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Panorama: Kannibalismus ist Mord

Der Bundesgerichtshof hebt das milde Urteil für den Menschenfresser Armin Meiwes auf – jetzt droht ihm lebenslange Haft

Karlsruhe/Berlin - Im Fall des Kannibalen von Rotenburg hat am Freitag das höchste deutsche Strafgericht sein Urteil gesprochen, aber es war nicht das letzte Wort: Der Prozess um Armin Meiwes muss vor dem Landgericht Frankfurt erneut aufgerollt werden. Eine schlechte Nachricht für den 43-Jährigen. Sie könnte bedeuten, dass er nie wieder in Freiheit gelangt – nicht einmal nach dem Verbüßen von mindestens 15 Jahren Haft, die in Deutschland gemeinhin als lebenslänglich gelten.

Armin Meiwes, entschied der Bundesgerichtshof, könnte auch ein Mörder sein. Das Kasseler Landgericht hatte ihn für seine Tat nur wegen Totschlags mit achteinhalb Jahren Haft bestraft. Auf Mord steht dagegen lebenslang. Die Bundesanwaltschaft kündigte an, möglicherweise auf die Feststellung der „besonderen Schwere der Schuld“ dringen zu wollen, weil Meiwes juristisch gesehen in mehrfacher Hinsicht einen Mord begangen habe. Kann sie sich durchsetzen, ist eine zeitige Entlassung ausgeschlossen.

Armin Meiwes hat mit seiner Bluttat erst Kriminalgeschichte geschrieben, jetzt schreibt er Rechtsgeschichte. Der Hesse hatte den Berliner Bernd B. im Internet kennen gelernt und ihn mit dessen ausdrücklichem Einverständnis verstümmelt, getötet und teilweise gegessen. Einen solchen Fall gab es weltweit noch nie. Kannibalismus ist im deutschen Recht kein eigener Straftatbestand, und noch nie ist jemand wegen Mordes bestraft worden, wenn das Opfer zuvor um seine Ermordung gebeten hat.

Was ist zu tun mit einem solchen Mann? Die Psychiater diagnostizierten bei ihm eine seltene Fixierung auf den „Fetisch Menschenfleisch“ schon seit seiner Pubertät. Sein Opfer galt als krankhafter Masochist. Bernd B. billigten die Gutachter zu, die Folgen seines Tuns nicht überblickt zu haben, zu sehr sei er auf Befriedigung seines befremdlichen Verlangens aus gewesen. Beim Täter war es anders. Er handelte rational – nach seinen Maßstäben. Aber ohne Trübung seines Bewusstseins. Es verbot sich damit zunächst, ihn in eine geschlossene Psychiatrie einzuweisen. Armin Meiwes ist nach den Erkenntnissen des ersten Prozesses für die Allgemeinheit ungefährlich. Die Männer, mit denen er vor der Tötung von Bernd B. seine bizarren sexuell motivierten Rollenspiele veranstaltete, kamen freiwillig. Wenn sie „Stopp“ sagten, war das Spiel vorbei. Gefährlich ist Meiwes nur für jene, die aus freien Stücken sterben wollten. Und es steht fest: Bernd B. war kein Einzelfall. Noch ein anderer Mann hatte im ersten Prozess beteuert, er habe durch Meiwes’ Hand sterben wollen. Aber der lehnte ab. Der Zeuge war ihm zu dick.

Auch diese Vorgeschichte dürfte die Bundesrichter jetzt bewogen haben, die Mordfrage noch einmal prüfen zu lassen. Zwingend ist es nicht. Rechtlich betreten die Juristen Neuland, und Mord ist traditionell ein Tatbestand, mit dem sie vorsichtig umgehen. Nur wäre Meiwes sonst bei guter Führung bald entlassen worden. Also ordnete das Gericht an, den neuen Prozess mit Rücksicht auf mögliche „Mordmerkmale“ zu führen, jene Tatbestände, die einen Totschlag juristisch zu einem Mord heraufstufen. Meiwes habe womöglich doch „zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs“ getötet, weil er die grausige Szene auf Video gefilmt und sich später daran erregt habe. Ebenso sei denkbar, er habe mit der Tat eine andere Tat ermöglichen wollen. Das Verspeisen könne eine „Störung der Totenruhe darstellen“, und das Zeigen von Szenen der Tat im Internet strafbare Gewaltverherrlichung oder Gewaltpornographie.

Der Spruch der Bundesrichter ist keine Vorentscheidung für den neuen Prozess, wohl aber ein Indiz. Eine mildere Bestrafung wegen „Tötung auf Verlangen“, wie Meiwes sie begehrte, ist vom Tisch. Die Frankfurter Richter müssen nun die Zeugen ein weiteres Mal anhören und können neue Gutachter bestellen. Vielleicht kommen diese zu dem Ergebnis, dass Meiwes doch nicht Herr seiner Sinne war. Eine Rückkehr in die Szene derer, die Menschenfresser-Phantasien anhängen – Meiwes sagt, es seien allein in Deutschland Tausende – wird es für ihn kaum geben.

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