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Königliche Hochzeit: Das Klassenfest

Das ganze Volk soll zusammen feiern, so haben es sich William und Kate gewünscht. Aber so funktioniert das natürlich nicht. Klar, alle jubeln. Aber jeder für sich. Ein Besuch im Camp Royale.

Kate Middle-Maß ist tot. Sie hat Westminster Abbey nicht mehr verlassen.

Stattdessen steigt Catherine, Herzogin von Cambridge, mit ihrem Prinzen in die offene Kutsche, die nur kurz schaukelt, und schon teilt sich vor ihr das englische Volk entlang der Londoner Straßen wie das Meer beim Auszug der Israeliten aus Ägypten. Und es ist noch mehr, denn heute teilt sich das Land als Ganzes in das Meer des Volkes und die hindurch schreitende Herrscherfamilie, es teilt sich in Jubelnde und Bejubelte, in Herrscher und Untertanen. Stand sie, Kate, Catherine nicht eben noch auf der anderen Seite? Der Abstand ist mit einem Mal derart groß, dass sie von der einen Warte zur anderen nur noch winken kann. Ah ja, winken.

Kate sieht das Volk. Alles mögliche Untertanen hier, bislang hatte ihre Familie ja bloß Kunden. Sie wird sich an diese trabenden, auf und ab hüpfenden Pferdehintern vor ihr gewöhnen müssen, denn wenn sie irgendwann Königin wird, findet das öfter statt. Kutschfahrten, Winken.

Und William? Sieht auch auf das Volk. Das jubelt noch immer. Die Fähnchen hängen im Wind. Lange hat er mit seinem Schicksal als häufigster Teetassendruck Englands gehadert. Heute ist der Tag, an dem sich seine jahrzehntelange Flucht vor der Öffentlichkeit ins Gegenteil verkehrt: in totale, weltweite Präsenz. Seine weiß behandschuhte Hand schlackert geschäftig aus dem Gelenk.

Das alles sehen die tausend Leute, die jetzt wieder ihren Blick von der Leinwand im großen Londoner Park Clapham Common lösen. Sie sehen einander an, und sie sehen England an einem Feiertag, in kurzen Hosen, tätowiert, dahinten verkauft man Pimm’s und Erdbeeren und Fish and Chips. Die Bässe wummern los, diverse Beine verselbständigen sich tanzend. Die Party kann beginnen.

Diese Hochzeit, haben sie vorher gesagt, würde England neu sortieren. Da ist die Aussicht auf eine neue Königin, nämlich die bürgerliche Kate Middleton, da ist das veränderte Volk im ironischen Zeitalter, da ist der acht Jahre lang shakespearehaft zaudernde Prinz, und noch am Hochzeitsbankett, hieß es, würde der Geist von Lady Diana spuken.

Wie aber sortiert sich England, die Wiege der Demokratie, der Rollstuhl der Monarchie, Ende April 2011, zweithöchste Terrorwarnstufe, Regenwahrscheinlichkeit 25 Prozent, zu dieser Gelegenheit neu? Und welche Rolle spielt dabei das Volk?

Es ist ein windiger Donnerstag, der Tag vor der Hochzeit, und das England der Werktätigen rammt in Clapham Common schon mal die Heringe in den Rasen. Sie haben zum ersten Mal seit dem zweiten Weltkrieg aus gegebenem Anlass das Campen erlaubt. 89 Hektar Grün, Travelcard-Tarifzone 2, die Nachbarschaft solvent, Vivienne Westwood geht hier zum Yoga. Sie haben einen Sicherheitszaun um ein Gelände gezogen und nennen es „Camp Royale“.

Hier schlägt Kim Burch mit ihren zwei Kindern für das Wochenende ihre Zelte auf und Lisa Harrison mit ihrem Freund. Hier wird das tätowierte England feiern, das von der Arbeit befreite England. Hier sollen Studenten feiern und Familien. Schließlich gilt dieses Camp, drei Nächte für 75 Pfund, als Alternative für die teuren Hotelpreise in London.

Sie rollen ihre Matten aus für ein Wochenendvergnügen, weil die britische Seele ein Weidenkorb ist und jeder freie Tag in einer Garten-Party mit Erdbeeren endet.

Das Besondere, sagt eine Camperin, sei ja eben, dass der unfassbaren Hysterie auf der ganzen Welt der unwahrscheinliche Stillstand des ganzen Landes gegenüberstehe. Wenn die englische Königsfamilie es schaffen kann, dass dieses extrem konsumorientierte, an die Kraft der Arbeit glaubende Land zum Stillstand kommt wie sonst nur zur Feier der Geburt eines Gottessohnes oder seiner Auferstehung, dann muss die Monarchie wohl Macht haben, oder? Offenbar können die Royals, die selbst bekanntlich Schwierigkeiten haben, Werktage und Wochenenden zu unterscheiden, einen Feiertag verordnen, an dem die britische Wirtschaft vermutlich sechs bis acht Milliarden Pfund verliert.

Und dann, sagen sie hier lachend, tut das Volk, was es soll – und was es bei solchen Gelegenheiten immer tut: Es geht auf die Plätze und verkörpert sich selbst. Es steht auf der Straße und hat einen im Tee. Es feiert an einem Feiertag. Es kann nicht anders.

Erst fahnenschwenkend, werden ja – mind the gap – Untertanen als solche auch sichtbar. Und deshalb wird entgegen allen Interpretationen nicht etwa die Einheit des Volkes, sondern in Wahrheit die Spaltung der Klassen betont. Es ist der Tag, an dem die englischen Klassen noch etwas weiter auseinanderdriften.

Ach was, sagt Kim Burch, die Neuseeländerin. Die Trennung der Klassen habe schon seit langem wieder zugenommen, in den letzten Jahren. Diese Spaltung sei zwar ein Grund, warum England nicht vom Fleck komme, allerdings kein Grund, das Feiern heute sein zu lassen. Lisa Harrison trinkt Cidre aus ihrem mitgebrachten Totenkopfbecher. Im Palast haben sie seit Wochen das 8000-teilige „Große Service“ aus Silber poliert.

Man kann, das sagen Kim und Lisa, nicht für oder gegen die Monarchie sein. Viele genießen einfach die Unterhaltung. Die Monarchie bietet schließlich seit Generationen eine Seifenoper in Echtzeit. Zu seltenen, großen Anlässen verwandelt sie sich dann in ein Mitmach-Theater, bei dem auch den Untertanen eine Rolle zukommt, die sie nur zu gerne spielen. Die gleichen Leute, die in der „Rocky Horror Picture Show“ Mehl und Klopapier werfen, schwenken jetzt britische Fahnen.

Sie jedenfalls nimmt, sagt Lisa aus Leicester, jede Gelegenheit wahr, die sich bietet, um aus ihrem Alltag herauszukommen. Um an diesem Tag sein eigenes Ding zu machen, muss man gar kein Fan der Royals sein. Und schließlich ist das ganze Volk der Meinung, dass es eine Pause verdient hat. Man könne ja auch einfach feiern, sagt Kim Burch, die ihren Söhnen ein nettes Campingwochenende verschaffen will, dass Kate und William aus Liebe heiraten dürfen.

Und während William und Kate ihre letzte Nacht als Junggesellen in weichen Betten verbringen, bückt sich hier zur Dämmerung das Volk in die Zelte. Das Licht der Taschenlampen zuckt an den Membranen entlang. Durch die dünnen Zeltwände wabern von Ferne die Verkehrsgeräusche Londons. Ganz nah sind die Unterhaltungen der Jungen aus dem Zelt nebenan, die behaupten, dass sie aus Sydney kommen, und sich dann kaputtlachen und in deren Einmannzelt plötzlich vier Leute verschwinden. Da ist das Kichern von Lisa von der anderen Seite, die sich fragt, ob Kate Middleton in ihrem Goring-Hotel jetzt auch kalte Füße bekommt?

Dann ist nur noch das Sirren der Reißverschlüsse zu hören, das Knistern aus den Walkie-Talkies der Security, das Knattern der Deko-Fahnen im frischen Wind.

Wer trotzdem schlafen kann, träumt.

Vermutlich wäre es gar nicht unmöglich, mit Prinz William eine exklusive Begegnung zu provozieren: Es reichte aus, zu Dienstzeiten des Piloten Will Wales an einer schwer zugänglichen Stelle in den Hügeln von Wales den Halt zu verlieren. Dann kommt der Thronfolger mit seinem gelben „Sea King 3A“-Helikopter der Royal Air Force angeflogen und rettet einen – so geschehen einem Kletterer im letzten Jahr.

Aber um sechs Uhr am Freitagmorgen melden sich bloß die ersten Enten vom nahe gelegenen Teich. Und es ist schnell klar: Es ist natürlich eine Lüge oder mindestens ein Paradox, dass es eine „volkstümliche Königshochzeit“ gebe, bei der alle zusammen feiern, wie es sich William und Kate gewünscht haben. Klar, alle feiern. Aber jede Klasse für sich. Es ist einfach ein Klassenfest. Und hier im Camp sind die niederen Klassen.

Kim Burch steht in ihrem Zebra-Pyjama und ihren beiden Söhnen vor den Duschcontainern und hat keine Anwälte gegen Fernsehkameras. Moderatorinnen im Kostüm nähern sich ihr. Es ist nicht mehr lange bis zur Trauung, wenn sie wieder etwas anderes zu berichten haben werden, aber so lange müssen die Camper herhalten. Viele öffnen ihre Zelte vor Schreck gar nicht mehr.

Draußen auf dem Rasen haben die Geschäftemacher Stellung bezogen: Eine Pediküre für 39 Euro im Vanity Van? Eine Nagelmodellage zur Feier des Tages? Pimm’s? Fish and Chips? Martini aus Plastikflaschen?

Aber dann projizieren sie endlich die Royals auf die Leinwand, die Anwohner, die sich aus Sorge um ihren heiligen Rasen erst gegen dieses Camp gewehrt hatten, kommen vorbei, die Garden Party kann beginnen. In der Westminster Abbey klingt Gesang aus den Kehlen junger Chorknaben. Unter der Leinwand in Clapham Common rinnt Cidre in die Kehlen junger Briten. Vor dem Altar steht Prinz William, der immer davon schwärmt, wie gerne er unerkannt bei Tesco’s Eiscreme kauft und „auf dem Sofa Pizza isst“, der gerne Normalität mit Banalität verwechselt, aber trotzdem eben im Begriff ist, die Voraussetzungen für den Erhalt der Monarchie zu schaffen. Solange er es fertigbringt, nicht zu sterben, wird er irgendwann König werden.

Es ist ja völlig nebensächlich, ob einer für oder gegen die Monarchie ist. Die Frage stellt sich gar nicht, findet Kim. Denn die Durchdringung der englischen Gesellschaft mit der königlichen Familie ist total.

Wenn der bessergestellte Untertan den Kühlschrank öffnet, kühlen dort Produkte „By Appointment to the Queen“. Damit die englische Briefmarke klebt, muss man die Queen hinterrücks anlecken und verschafft ihr damit jedes Mal aufs Neue Halt.

Und wenn Lisa aus Leicester wegen ihres Teilzeitjobs mit schwer erziehbaren Jugendlichen jeden Penny zweimal umdrehen muss, blickt sie bei jedem zweiten Umdrehen doch nur wieder auf die eingeprägte Queen.

Die Royals sind einfach die Unvermeidlichen. Aber stell dir vor, du musst zu deiner Hochzeit mit der ganzen Familie auf den Balkon zum Küssen? Stell dir vor, zu deiner Hochzeit kommt ein alter Lancaster-Bomber vorbeigeflogen?

Und dann donnern in Clapham Common die Bässe los. Hier sitzt das Volk. Es hat sich längst daran gewöhnt, dass man mit ihm Geschäfte macht. Am Ende wird ihm als teuerste Lösung für die nächsten Jahrzehnte auch noch die gesamte Königsfamilie angedreht. Egal. Sie möchten jetzt nicht mehr interviewt werden. Sie wollen jetzt die Besinnung verlieren. Wer die betäubende Wirkung einer Hochzeit nicht zu schätzen weiß, ist selber schuld.

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