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Karneval: Erzwungene Heiterkeit oder Riesenspaß?

Für die einen ist es eine Mordsgaudi für die anderen ein nicht enden wollender Alptraum. Wir haben zwei nach ihrer Meinung gefragt, die es wissen müssen: Der Karnevalsfan Guido Cantz hält ein Plädoyer für den Karneval, der Kabarettist Martin Maier-Bode wettert dagegen.



Guido Cantz: "Hier kann man endlich die Frau fürs Leben finden - ganz ohne RTL"



In der Session, besonders im Straßenkarneval, erlebt man ein Gruppengefühl vergleichbar mit der Euphorie bei der WM im eigenen Land. Vor zwei Jahren hieß das "public viewing". Gut, dann nenne ich den Karneval "public schunkling".

Der Karneval gibt vielen Leuten die Möglichkeit, sich einmal im Jahr zu verkleiden und in eine andere Rolle zu schlüpfen. Viele Frauen, und in Köln auch viele Männer, wollten doch schon immer Prinzessin sein.

Im Karneval wird viel gelacht und fröhliche Menschen leben länger und besser. Curzio Malaparte hat einmal gesagt: "Jedes Mal, wenn ein Mensch lacht, fügt er seinem Leben ein paar Tage hinzu.“ Im Endeffekt ist der Kölner Karneval eine riesige Selbsthilfegruppe.

Die Kölner vergessen in den jecken Tagen den Alltag und die negativen Dinge des Lebens. Egal ob Vorstandsvorsitzender oder Handwerker, sowohl in den Vereinen als auch an der Theke spielt das keine Rolle. Touristen kommen sofort mit Einheimischen in Kontakt und werden auf der Stelle integriert und geduzt.

Der Karneval ist ein immenser Wirtschaftsfaktor für die ganze Region in und um Köln. Laut eigenen Angaben erwirtschaftet Köln 330 Millionen Euro pro Session. Durch die fünfte Jahreszeit werden viele Arbeitsplätze geschaffen und gesichert.

Viele Beziehungen haben ihren Ursprung im Karneval. Sicher unterstützen der Alkohol und die damit gesunkene Hemmschwelle das Flirten ungemein. Man kann die Frau fürs Leben natürlich auch im Fernsehen kennen lernen. Wenn man sich im TV aus vielen Frauen eine aussucht, nennt RTL das "Bauer sucht Frau". In Köln heißt das Weiberfastnacht!

Bei den zahlreichen Karnevalsumzügen werden den Zuschauern Schokoladen, Pralinen und Blumensträuße (Strüßjer) zugeworfen. Das ist einmalig auf der Welt. Hier zahlen die Zuschauer nicht nur keinen Eintritt, sondern gehen auch noch dick bepackt nach Hause.

Karneval ist die beste Schule für Leute, die auf der Bühne Erfolg haben wollen. Nirgendwo sonst hat man bis zu zehn Veranstaltungen pro Tag, auf die man sich immer wieder neu einstellen muss. Um Timing, Spontaneität und Aktualität zu perfektionieren, ist der Karneval das beste Trainingslager. Danach sind Comedy- oder Kabarettauftritte viel einfacher zu bewältigen.

Der Kölner Guido Cantz ist Moderator, Comedian und Karnevalist. Er moderiert die Fernsehshow "Deal or no deal" auf Sat.1. Der 36-Jährige tourt ab April mit seinem Programm "Ich will ein Kind von Dir" durch Deutschland. Im Internet: www.guidocantz.de

Martin Maier-Bode:

"Langweilige Menschen üben sich zwanghaft in Humor"

Der etablierte Karneval erfüllt in keiner Weise, wofür Karneval eigentlich ursprünglich stand und auch heute noch stehen könnte: Spaß, Ausgelassenheit, Originalität und unterhaltsame Kritik an den bestehenden Verhältnissen. Stattdessen herrscht fast ausnahmslos hausbackene Biederkeit und Langeweile.

In vielen Karnevalshochburgen versuchen zu allem Überfluss auch noch zahlreiche Funktionäre, über den Karneval die eigene Karriere voranzutreiben. Das macht den Karneval, der eigentlich enthemmte Lebensfreude ausdrücken sollte, häufig zu einer schrecklichen Veranstaltung langweiliger Menschen, die plötzlich auf gezwungene Art witzig werden wollen und meist fatal dabei scheitern.

Im Zentrum dieser Antifrohsinnsbewegung steht der Sitzungskarneval. Da reicht die gescheiterte Bespaßung von der meist frauenfeindlichen und mitunter unmittelbar pornografischen Herrensitzung bis zum öden, stundenlang vor sich hinquälenden Ordensüberreichen in den „normalen“ Sitzungen. Ein fast höfisches Korsett von Honoratiorenerwähnung lässt kaum Stimmung aufkommen, die Beiträge wirken konfektioniert und wehtun darf das Bühnenprogramm bitte auch niemandem. Kein Wunder, dass den Sitzungen scharenweise die Zuschauer weglaufen. Das hat mit Timing und unseren modernen Sehgewohnheiten nichts mehr zu tun.

Der offizielle Straßenkarneval schiebt diese gewollte Heiterkeit der Sitzungen mit den Zügen häufig trist auf die Strasse. Inhaltlich dürftige Wagen unterbrechen uniformierte Bataillone spaßbefreiter Gefreiter. Die Straßenränder füllen sich nur noch durch kamellegeile Passanten, die froh sind, dass es etwas umsonst gibt. Das ist nur unter massivem Alkoholeinsatz zu ertragen.

Ein Höhepunkt an Ödnis und Verzweiflung stellt die siebenstündige(!) Berichterstattung über den Kölner Rosenmontagszug im WDR-Fernsehen dar. Wer bis dato nicht verstanden hat, warum man Karneval auch hassen kann, sollte sich das mal anschauen – vom Informations- und Humorfaktor ist das ganz nah bei der 1.Maiberichterstattung des DDR-Fernsehens.

Martin Maier-Bode ist Kabarettist und Autor. Alljährlich schreibt und inszeniert er für die "Stunk"-Sitzung in Düsseldorf und Neuss. Mit seinem aktuellen Soloprogramm "Schnitzeltaxi" tourt der 41-Jährige durch Deutschland. Im Internet: www.maier-bode.de

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