließ.

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