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Panorama: Koran und Ochsenauge

Fromme Türkinnen lassen sich in EU-Programm als Winzerinnen ausbilden

Einige Frauen füllen Weinflaschen ab und verkorken sie, andere kleben Etiketten mit der blauen Fahne der Europäischen Union darauf. Das türkische Fernsehen ist zur Stelle, um die Szene festzuhalten, stolz halten die Frauen die Weinflaschen in die Kamera. Dass Frauen in Ostanatolien ihren eigenen Wein herstellen, ist ungewöhnlich genug. Doch die Teilnehmerinnen an einem von der EU finanzierten Winzerinnen-Kurs im osttürkischen Elazig, die kürzlich zum Abschluss ihrer Ausbildung die Presse einluden, sorgen noch aus einem anderen Grund für Aufsehen. Viele Frauen, die in dem Kurs alles über Wein gelernt haben, werden ihr eigenes Erzeugnis nicht einmal probieren. Sie sind fromme Musliminnen und tragen das Kopftuch.

„Demo-Produkt“ steht auf den Flaschen, die von den Kursteilnehmerinnen in Elazig in Kisten verpackt werden. In dem sechsmonatigen Kurs haben die 50 Frauen im Alter zwischen 19 und 29 Jahren in Theorie und Praxis die wichtigsten Grundlagen des Weinbaus erlernt. Hüsamettin Kaya, als Universitätsdozent und Chef des Verbandes der Traubenhersteller in Elazig die treibende Kraft hinter dem EU-Programm, hat große Pläne für die Frauen, wie er dem Tagesspiegel sagte: Sie sollen mithilfe staatlicher Kleinkredite eigene Firmen gründen und organischen „Boutique-Wein“ herstellen. Dieser Wein aus kleiner, aber feiner Produktion ist bei zahlungskräftigen Liebhabern in der Türkei besonders begehrt.

Eine reiche Weintradition hat die Gegend um die Stadt Elazig ohne Zweifel. Die Region ist ein uraltes Anbaugebiet und Heimat der türkischen Traube Öküzgözü („Ochsenauge“). Auch die zweite bekannte türkische Rebsorte, Bogazkere, wird hier angebaut, mehrere große Weinbetriebe lassen in der Gegend keltern. Doch dass fromme Kopftuchfrauen an einem Winzer-Kurs teilnehmen, der von der EU mit 200 000 Euro finanziert wurde und der die Arbeitsplatzchancen von Frauen verbessern soll, ist neu für die Türkei und Elazig.

Sie habe sich zu Beginn des Kurses allerhand Gegrummel anhören müssen, sagte die 27-jährige Esra Baykara. „Weil ich ja das Kopftuch trage.“ Aber sie schere sich nicht um das, was die Leute sagen. „Ich bin sehr froh, dass ich hier im Kurs bin.“ Es geht schließlich um die Aussicht auf einen Arbeitsplatz, und die sind besonders für Frauen rar in Ostanatolien.

Der Wein bedeutet für Baykara und die anderen Frauen eine Chance. Nach Angaben der Alkohol- und Tabak-Kontrollbehörde TAPDK trinken zwei von drei Türken zwar keinen Alkohol, doch in einem Land mit rund 74 Millionen Menschen bleiben immer noch fast 25 Millionen potenzielle Weintrinker übrig.

Der Islam soll dabei kein Hindernis sein. „Ich weiß alles über Wein“, scherzte einmal ein Minister, der in der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan für den Alkohol-Markt zuständig ist – „nur nicht, wie er schmeckt.“

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