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Kachelmanns neuer Anwalt: Der Starfighter

Johann Schwenn, der neue Anwalt von Jörg Kachelmann, fährt eine andere Strategie. Er verteidigt nicht – er klagt an. Und zwar alle. Aus dem Prozess ist eine Zirkusnummer ohne Dompteur geworden.

Er müht sich nicht, seine Überheblichkeit zu verbergen. Hat dieses Verfahren mit seinen versammelten einfältigen Protagonisten ihn nicht wie ein Lotsenschiff angesteuert? Nun denn! Nun steht er also am Ruder, auf dass die Irrfahrt ende.

Jörg Kachelmann, Wettermoderator unter Vergewaltigungsverdacht, hat einen neuen Anwalt an seiner Seite, Johann Schwenn aus Hamburg. Ein silberhaariger Button-Down-Hemdträger, die weiße Krawatte gern so eng geschnürt, dass es aussieht, als würge sie ihn.

Schwenn, Jahrgang 1947, spricht ein bisschen breit und hanseatisch, aber nicht zu sehr, und wenn er einen besonders schönen Satz in den Gerichtssaal gepfeffert hat, schnaubt er zufrieden in sein Mikrofon, während das Publikum auflacht, gar johlt, der Richter um Fassung ringt, der Staatsanwalt beleidigt ist. Aus der leidlich disziplinierten Wahrheitssuche der Anfangstage ist eine Zirkusnummer ohne Dompteur geworden.

„So ist er eben“, sagen Anwälte, die Schwenn kennen. Große Strafverteidiger neigen zum Divenhaften, lassen sich von der Presse schmeicheln und von Kollegen bewundern. Allein diese Auswahl seiner Mandanten: Markus Wolf, Marion Gräfin Dönhoff, Peter-Jürgen Boock, Wolf Biermann, Gregor Gysi, Jan-Philipp Reemtsma, Barbara Wussow, Jan Ullrich. Das sind mal Namen. Schwenn, dessen Kanzlei im Internet unter der doppelsinnigen Adresse rechtschaffen.de zu erreichen ist, spricht gern von sich und seinen Erfolgen und zeigt den Wohlstand, den sie ihm eintrugen. Mancher wendet sich da auch angewidert ab, „klar ist er gut“, sagt ein Kollege, aber das Großmannsgebaren verstöre. „Er gehört noch zu der Generation, die meint, wer auf sich hält, müsse zu Weihnachten eine Kiste Wein verschicken.“

Doch so wild die Auftritte von Kachelmanns Neuem auch sein mögen – im Saal kommt es darauf an, dass man ihm folgt, ihm und seinen Argumenten. Um Glaubwürdigkeit geht es, um die wird gerungen. Und wie glaubwürdig ist einer, der den halben Prozess verpasst hat?

Die langjährige Kachelmann-Freundin Claudia D. sagt, der Moderator habe sie in einer Februarnacht vergewaltigt, weil sie die Trennung wollte, nachdem sie von seinen weiteren Liebschaften erfahren hatte. Kachelmann dagegen stellt sich als Opfer einer Lügnerin dar, die grausam Rache nimmt. Wo liegt die Wahrheit, wem ist zu glauben?

Dann tritt der erste Zeuge des Tages auf, in diesem großen fensterlosen Saal irgendwo in dem Gerichtsgebäudeklotz gegenüber dem Mannheimer Schloss. Es ist der Heidelberger Psychiater Günter Seidler, der Claudia D. behandelt, vorgestellt von seinem Anwalt als „weltweit anerkannter Traumatherapeut“. Da lacht Schwenn kurz und hämisch. Ein Lachen für das Publikum. Es soll sagen: Was jetzt kommt, nehmen wir sowieso nicht ernst. Auch Kachelmann lacht auf. Er wirkt ansonsten müde, sieht verquollen aus, teigig. Er hat nun, was er wollte. Einen Streiter. Bislang hat der prominente Angeklagte geschwiegen, der überraschende Anwaltswechsel ist seine erste Mitteilung in diesem Verfahren. Nur: Was bedeutet sie?

Dann schließen sich, wie immer in diesem Verfahren, die Türen für die Öffentlichkeit. Intimes soll geheim bleiben.

Am Vorwurf, sollte er sich wie angeklagt abgespielt haben, gibt es wenig zu deuteln. Daran, wie er im Prozess aufzuarbeiten ist, schon. Schwenn legt einen Finger auf die Wunde, wenn er den ständigen Ausschluss der Öffentlichkeit bemängelt. Es hat sich so eingebürgert bei Sexualstraftaten, aber dies ist eben kein Verfahren wie jedes andere. Kachelmann-Freundinnen, die in Illustrierteninterviews gegen Geld die Röcke heben, könnte das auch vor Gericht und Publikum zuzumuten sein.

Glaubwürdigkeit kennt viele Akteure, in diesem Prozess sind es neben den Zeugen die Sachverständigen, die Mediziner, Psychologen und Psychiater, es sind aber auch die Staatsanwälte, die Richter und Kachelmanns Anwälte, denen man glauben soll, und es sind die Medien, die, wie der „Focus“ in dieser Woche, mit abnehmender Scham intervenieren.

Das Münchner Magazin berichtet von einer weiteren Freundin des Angeklagten, einer Schweizerin, die von einer angeblichen Liebesnacht im Januar erzählt: „Er sei brutal geworden, ganz brutal, einfach nur brutal“, habe sich „plötzlich verwandelt“. Ein Kachelmann-Erlebnis, wie es verschiedene Zeuginnen schilderten, allen voran Claudia D..

Aussagen will die Schweizerin aber nicht. Für Schwenn ein Skandal. Die Frau sei eine „geführte und bezahlte Zeugin“. Am Mittwoch beantragt er die Durchsuchung der Redaktionen von „Focus“ und „Bunte“. Dort liege „entlastendes Material“, unter anderem Verträge, die mit den Zeuginnen geschlossen worden seien. Die Magazine hätten „die Geldgier und die Geltungssucht der Frauen genutzt“, um den Prozess zu manipulieren. „Focus“ verfüge über frische Aktenauszüge, „und die Staatsanwaltschaft kooperiert offenbar“. Vorgängeranwalt Birkenstock habe dies alles viel zu lange hingenommen, seine Mitverteidigerin Andrea Combé habe er „faktisch entmündigt“.

In der Tat trat Birkenstock bescheiden auf. Er adressierte seine Schriftsätze an das „Hohe Gericht“, so weit gingen Demut und Diplomatie. Hoffte, Richter und Staatsanwälte milde zu stimmen, indem er nicht zu jedem Mittel griff, Kachelmann aus der Untersuchungshaft freizubekommen. Doch Richter und Staatsanwälte in Mannheim blieben hart, erst das Oberlandesgericht Karlsruhe erlöste den Angeklagten. Dann versammelte der Anwalt einen Reigen erlesener Gutachternamen, ließ sie pro Kachelmann votieren. In der Hauptverhandlung wurde der gemächliche Birkenstock beweglicher, ließ Befangenheitsanträge los, verunsicherte die Richter.

Schwenn kam das alles zu spät, zu zögerlich. Wie er über seinen Vorgänger denkt, darüber muss man nicht rätseln, er sagt es klar und deutlich. Er ist der Retter des Verfahrens und des Angeklagten, derjenige, der weiß, wo es langgeht. Sein Auftreten ist das Gegenteil von hanseatisch-dezent, er schulmeistert die Richter, wie Zeugen zu fragen sind, welche taugen und welche nicht. Er schafft es, sich mit allen anzulegen, mit denen Vorgänger Birkenstock noch sein Auskommen suchte, Richtern, Staatsanwälten, Gutachtern. Ein Verteidiger hat vor Gericht viele Freiheiten, würden die Richter ihn zur Ordnung rufen, sein Auftreten kritisieren, sie würden als befangen gelten.

In Strafverteidigerkreisen gilt der späte Einstieg von Meister Schwenn in den Prozess als mindestens gewagt, doch der Anwalt ist glänzend vorbereitet, steht voll im Stoff; er war wohl auch schon länger ein Anwärter auf Birkenstocks Posten. Nicht nur, dass eine „Zeit“-Journalistin Birkenstock vor Monaten bewegen wollte, Schwenn dazuzuholen, auch er selbst hat sich mit einem Aufsatz im Dezemberheft von „Cicero“ in Position gebracht.

Rückblickend wirkt der Text jetzt wie eine Blaupause der vergangenen Prozesstage. Der Gutachterin Luise Greuel, einer Bremer Psychologin, wirft der Anwalt vor, sie schildere Kachelmann als krankhaften Narziss mit einem Jekyll-and- Hyde-Syndrom. Damit überschreite sie ihre Kompetenz, sollte sie doch nur die Glaubhaftigkeit der Aussage von Claudia D. bewerten. Prompt stellte Schwenn im Prozess einen Befangenheitsantrag, obwohl Greuels Gutachten Anwalt Birkenstock noch dazu gedient hatte, die Aussage anzugreifen.

„Jagdeifer“, unterstellt Schwenn. Dabei ist er ein großer Anhänger von Sachverständigen bei Missbrauchs- und Vergewaltigungsvorwürfen. Nur müssen es die richtigen sein. Keine Psychotraumatologen, kein Günter Seidler.

Schwenn ist ein Experte für Wiederaufnahmeverfahren, vor allem bei rechtskräftigen Fehlurteilen nach Sexualtaten. Darüber schreibt er im aktuellen „Strafverteidiger“, einer juristischen Fachzeitschrift. Der Anwalt kritisiert, wie leichtfertig sich die Justiz bei solchen Taten vorfestlegt, angetrieben durch eine aufgeheizte Öffentlichkeit, die „meist weiblichen“ Beamten in den Anklage-Sonderdezernaten und die „meist weiblichen“ Opferanwälte. Ein besonderer Graus sind ihm die Traumatologen, weil sie, schreibt er, vom Vorhandensein einer psychischen Störung auf eine stattgefundene Tat folgerten, statt die Störung als Ursache der falschen Vorwürfe zu erkennen. Ein unseliger Zirkelschluss, der schon manch Unschuldigen die Freiheit gekostet habe.

Schwenn weiß mit den Naivlingen umzugehen, notfalls, so schreibt er, bedürfe es auch mal einer Beschlagnahme in der Hauptverhandlung, um die Sektierer zu entlarven, ihre Unterlagen verrieten sie. Schrieb’s, und ließ als Anwalt im Prozess vergangene Woche prompt Seidlers Koffer öffnen und bis auf die Brotdose untersuchen. Seidler sei ein Scharlatan, sagt Schwenn, der behaupte ja sogar, er könne Todesangst riechen. Am Mittwoch sagt Schwenn, man sei fündig geworden, es gebe verdächtige „tagebuchartige Notizen“ zu der Nebenklägerin.

Was kann Schwenn riechen? Unschuld? So deutet es zumindest die „Zeit“-Journalistin an, die Schwenn für Kachelmann empfahl und für die auch der Anwalt in seinem Aufsatz lobende Worte findet. Er, Schwenn, vertrete Verurteilte „auf eigenes Risiko“, heißt es in der „Zeit“, wenn er beim Sichten der Akten „das Gefühl“ bekomme, „für ein Opfer der Strafjustiz zu kämpfen“.

Dieses Gefühl muss Schwenn auch bei Lektüre der Kachelmann-Akten überkommen haben. Vielleicht trügt es nicht. Zwar sind die Staatsanwälte hier nicht weiblich und der Psychotraumatologe ist auch nur als sachverständiger Zeuge mit entsprechend weniger Einfluss geladen, nicht als beauftragter Gutachter mit unabhängiger Expertise. Doch dass die Staatsanwälte zügig auf eine Anklage drangen, das Mannheimer Gericht schon mit seinen Haftbeschlüssen festgelegt erschien, das stimmt. Offen ist, ob sich die Beteiligten davon lösen können.

Irgendwo zwischen Vorurteil und Urteil muss das Gericht in diesem Prozess seine Wahrheit finden, wem es glauben will und wer nach seiner Ansicht lügt. Es gibt niemanden mehr, der nicht eine Überzeugung hätte, mindestens ein Gefühl, niemanden, der nicht voreingenommen wäre, sei es durch Sympathie und Fernsehbilder, durch eine weinende Zeugin, durch langjährige wissenschaftliche Expertise, durch professionelle Beschäftigung mit Justizirrtümern und Wiederaufnahmen, durch seine Haltung zu Psychiatern oder der Traumatologie.

Nun geht es darum, trotz Voreingenommenseins Glaubwürdigkeit zu zeigen, verlässlich zu sein wie einer, dessen Wahrheit man vertrauen kann. Ob Schwenn, der sein eingeübtes Wiederaufnahme- Raster nun ohne Federlesen an diesen Prozess anlegt, seinem Mandanten dabei hilfreich ist, steht noch nicht fest. Kachelmann befindet sich mitten in einem für ihn sehr wichtigen Rennen und da wechselt er die Pferde. Wer so etwas tut, hat entweder Angst, oder er spielt.

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