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Panorama: Kein nettes Mädchen

Bibiana Beglau überrascht – sich und das Publikum – im Theater und im Kino mit klaren, herben Figuren

Sie könnte eine Rebellin verkörpern und eine verschleierte Fundamentalistin, eine burschikose Ehefrau und eine damenhafte Hure, sie war schon Selbstmörderin und Terroristin, Widerständlerin und Verrückte – sie hat keine Scheu vor Extremen. Wenn eine Gemeinsamkeit in dieser Rollenvielfalt der Bibiana Beglau liegt, ist es der Ernst, das Pathos, das in ihren Gesten liegt, eine gewisse Pfarrhaus-Strenge, die einen an die Lehrerin aus der Schule erinnert, die einem damals immer das Kriegsspielzeug wegnahm. Aber sie kann genauso gut liederliche Spaßmädchen spielen, die sich besaufen und bekiffen, ohne dass sie damit das Elend der Welt wegdröhnen.

Wahrscheinlich wird Bibiana Beglau ziemlich oft missverstanden, weil man in ihren Rollen immer sie selbst finden möchte – wie oft bei Schauspielern, gerade wenn sie gut sind. „Es ist egal, ob ich Schauspielerin bin oder nicht“, hat sie mal gesagt, und daran erinnert, dass sie ursprünglich Bildhauerin werden wollte: „Es ist eigentlich das gleiche Gefühl, ob ich mit Stein arbeite oder ein Bild male oder auf der Bühne stehe.“

Nach über zehn Jahren Bühnen- und Filmarbeit kann Beglau immer noch überraschen. In Florian Hoffmeisters Film „3 Grad kälter“, der gerade im Kino angelaufen ist, spielt sie eine Frau, deren große Liebe einst spurlos verschwand. Sie hat sich mit dem Leben arrangiert, ist mit einem anderen zusammen, da taucht der Verschwundene plötzlich wieder auf, kommt einfach durch die Tür. Es sind kleine, fast spurlose Zeichen, mit denen Beglau die Erschütterung ihrer Figur zeigt, Verwundung nach außen trägt.

In der Zurückhaltung ihres Spiels ist sie, obwohl sie doch vom Theater kommt, eine typische Kinodarstellerin. Zum Theater kehrt sie immer wieder zurück, wie viele ihrer deutschen Kollegen. Als wäre Film doch immer noch etwas Unseriöses, irgendwie Sündhaftes, und nicht wirklich ernst zu nehmen, Theater dagegen das Eigentliche.

„Theater ist eher Porno“, hat Bibiana Beglau mal gesagt: „Ein Porno der Seele … Im Theater ist es immer wie kurz vor diesem bestimmten Moment eines Mordes, wenn der Mörder seinem Opfer in die Augen blickt, um zu sehen, wie genau das Augenlicht bricht.“ – Am Donnerstag hat sie an der Volksbühne in „Die Vaterlosen“ nach Anton Tschechow und Thomas Brasch in der Regie von Stefan Pucher Premiere.

Trotzdem meint man manchmal, wenn man Bibiana Beglau auf der Leinwand sieht, sie könnte ein Star des deutschen Films sein, wenn sie nur richtig gewollt und sich nicht so klar fürs Theater entschieden hätte. Aber wahrscheinlich stimmt das so auch nicht, denn man käme einfach nicht auf den Gedanken, von Bibiana Beglau zum Beispiel als von einer „neuen BB“ zu sprechen – und Beglau, die immer so ernsthaft und melancholiedurchwölkt wirkt, passt eigentlich am besten in Filme, die seit 20 Jahren in Deutschland kaum noch gemacht werden: Eine Katharina Blum hätte sie spielen können oder eine jener frühen Wenders-Frauen.

Durch einen aus dieser großen, vergangenen Zeit des „Neuen Deutschen Films“ wurde Beglau dann auch richtig bekannt: 2000 lief auf der Berlinale Volker Schlöndorffs „Die Stille nach dem Schuss“, in dem sie die Hauptrolle spielte: Eine westdeutsche linke Terroristin, die in der DDR ein zweites Leben beginnt, vage angelehnt an die Biographie von Inge Viett. Gemeinsam mit Nadja Uhl gewann Beglau dafür den Silbernen Bären. Uhls Karriere ging danach richtig ab, mit Beglau hat es länger gedauert, und die Wege waren viel verschlungener – obwohl sie danach einen ihrer besten Filme drehte, Stefan Jägers „Birthday“, ein Thirtysomething-Drama, das damals leider kaum einer gesehen hat. Mit ihm startete sie auch „eine Art Forschungsarbeit“: Um herauszufinden, was sich im Kopf eines lawinenverschütteten Menschen abspielt, ließ sie sich im Schnee vergraben – daraus entstanden ein Theaterabend, ein Hörbuch und ein Film.

Die spannendsten Rollen hat sie tatsächlich auf der Bühne gespielt – mit den besten Regisseuren, die das Gegenwartstheater zu bieten hat: Marthaler, Castorf, Schlingensief. 1971 geboren, an der Zonengrenze bei Helmstedt aufgewachsen, bekam sie Mitte der 90er zuerst in Düsseldorf, dann an anderen Bühnen schnell aufregende Theaterrollen. Im Kino waren es, wie jetzt in Hoffmeisters Debüt, oft die erwachseneren Figuren, Frauen über 30, die ihre Erfahrungen und Verwundungen hinter sich haben. Die wandlungsfähige Beglau ist in ihrer herben, angenehm unhysterischen, „normalen“ Intensität ein spannender Kontrapunkt zu den zu vielen kleinen, netten Mädchen auf der Leinwand. Man möchte sie dort öfter sehen.

Rüdiger Suchsland

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