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Kinoerfolg: Die Hollywoodformel

Thorsten Hennig-Thurau ist Forscher – er berechnet vorher, wie viele Millionen ein Film einspielen wird.

Grimmig schaut Goethe drein, Schiller neben ihm steht die Verachtung ins Gesicht geschrieben. Die beiden Dichterlegenden wirken empört. Denn nur einige hundert Meter südlich ihrer Statue vor dem Weimarer Nationaltheater forscht ein Wissenschaftler daran, den Mythos des Dramas zu entschlüsseln. Des modernen Dramas, des Films.

Thorsten Hennig-Thurau ist Marketing-Professor an der Bauhaus-Universität und hat eine Formel entwickelt, mit der sich der Erfolg von Filmen vorausberechnen lässt. Ein ungeheuerliches Unterfangen, dem bald eine neue Bedeutung zukommen könnte: in den nächsten Wochen wird darüber entschieden, ob in Chicago die erste Warenterminbörse eröffnet, an der man Geld darauf wetten kann, wie viel ein Kinofilm einspielen wird. Für jemanden, der Filmerfolg voraussagen kann, kommt da Goldgräberstimmung auf. Solche Vorausberechnungen sind auch wichtig für Investoren, die Risikokapital in Hollywoodfilme anlegen, und können wichtig werden für Studios, die händeringend nach einer Erfolgsformel suchen.

Aber was genau ist es, das einen Film erfolgreich macht? Die meisten Menschen würden antworten: dass der Film gut ist. Hennig-Thurau würde dem widersprechen. „Die erfolgreichsten Filme sind Fortsetzungen von Kinoerfolgen sowie Adaptionen von Büchern, Comics und Videospielen“, sagt der 43-Jährige. Mit seiner Nickelbrille und dem schicken Anzug in Anthrazit sieht er eher wie der Manager eines Dax-Konzerns aus.

Er sitzt vor einem Computerbildschirm mit endlosen Zahlenkolonnen, die amerikanische Filme aus den Jahren 1998 bis 2006 repräsentieren, zerlegt in über 300 Faktoren. Zu den Variablen gehören wirtschaftliche Werte, wie die Anzahl der Leinwände, auf denen der Film angelaufen ist, oder das Werbebudget, das für die Vermarktung ausgegeben wurde. Aber auch ungewöhnlichere Faktoren, wie zum Beispiel das Echo der Filmkritiken, die „Star-Power“ der Hauptdarsteller oder wie stark das Drehbuch nach Lehrbuch geschrieben ist. Heraus kommen dabei Formeln wie BEV= (RPS – RPO) x .4886 = 52.67. Das ist der Film „Spider-Man 2“, und wie viel Geld er mehr einspielt als ein identischer Film, der keine Fortsetzung der Spider-Man-Marke wäre, nämlich: 53 Millionen Dollar. Würde „Spider-Man“ Tobey Maguire als Hauptdarsteller fehlen, hätte der zweite Teil sogar 181,8 Millionen Dollar weniger eingespielt; der US-Umsatz von „Spider-Man 2“ (373,6 Millionen) hätte sich ohne Maguire also mehr als halbiert.

Die „Star-Power“ ist also eine Schlüsselvariable: Sie wird errechnet aus dem durchschnittlichen Umsatz der letzten drei Filme, in denen der Star Hauptdarsteller war. Ein Star ist dabei jeder Schauspieler, der auf einem Filmplakat genannt oder gezeigt wird. Einen eher geringen Einfluss hat hingegen die Story: Eine Studentin Henning-Thuraus sah sich zwei Monate lang 66 Filme an. Sie überprüfte dabei, wie genau sich die Drehbücher an die Vorgaben halten, die Lehrbuch-Gurus wie Syd Field oder Robert McKee in ihren Standardwerken machen. Das Ergebnis: Ein klarer Story-Höhepunkt oder ein Drei-Akt-Schema, ja das Drehbuch generell, haben relativ wenig Einfluss auf den finanziellen Erfolg des Films.

Die Ergebnisse sind dabei überraschend genau: Im November rechnete Hennig-Thurau für eine englische Zeitung vor, dass „New Moon“, der zweite Teil der Vampir-Filmreihe „Twilight“, 267 Dollar in den USA einspielen würde – der wahre Wert lag bei 295 Millionen. Etwa 20 Prozent betrage die Fehlerquote normalerweise bei seinen Vorhersagen, sagt Hennig-Thurau. Das sei eine bessere Quote als bei anderen Produkten wie Joghurt oder Bier. Bei der Einführung fast aller Produkte werden solche Prognosen berechnet. Nur bei Filmen war dies lange nicht so. In Hollywood galt lange das Mantra des Drehbuchautors William Goldman: Nobody knows anything, niemand weiß vorher, wie Filme beim Publikum ankommen werden. „Das ist doch Quatsch“, dachte sich Hennig-Thurau und beschloss 2000, zusammen mit einem Freund eine Arbeit namens „Erfolgsfaktoren von Spielfilmen“ zu schreiben. Die Verbindung von Film und Marketing war damals neu.

Nicht für Thorsten Hennig-Thurau. Aus einer Kaufmannsfamilie kommend war klar, dass der Junge BWL studieren sollte. Doch mit 14 sah er Sergio Leones Italo-Western „The Good, The Bad and the Ugly“ – ein Erweckungserlebnis. „Mich fesselten die Bilder und die Präsenz von Clint Eastwood“, erinnert sich der heute 43-Jährige, „aber vor allem faszinierte mich der Mythos Kino, der das Leben so vieler Leute verändert – auch meines.“ Er ging neben dem Studium bis zu vier Mal die Woche ins Kino, schrieb Filmkritiken und -bücher. Durch seinen Lehrstuhl für Marketing und Medien fand er schließlich die Möglichkeit, sich den ganzen Tag nur noch mit Filmen beschäftigen zu können. Das Poster von „The Good, the Bad and the Ugly“ hängt nun in seinem Büro. Und in seinem Beruf zerlegt er den Mythos Kino in mathematische Formeln.

Der wissenschaftliche Ansatz, die Erfolgsfaktoren auch verstehen zu wollen, unterscheidet ihn von kommerziellen Konkurrenten wie Epagogix. Die Londoner Firma arbeitet als reiner Dienstleister, wertet für ihre Vorhersagen nur Drehbücher aus und hält ihre Formeln geheim. Doch bisher werden die Dienste von Kassenerfolgsorakeln insgesamt nur zögerlich in Anspruch genommen. Den Kreativen ist die Mathematik nicht geheuer. „Filmproduzenten glauben, ihr Wert liege darin, das Gefühl für einen guten Filmstoff zu haben“, sagt Hennig-Thurau. Die Befürchtung: Wenn ein Algorithmus nun ein besseres Näschen hätte, wären sie ihren Job los. Also wird die Formelmethode von vielen in der Filmbranche öffentlich eher belächelt. „Ein Kunstwert ist einzigartig, aber als Produkt folgt es auf dem Markt ökonomischen Regeln“, wehrt sich Hennig-Thurau. Von den zehn weltweit erfolgreichsten Filmen sind sechs Fortsetzungen von Kassenerfolgen, für acht gab es bereits Vorlagen. „Da soll doch noch einmal jemand sagen, es gäbe da kein Rezept“, sagt Hennig-Thurau.

Vor allem die Skepsis in Deutschland gegenüber den neuen Methoden erzürnt den Professor. „Die Filmförderungsanstalt etwa vergibt Millionen an die deutsche Filmwirtschaft und keiner dort setzt vernünftige statistische Methoden ein“, ereifert er sich. „Sie müssen ja nicht unbedingt mein Modell nehmen, aber sie sollten zumindest ihre Vergabe von Steuergeldern besser begründen.“

Doch mittlerweile weicht die Zurückhaltung vor der Mathematik, zumindest in den USA. Die durchschnittlichen Kosten für einen Hollywoodfilm werden auf etwa 100 Millionen Dollar geschätzt. Große Studios wie Universal gehören längst zu Riesenkonzernen wie General Electric. „Der Studioboss muss jetzt seine Renditen mit denen eines anderen Topmanagers vergleichen lassen, der Eisenbahnen baut“, erklärt Hennig-Thurau. Da verlasse sich kaum noch jemand bei einer Blockbuster-Produktion auf ein gutes Gefühl. Zumal Filme eine hoch riskante Investition sind: Geht eine Fabrik pleite, kann man wenigstens noch Maschinen verkaufen. Beim Film ist alles weg. So ist die Filmerfolgsforschung ein Zukunftsmarkt. In Hennig-Thuraus Institut in Weimar stehen die Umzugskartons, in diesen Tagen zieht sein Institut an die Universität Münster um. Dort kann der Professor die Anzahl seiner Mitarbeiter auf sieben verdoppeln. Es scheint genau die richtige Zeit für die Expansion zu sein. Denn der Prognosebranche steht ein Quantensprung bevor: Am 20. April entscheidet eine Aufsichtsbehörde in den USA über den Antrag der Finanzfirma Cantor Exchange, in Chicago eine Börse für Filme zu eröffnen. Menschen, die Gelder auf zukünftige Kinokassenerfolge setzen – das klingt nach goldenen Zeiten für Leute, die genau das berechnen. „Da werden wir alles Lehrstuhlgeld setzen“, sagt Hennig-Thurau und lacht. „Nein, ernsthaft: Wir werden die Börse genau beobachten und mit fiktiven Einsätzen spielen, um unsere Vorhersagen vergleichen zu können.“ Auf das Wohl und Wehe von Filmen Geld zu setzen, findet er jedenfalls nicht verwerflich: „Menschen wetten auf Pferde und Fußballvereine, warum sollten sie nicht auf Filme wetten?“, fragt er. Doch bei all der Euphorie um todsichere Erfolgsrezepte – in den letzten Jahren erreichten so wenig wirklich neue Stoffe die großen Leinwände, dass es fraglich erscheint, ob die Risikovermeidung der Studios dem Kulturgut Kino wirklich gut tut. „Natürlich schaue ich mir abends lieber solche Filme an“, sagt der Cineast Hennig-Thurau und zeigt auf sein „The Good, The Bad and The Ugly“-Plakat an der Wand, „als den neuesten Batman- oder Spiderman-Film.“ Doch seine Modelle bildeten nur die Wirklichkeit ab: Solange die Menschen in solche Filme strömten, würden sie weiter produziert. „Wir fordern von Bankern, wirtschaftlich verantwortlich zu handeln, aber Filmproduzenten macht man es zum Vorwurf, wenn sie auf Nummer sicher gehen.“

Wenn man ihn ließe, Hennig-Thurau würde seine Formeln auch ins nahe gelegene Weimarer Theater tragen. „Man muss sich nur ansehen, was es kostet, ein Stück zu inszenieren und hinterher ist das Haus gänzlich leer“, klagt er. Worte, bei denen Goethe und Schiller im nahe gelegenen Grab rotieren dürften.

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