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Panorama: Keine Gnade

Er ist 75, Indianer, blind, zuckerkrank und sitzt im Rollstuhl – heute früh wird er in Kalifornien hingerichtet

Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger hat das Gnadengesuch am Freitag ausdrücklich abgelehnt. Und so wird Clarence Ray Allen an diesem Dienstagmorgen wohl tot sein – hingerichtet um Mitternacht, wenige Stunden nach seinem 76. Geburtstag. Der Indianer wäre das zweitälteste Opfer der Todesstrafe in den USA seit deren Wiederaufnahme 1977. Vor allem aber ist er einer der am schwersten behinderten Todeskandidaten: blind und in Folge langer Zuckerkrankheit an den Rollstuhl gefesselt. In Europa wird es wohl wieder einen Aufschrei geben über die Unmenschlichkeit des Strafsystems in Amerika. In den USA dagegen hält sich die Empörung in Grenzen. Clarence Ray Allen gilt als unverbesserlicher Wiederholungstäter. Nach dem ersten Mord hatte er 1978 lebenslänglich bekommen. Erst als er aus dem Gefängnis heraus weitere Morde organisierte, wurde 1982 die Todesstrafe verhängt.

Auch in Amerika werden Stimmen laut, die Hinrichtung eines alten, blinden Indianers im Rollstuhl sei inhuman. Kaliforniens ehemaliger Verfassungsrichter Joseph Grodin hatte zwar 1986 den Antrag der Allen-Anwälte auf Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt, aber kürzlich in einem Brief an Schwarzenegger einen Gnadenakt gefordert. Diese Hinrichtung verstoße gegen Ethik und Menschenwürde. Allens früherer Gefängniswärter Daniel Vasquez appellierte an Schwarzenegger, die Exekution wäre „eine Schande“.

Auch die vielfältigen Organisationen gegen die Todesstrafe kämpfen um Gehör. Doch im Fall Allen haben sie weniger Erfolg als kürzlich bei zwei Wiederaufnahmeverfahren mit Hilfe von DNA-Tests. Der Supreme Court nahm erstmals den Fall eines in der Todeszelle sitzenden Mannes an, der per DNA-Test seine Unschuld beweisen möchte: Paul House, ein vorbestrafter Sexualstraftäter, war 1986 wegen Vergewaltigung und Mordes an der 29-jährigen Carolyn Muncey in Luttrell, Tennessee zum Tode verurteilt worden. Doch es gab Zweifel, ob nicht der Ehemann der Täter sei. Und Virginias Gouverneur Mark Warner ordnete kurz vor Amtsende die DNA-Überprüfung im Fall Roger Coleman an, der 1992 wegen Mord und Vergewaltigung seiner 19-jährigen Schwägerin Wanda McCoy hingerichtet worden war. Die Angst, dass der oder die Falsche exekutiert wird, ist in den USA das stärkste Argument gegen die Todesstrafe. Bei Coleman ergab der DNA-Test nicht die Unschuld, sondern bestätigte seine Schuld.

Clarence Ray Allen ist ein Choctaw-Indianer aus Oklahoma. 1974 unternahm er mit seinem Sohn Roger Allen einen Raubüberfall auf einen Supermarkt in Fresno, Kalifornien, der einem Bekannten, Bryon Schletewitz, gehört. Die Sache flog auf, weil Roger Allens Freundin Mary Sue Kitts, die den Räubern beim Einlösen erbeuteter Schecks half, gegenüber Supermarkt-Besitzer Schletewitz plauderte. Clarence Allen erdrosselte die 17-Jährige. Für Mord und Raubüberfall bekam Allen lebenslänglich.

Im Knast verabredete Allen mit seinem Mithäftling Billy Hamilton die Ermordung aller Zeugen, die zu seiner Verurteilung beigetragen hatten. Als Hamilton freikam, erschoss er Schletewitz sowie zwei zufällig anwesende Angestellte, die 17-jährige Josephine Rocha und den 18-jährigen Douglas White. Ein Nachbar, Jack Abbott, hörte die Schüsse und ging mit einer Waffe in der Hand nachsehen. Beim Schusswechsel wurden Hamilton und Abbott verletzt. Bei Hamilton wurde eine Liste weiterer Zeugen gefunden, die er offenbar für Allen ermorden sollte. Erst wegen dieser Verschwörung zu weiteren Morden wurde Allen zum Tode verurteilt. In seinem Fall zeigt die Mehrheit der Amerikaner kein Mitleid.

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