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Das Vereinsheim des Amsterdamer Fußballklubs Nieuw Sloten. Drei Jugendspieler des Klubs sollen einen Linienrichter zu Tode geprügelt haben.

© dpa

Jugendgewalt auf dem Fußballplatz: Tod eines Linienrichters

Einen Tag nach der tödlichen Prügelattacke auf den Linienrichter eines Jugendfußballspiels stehen die Niederlande unter Schock. Dass es sich bei den Tätern um junge Marokkaner handelt, wirft Fragen auf.

Am Tag danach. Ein Land steht unter Schock. „Wie können die Sicherungen bei 15- und 16-jährigen Jungs so durchknallen? Wir müssen etwas tun, denn das ist verrückt“, fordert Frank de Boer, der Trainer des niederländischen Fußballmeisters Ajax Amsterdam. Die Sportministerin Edith Schippers verspricht: „Wir werden das unter gar keinen Umständen tolerieren!“ Und Joseph Blatter, Präsident des Weltverbandes Fifa, beklagt via Twitter „eine fürchterliche Tragödie“.

Am Montagabend erlag der 41 Jahre alte Familienvater Richard Nieuwenhuizen den Verletzungen, die er sich nach einer Prügelattacke gewalttätiger Fußballspieler zugezogen hatte. Richard Nieuwenhuizen war, was die Niederländer einen „Hobby-Grensrechter“ nennen. Ein Vater, der bei den Spielen der Jugendmannschaft seines Sohnes am Platz stand und die Fahne in der Hand hielt, der Abseitsstellungen anzeigte oder dem Schiedsrichter signalisierte, wenn der Ball die Seitenlinie überschritten hatte. Wer einen Eindruck haben will, welche Sympathien man sich mit diesem ehrenamtlichen Job erwirbt, kann sich auch an jedem x-beliebigen Wochenende auf den Berliner Bolzplätzen umschauen. Wüste Beschimpfungen und Anfeindungen sind noch das Mindeste.

Für Richard Nieuwenhuizen endete das Ehrenamt am Spielfeldrand tödlich.

Den vergangenen Sonntag verbrachte er mal wieder auf dem Fußballplatz, abermals mit der Fahne in der Hand. Die Buitenboys seines Sohnes spielten daheim in Almere gegen den SV Nieuw Sloten aus Amsterdam. Nach dem Spiel hätten alle Spieler dem Schiedsrichter die Hand gegeben, erzählt Rob Mueller, Klub-Sekretär der Buitenboys, dem „Allgemeeen Dagblad“. „Aber drei Spieler von Nieuw Sloten sind zu unserem Linienrichter gelaufen, sie haben ihn zu Boden gestoßen und auf ihn eingetreten.“

Nieuwenhuizen rappelt sich noch einmal auf, er läuft ein paar Schritte, aber seine Peiniger sind schneller und treten zu, immer wieder, vor den Augen des Sohnes. Als die Schläger endlich überwältigt werden, hat Nieuwenhuizen schwere Tritte gegen den Hals und den Kopf eingesteckt. Er habe zunächst über Unwohlsein geklagt, sich aber relativ schnell wieder erholt und sich nach einer kurzen Pause daheim auf dem Sofa sogar noch ein anderes Spiel angeschaut. Dann sei er noch auf seinem Platz zusammengebrochen und sofort ins Krankenhaus gebracht worden. Am folgenden Tag erliegt er seinen schweren Hirnverletzungen.

Gewalt auf dem Fußballplatz ist keineswegs ein Minderheitenproblem

Dass es sich bei den festgenommenen Schlägern laut „Algemeen Dagblad“ um drei Marokkaner handelt, macht den Fall nicht unbedingt leichter. Nach einem Bericht des Innenministeriums vom November 2011 wurden 40 Prozent aller marokkanischen Einwanderer im Alter zwischen 12 und 24 Jahren innerhalb der letzten fünf Jahre wegen Verbrechen in den Niederlanden verhaftet, verurteilt oder angeklagt. In Stadtvierteln mit mehrheitlich marokkanischstämmigen Einwohnern erreiche die Jugendkriminalität bereits 50 Prozent. Es stand schon mal besser um das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen.

Dabei ist Gewalt auf dem Fußballplatz keineswegs ein Minderheitenproblem und schon gar keines allein der Niederländer. Auch in Deutschland sind Übergriffe auf dem Platz und gerade gegen Schiedsrichter längst trauriger Alltag, wenn auch nicht mit der tragischen, in Almere erlebten Konsequenz. Im vergangenen Jahr wurde ein Schiedsrichter in Nordrhein-Westfalen niedergeschlagen und anschließend mit Tritten malträtiert. In Berlin prügelte der Spieler einer Altherrenmannschaft den Schiedsrichter ins Krankenhaus. In den unteren Ligen sind Übergriffe so selbstverständlich geworden, dass sie beim Berliner Fußball-Verband unter der Hand „Prügel-Klassen“ genannt werden. 65 Fußballspiele werden jährlich in Berlin abgebrochen, die Hälfte wegen Gewalt und Pöbeleien. Unaufhaltsam schwindet der Respekt vor Schiedsrichtern. Das ist so überraschend nicht in einer Gesellschaft, die Polizisten oft nur noch den Status von Kasperlefiguren in Förster-Uniformen zubilligt.

Auch die Millionenverdiener auf dem Platz gehen nicht immer mit gutem Beispiel voran. Im Sommer verhängte der Deutsche Fußball-Bund Sperren gegen vier Profis von Hertha BSC, weil diese in den Wirren des skandalumwitterten Relegationsspiels bei Fortuna Düsseldorf mit Schiedsrichter Stark aneinandergeraten waren. Ein paar Wochen später musste abermals in Düsseldorf das Testspiel zwischen der Fortuna und Benfica Lissabon vorzeitig beendet werden, weil Schiedsrichter Fischer nach einem Bodycheck von Benficas Kapitän Luisao kurzzeitig das Bewusstsein verlor. Der Brasilianer kam mit einer schmeichelhaften Sperre von zwei Monaten davon.

Nun ist Gewalt auf dem Fußballplatz kein Problem der modernen Zeiten. Schon 1910 notierte ein englischer Reporter: „Fußtritte in den Unterleib mit nachfolgenden Blasenbrüchen, Darmbrüchen und Unterleibsentzündungen sind an der Tagesordnung. Auch greift immer mehr die Unsitte um sich, den Schiedsrichter mit Ziegelsteinen und Eisenstangen anzugreifen, wenn eine seiner Entscheidungen das Missfallen der spielenden Partei erregt.“ 1977 traten im argentinischen Cordoba Spieler des Klubs Sportivo Rural den Linienrichter zu Tode. Und 1989 ließ die kolumbianische Wettmafia einen Schiedsrichter exekutieren. Ein Jahr später wurde bei einem spanischen Zweitligaspiel der Schiedsrichter von einem Zuschauer erschossen.

Der niederländische Fußballverband hat für das kommende Wochenende alle Amateurspiele abgesagt. Vor den Profispielen wird es eine Schweigeminute geben, Spieler und Schiedsrichter tragen Trauerflor. Die festgenommen Schläger wurden am Dienstag dem Haftrichter vorgeführt. Und der SV Nieuw Sloten hat seine Jugendmannschaft abgemeldet.

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