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Panorama: Königin der Meere

Heute ist die „Queen Mary 2“ zu einer Stippvisite in Hamburg – Hunderttausende Besucher werden zu diesem Ereignis erwartet

Stahl ist der Stoff, aus dem die Träume sind. Zehntausende werden wohl schon in den frühen Morgenstunden an diesem Montag zu den Hamburger Landungsbrücken oder dem Elbufer flussabwärts aufbrechen. Womöglich Hunderttausende geben mehrere Stunden Schlaf dran, um die Königin zu sehen: die „Queen“ der sieben Weltmeere. Auch einige hundert Berliner wollten mit Bussen anreisen. Es ist ein majestätischer Anblick, wie sich das größte Passagierschiff der Erde – wenn alles nach Plan läuft – morgens um 5 Uhr dem Hafen nähert und am späten Abend kurz vor Mitternacht wieder in See sticht mit Ziel New York. 500000 „Seh-Leute“ kamen im Juli 2004, als die „Queen Mary 2“ schon einmal in Hamburg festmachte. Ihre 345 Meter Länge entsprechen drei Häuserblocks am Broadway in New York, von wo die „QM2“ gerade kommt. Und ihre Breite von 41 Metern dem Durchmesser der Reichstagskuppel. 17 Decks passen in die 72 Meter Höhe vom Kiel bis zum Top. Die beherbergen in der Regel fast 4000 Menschen, 2620 Passagiere und 1250 Personen Mannschaft.

Auch technisch sind der Reederei Cunard nur Superlative gut genug. Die „QM2“ braucht keine Schlepper, um sich in ein Hafenbecken zu manövrieren – wenn es denn nur groß genug für ihre Maße ist. Sie kann die Steuerschrauben am Heck um 360 Grad drehen und auch mittschiffs und am Bug mit Extramotoren nachhelfen. Vier Dieselgeneratoren und zwei Gasturbinen erzeugen so viel Strom, wie eine Stadt mit 250000 Einwohnern verbraucht. Sie treiben auch die 157000 PS starken Elektromotoren an, die das Schiff bis zu 30 Knoten (55 km/h) schnell machen. Die normale Reisegeschwindigkeit bei einer Transatlantikpassage liegt um die 25 Knoten.

Als „Liner“ für den Passagierverkehr über den Atlantik wurde die „Queen“ gebaut, nicht als Kreuzfahrtschiff. Auf ihrer Hauptroute vom britischen Heimathafen Southampton nach New York ist sie sechs Tage und Nächte unterwegs.

Und an diesem Montag kommt Hamburg als Abfahrts- und Zielhafen hinzu. Mit dem Besuch der „QM2“ nimmt Cunard die lange Tradition der Transatlantikpassagen von deutschen Häfen wieder auf. Für Generationen von Deutschen führte der Weg nach Amerika über Bremerhaven oder Hamburg – bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts.

Für unzählige Auswanderer war es der Start in ein neues Leben. Auch deutsche Reedereien hielten mit im Wettbewerb der Nationen, das größte, das schnellste, das schönste Passagierschiff der Welt zu bauen. Der Ausbau des transkontinentalen Flugverkehrs setzte dieser Kultur ein Ende. Bald war der nicht nur ungleich schneller, sondern auch billiger als der Seeweg.

Wer sich heutzutage gegen die acht Stunden eingezwängt in den Sitzreihen eines Jumbojet oder Airbus entscheidet und für die Schiffsreise, dem geht es nicht ums Ankommen – sondern darum, unterwegs zu sein und die Kultur der Ozeanpassage zu erleben.

Acht Nächte und sieben Tage werden die 2522 Passagiere von Hamburg aus auf See sein, ehe sie am 9. August frühmorgens in New York einlaufen – vorbei an der Freiheitsstatue und Ellis Island, wo die Einwanderer über Jahrhunderte erstmals amerikanischen Boden betraten. Heute ist dort ein Museum untergebracht samt einer Computerdatei mit Millionen Namen von Immigranten, ihren Ankunftsdaten, ihrem Schicksal und ihren Nachkommen in den USA.

Der neue Ankunfts- und Abfahrtshafen Hamburg macht sich für Cunard in der Passagiermischung bemerkbar und damit bezahlt. Die Deutschen, sonst meist an dritter Stelle hinter Amerikanern und Briten, sind diesmal die größte Gruppe. 950 haben die Reise von New York nach Hamburg mitgemacht, 753 brechen heute in umgekehrter Richtung auf – gemeinsam mit 498 Briten, 418 US-Bürgern und 270 Spaniern; insgesamt sind 50 Nationen an Bord vertreten. Und so wird die Reederei die „QM2“ im kommenden Jahr gleich zwei Mal in Hamburg festmachen lassen: am 16. Juli und am 25. August 2006. Die Preise reichen von 1600 Euro pro Person in einer Zwei-Bett-Innenkabine über rund 2800 Euro pro Person in einer Außenkabine mit Balkon bis zu 26000 Euro für eine große Suite.

Dafür wird der Luxus eines gehobenen Hotels geboten, mit gediegenen Restaurants, einem Ballsaal, Kino und Planetarium, Fitnessräumen und Spa-Bereich – zusammen 1800 Quadratmeter – sowie fünf Freiluft-Pools, Diskothek, Champagnerbar und Zigarrenlounge. Beim festlichen Dinner in Abendgarderobe, langes Kleid und Smoking werden erwartet, beim Tanzen oder während der allabendlichen Unterhaltungs-Shows erinnert mitunter ein leichtes Vibrieren des Bodens daran, dass dieses Luxushotel schwimmt. Und beim morgendlichen Joggen – drei Runden auf Deck 7 entsprechen 1,8 Kilometern – füllt Seeluft die Lungen.

Die Seh-Leute aus Berlin und anderswo werden das Innenleben der „Queen“ an diesem Montag freilich nicht zu sehen bekommen, nur einige hundert geladene Gäste, die beim Charity-Lunch an Bord die Sozialaktion „Hamburg hilft“ unterstützen. Die Liegezeit im Hafen kommt die Reederei teuer. Es bedarf einer ausgeklügelten Organisation, um in den 18 Stunden zwischen 5 Uhr 30 und 23 Uhr 30 die rund 2600 Passagiere samt Gepäck auszuschiffen, 1310 Kabinen auf Hochglanz zu bringen und 2600 neue Passagiere samt Gepäck wieder an Bord zu nehmen, nicht zu vergessen die Verpflegung für die nächsten acht Tage auf See: zum Beispiel elf Tonnen Obst, 15 Tonnen Salat und Gemüse sowie zehn Tonnen Fleisch.

Der Autor ist neuer Amerika-Korrespondent des Tagesspiegels und erst kürzlich mit der „QM2“ in die USA übersiedelt.

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