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Panorama: Krieg der Sterne

Der Guide Michelin hat einen Inspektor gefeuert – der rächt sich

Die Situation ist nicht ungewöhnlich: Ein Angesteller hat Ärger in seiner Firma, wird entlassen und geht mit Enthüllungen an die Öffentlichkeit. So hat es auch der Franzose Pascal Remy getan. Doch sein Arbeitgeber war der Guide Michelin, eine Institution höchsten Ranges – und in Frankreich schlagen nun die Wellen hoch. Presseberichte ergehen sich in wüster Metaphorik, sprechen vom ersten Einblick in das Innenleben eines kulinarischen Geheimdienstes oder von einem, der die „Omerta“ gebrochen habe, das mafiöse Schweigegelübde. Erneut ballt sich diffuser Zorn gegen die mächtigen gastronomischen Oberaufseher, denen man im vergangenen Jahr schon ziemlich willkürlich die Schuld am Freitod des Top-Kochs Bernard Loiseau aufgehalst hatte.

Remy, das steht fest, wurde im vergangenen Dezember nach 16 Jahren Mitarbeit als Inspektor gefeuert, nachdem er die Veröffentlichung seiner Tagebücher angekündigt hatte – was ein Vertragsbruch gewesen wäre. Anschließend gab er dem „Figaro Magazine“ ein langes Interview, das nun Grundlage des angeblichen Skandals ist. Doch für Insider sind seine Enthüllungen nichts Neues. Er sagt, keineswegs würden sämtliche im Guide Michelin Frankreich enthaltenen 9500 Hotels und Restaurants jährlich überprüft. Das hat aber auch nie jemand behauptet, und es wäre auch dann unmöglich, wenn der Verlag mehr als die sechs ständigen Inspektoren beschäftigt, die laut Remy in Frankreich tätig sind. Und es wäre sinnlos, denn der weit überwiegende Teil der erwähnten Betriebe kommt für Auszeichungen wie den von Mythen umwobenen Stern ohnehin nicht in Betracht, und die Erwähnung selbst ist keine besondere Ehrung, die ständig zu überprüfen wäre.

Die Inspektoren kontrollieren permanent nur ein schmales Segment von Top-Restaurants, sie gehen die angeblich rund 50000 Leserhinweise pro Jahr durch, spicken bei der Konkurrenz und in Fachmagazinen, und sie verfolgen sehr genau, wohin die Karrieren aufstrebender Nachwuchsköche führen. Überdies gilt es als offenes Geheimnis, dass ein Restaurant mit einem neuen Stern im folgenden Jahr in Ruhe gelassen wird, weil der Guide nicht daran interessiert ist, sich durch einen umgehenden Wieder-Entzug selbst zu dementieren. Michelin-Herausgeber Derek Brown, ein Engländer, der seit 30 Jahren bei Michelin arbeitet, hatte in den letzten Tagen viele Fragen zu beantworten. Zur Zahl der französischen Tester sagte er nichts, bezifferte aber ihre Gesamtzahl für elf europäische Länder auf etwa hundert. „Wir setzen die Inspektoren immer dort ein, wo wir sie brauchen“, sagte er.

Die zweite als schockierend angesehene Behauptung Remys betrifft die Drei-SterneElite, die gegenwärtig 27 besten Restaurants in Frankreich. Über ein Drittel davon liege nicht auf dem Standard, der auf diesem Niveau zu erwarten sei, sagte er im Interview, doch es gebe nun einmal „unantastbare“ Köche. Auch das ist allerdings keine Neuigkeit: Der Internetdienst bonjourparis.com fragte jetzt zehn Experten, wer nach ihrer Meinung den dritten Stern nicht verdient habe – und bekam 18 Namen genannt… Skandal? Es scheint eher, als sei der Michelin in dieser Frage einfach ein Opfer seines eigenen Mythos. Denn die sprunghaftere, weniger traditionsbeladene Konkurrenz kann sich viel erlauben. Aber dürfte der Michelin etwa Paul Bocuse, das französische Küchen-Monument, auf den einen Stern zurückstufen, den sein Restaurant verdient? Das wäre, spottet man in einschlägigen Internetforen, „als würden die Amerikaner Lincolns Kopf am Mount Rushmore abmontieren“.

Und es gibt im harten Restaurantführer-Geschäft durchaus eine Art Pietät: Loiseaus Restaurant hat den dritten Stern auch im gerade erschienenen neuen Michelin behalten, ein offener Verstoß gegen ungeschriebene Regeln und unverdient, wie alle Experten finden. Und über die legendäre „Auberge de l´ Ill“ im Elsass, das dienstälteste DreiSterne-Restaurant überhaupt, heißt es, der seit langem schmeichelhafte dritte Stern falle nicht, bevor sich Paul Haeberlin, der inzwischen über 80-jährige Gründer, ganz zurückziehe oder sterbe. Und das erzählte man sich schon lange vor Loiseaus Tod.

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