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Klimawandel: Wenn der Strand im Meer versinkt

Der Klimawandel nagt an griechischen Gestaden – das Meer kommt immer näher. Aber die Regierung in Athen ignoriert die Warnungen von Wissenschaftlern.

„Da drüben“, sagt Manolis Rosmaris, „haben wir als Kinder Fußball gespielt.“ Der Bürgermeister der Gemeinde Kolymbari zeigt aufs Meer. „Mindestens 40 Meter breit war der Strand damals“, erinnert er sich. Jetzt branden die Wellen an Felsbrocken und Betonklötze. Mit ihnen versuchen die Bewohner von Kolymbari an der Nordküste Kretas ihre Häuser vor der Brandung zu schützen. Aber das Meer kommt immer näher. Einen Teil der Uferstraße hat es sich im vergangenen Winter geholt. Jetzt nagt es an den Strandtavernen und Ferienhäusern.

Griechenland lockt Urlauber mit den schönsten Küsten am Mittelmeer. Auch die Leute von Kolymbari leben seit Jahrzehnten vom Tourismus. Aber ohne Strand? Auf einer Postkarte aus den 80er Jahren gibt es ihn noch: Sonnenschirme, Liegen und Badegäste zeigt die Luftaufnahme. Jetzt ist der Strand weg. „Die Brandung kommt jeden Winter höher“, sagt Bürgermeister Rosmaris und mustert besorgt die unterspülten Fundamente an der Uferstraße. Einige Besitzer haben bereits kapituliert. Sie überlassen ihre Gebäude der Brandung. Eine Entscheidung, vor der in den kommenden Jahren viele griechische Hoteliers stehen könnten, die zu nah am Wasser gebaut haben: „Hier auf Kreta, aber auch auf Kos, Rhodos und der nordgriechischen Halbinsel Chalkidiki sind viele Strandhotels akut gefährdet“, sagt Costas Synolakis. Er ist Professor für maritime Technologie an der University of Southern California in Los Angeles und an der Technischen Hochschule Kreta. Küstenerosion ist zwar kein neues Phänomen. „Aber wir beobachten, dass sich dieser Prozess seit einigen Jahren dramatisch beschleunigt“, sagt Synolakis. „Nach optimistischen Annahmen wird der Meeresspiegel durch das Abschmelzen polarer Eismassen in den nächsten 100 Jahren um einen Meter steigen“, sagt der Wissenschaftler. Das bedeute, dass sich die griechischen Küstenlinien, je nach Beschaffenheit des Ufers, im Schnitt um 100 Meter ins heutige Inland zurückziehen werden, sagt Synolakis.

Kein Land am Mittelmeer wird der Anstieg des Meeresspiegels verheerender treffen als Griechenland. „Wir haben die längsten Küstenlinien aller Mittelmeerländer, fast 15 000 Kilometer, so viel wie Spanien, Frankreich und Italien zusammen“, sagt Professor Efstratios Doukakis, der sich an der Technischen Hochschule Athen seit zehn Jahren mit den Folgen der globalen Erwärmung beschäftigt. „50 Prozent unserer Bevölkerung leben in Orten, die weniger als fünf Kilometer vom Meer entfernt sind“, sagt Doukakis. Und das Meer kommt immer näher. Rund 1300 Kilometer Küstenlinie haben Doukakis und seine Mitarbeiter in den vergangenen zehn Jahren vermessen. Sie haben alte Landkarten, Landschaftsaufnahmen, Luftbilder der griechischen Luftwaffe und Satellitenfotos ausgewertet. Das Ergebnis ist alarmierend: „Unsere Küstenlinien gehen im Schnitt um eineinhalb Meter pro Jahr zurück, mancherorts sogar um drei Meter“, sagt Doukakis. Nicht nur weil der Meeresspiegel steigt. Auch die immer häufigeren Winterstürme nagen an den Küsten – eine Folge des Temperaturanstiegs.

Am stärksten gefährdet durch die zunehmend heftigen Stürme und das ansteigende Meeresniveau sind Flussdeltas und Biotope wie die Feuchtgebiete in den Mündungsgebieten des Acheloos in Westgriechenland sowie des Axios, des Aliakmonas und des Ewros im Norden. Sie werden, so fürchtet Professor Doukakis, schon bald vollständig überflutet. Aber auch die Infrastruktur ist in Gefahr. Besonders kritisch ist die Entwicklung an den Küsten des thermaischen Golfes im Westen der Großstadt Thessaloniki. Hier steigt nicht nur der Meeresspiegel. Das Land sinkt auch immer tiefer ab, um bis zu zehn Zentimeter pro Jahr – eine Folge des hemmungslosen Raubbaus am Grundwasser, den die Landwirte betreiben. Die Ebene am thermaischen Golf, durch die auch die Europastraße 75 verläuft, Griechenlands wichtigste Verkehrsader, gehört zu den unmittelbar gefährdeten Küstenzonen. Bedroht sind aber auch die fast auf Meereshöhe gelegenen Flughäfen von Alexandroupolis und Korfu.

Eine vergangene Woche publizierte Studie von Wissenschaftlern des Athener Observatoriums zeigt die Gefahren auf: die durchschnittliche Höchsttemperatur im Juli wird in Athen von derzeit 33 Grad zwischen 2071 und 2100 auf 41 Grad steigen. Rund 56 000 Hektar Küsten werden überflutet. Als besonders gefährdet gelten die Inseln Limnos, Korfu, Kreta und Rhodos. 69 Prozent der Griechen, so eine Umfrage, sind „stark beunruhigt“ wegen des Klimawandels. Dazu haben sie auch allen Grund, nicht nur weil sie so nah am Meer leben. Ihr Land gehört auch zu den schlimmsten CO2-Sündern in Europa. Costas Synolakis bescheinigt der Athener Regierung „völlige Lethargie“. Synolakis: „Wir rühmen uns der schönsten Küsten am Mittelmeer – aber wir haben keine Politik, um sie zu schützen.“

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