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Beobachten, anrufen, Identität stehlen - Stalker wissen, wie sie ihre Opfer tyrannisieren.

© Angelika Warmuth/dpa

Kriminalität: Stalker sollen härter verfolgt werden

Ein neues Gesetz soll vor allem getrennt lebenden Müttern helfen, denen ihre Ex-Partner nachstellen – ob das gelingt, bezweifeln viele.

Vermutlich wissen die meisten Täter nicht einmal, dass sie eine Straftat begehen. Blumen schicken, Pizza bestellen, an der Wohnungstür klingeln, anrufen, filmen – was soll daran so schlimm sein? Auch wenn nicht jede einzelne Handlung unzumutbar erscheint, ist es doch die Summe, die strafrechtlichen Schutz vor „Stalking“, vor Nachstellung erfordert. So hatte es der Bundestag vor neun Jahren entschieden. Jetzt soll es den Serien-Belästigern stärker an den Kragen gehen. Am Mittwoch hat Justizminister Heiko Maas (SPD) seinen Entwurf im Kabinett beschließen lassen. „Nicht die Opfer sollen gezwungen sein, ihr Leben zu ändern, sondern die Stalker“, fordert er.

Was er meint, wird bei einem Blick ins Strafgesetzbuch offenbar. Paragraf 238 sieht dort eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor, wenn Täter beharrlich räumliche Nähe zu einem anderen suchen, Kontakt herstellen oder etwa in dessen Namen Waren und Dienstleistungen bestellen. All dies muss der Täter „beharrlich“ tun und vor allem dadurch die Lebensgestaltung des anderen „schwer beeinträchtigen“. Soll heißen: Bestraft werden kann nur, wer sein Ziel erreicht und einen Schaden angerichtet hat.

Die Gerichte verlangen dafür, dass ein Opfer seine Lebensumstände geändert haben muss, etwa, indem es kaum noch seine Wohnung verlässt, den Job wechselt oder hinter verdunkelten Fenstern lebt. Das Ändern von E-Mail-Adressen oder Telefonnummern ist dagegen noch kein ausreichender Eingriff.

Viel zu hohe Hürden, meint Maas, und die Statistik scheint ihm Recht zugeben. Rund 20000 Tatverdächtige ermittelt die Polizei jährlich, nur ein paar Hundert werden schlussendlich verurteilt. Die Quote sank zuletzt auf ein Prozent, stellt der Regierungsentwurf enttäuscht fest. Zudem hing die Strafbarkeit nicht zuletzt davon ab, wie sich der Betroffene vor den Nachstellungen schützt. Mancher hat ein dickes Fell und lässt einiges über sich ergehen. Andere schlingern in eine Depression oder reagieren apathisch, obwohl das eigentliche Unrecht, das an ihnen begangen wird, immer dasselbe ist. Hinzu kommt, dass Stalking-Opfer typischerweise weiblich und Männer die Täter sind. Bedrohungsgefühle wegen der körperlichen Unterlegenheit im Konfliktfall verstärken sich dadurch.

Die Lösung aus dem Haus des Justizministers ist eine, die in der rechtspolitischen Debatte schon von Anfang an gefordert wurde und die auch der Bundesrat angemahnt hat: Das „Erfolgsdelikt“ des Nachstellens soll in ein „Gefährdungsdelikt“ umgewandelt werden. Es kommt dann nicht mehr darauf an, wie ein Opfer tatsächlich geschädigt wird. Sondern nur darauf, dass es geschädigt werden kann. Entsprechend bleiben die Tathandlungen dieselben, doch nun soll es reichen, wenn jemand einer anderen Person in einer Weise nachstellt, die lediglich „geeignet“ ist, deren Lebensgestaltung schwerwiegend zu beeinträchtigen.

Aus dem Regierungsentwurf wird deutlich, welche Opfergruppe Maas besonders im Auge hat. Alleinerziehende Mütter, die nach einer Trennung von ihren früheren Partnern verfolgt werden. Sie haben meist kein Geld, um sich einen Umzug zu leisten. Außerdem widerspreche es dem Kindeswohl, wenn diese gezwungen wären, nur deshalb ihre gewohnte Umgebung verlassen oder etwa die Schule wechseln zu müssen. Stalking-Opfer stünden unter hohem psychischen Druck, selbst wenn sie sich nach außen nichts anmerken ließen. Es könne aber nicht sein, dass gerade den äußerlich Standhaften der strafrechtliche Schutz verwehrt bliebe, heißt es in der Gesetzesbegründung. Würde das Verfahren dann ohne Urteil eingestellt, bestehe die Gefahr, dass Täter dies als besondere Genugtuung empfinden und sich in ihrem Handeln bestätigt fühlen.

Auch eine andere Maßnahme soll Opfern helfen. Der Tatbestand wird künftig kein so genanntes Privatklagedelikt mehr sein wie etwa Beleidigung, Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigung. In solchen Fällen können Staatsanwälte die Verfahren einstellen und Betroffene auf eine Privatklage verweisen, welche die öffentliche Anklage ersetzt. Der Nachteil: Opfer müssen sich selbst um alles kümmern und auch die Kosten tragen, wenn es zu Freisprüchen kommt. Verbessert werden soll auch auch die Hilfe durch das Gewaltschutzgesetz, nachdem getrennt lebende Frauen verlangen können, dass ihnen ehemalige Partner nicht mehr zu nahe kommen. Bisher waren hier nur Verstöße gegen gerichtliche Anordnungen strafbar. Künftig werden es auch solche gegen gerichtliche Vergleich sein, mit denen fast ein Viertel der entsprechenden Verfahren endet.

Mehr Schutz für Opfer also, eine weitere Verschärfung, wie sie im Strafrecht üblich geworden ist und bereits im Koalitionsvertrag von Union und SPD verabredet worden war. Doch der Gesetzgeber entschärft auch. So wird es künftig keinen Auffangtatbestand geben der sonstige „vergleichbare Handlungen“ der aufgezählten Stalking-Taten unter Strafe stellt. Kritikern war diese Vorschrift schon immer zu allgemein gefasst.

Ähnliches dürfte allerdings auch für das neue Kriterium gelten, demzufolge die Taten nur noch „geeignet“ sein müssen, um Betroffene in andere Lebensumstände zu zwingen. Das Kriterium sei so abstrakt, dass es in der Praxis kaum nachweisbar sein dürfte, monierte der Richterbund in einer Stellungnahme. Bei anderen „Gefährdungsdelikten“ seien die Gefahren wissenschaftlich bestimmbar, etwa Gefahren für die Gesundheit oder das Leben. Hier nicht. Letztlich hänge es erneut von der Widerstandsfähigkeit der Opfer ab, ob die Taten wirklich „geeignet“ seien, sie in ihrer Lebensführung nachhaltig zu beeinträchtigen. Befürchtet wird, dass künftig zwar mehr Verfahren eingeleitet, dann aber auch proportional mehr eingestellt werden. Am Ende könnte die ohnehin niedrige Verurteilungsquote noch weiter sinken.

Kritiker bemängeln auch, dass das neue Gesetz das Problem des alten haben wird: Niemand kennt es, schon gar nicht Täter, die oft selbst unter psychischen Störungen leiden. Der erhoffte Abschreckungseffekt könnte sich deshalb als Illusion erweisen. Die wiederkehrende Rede von „mehr Schutz“ für Opfer, wie sie zuletzt auch bei der „Nein heißt nein“-Reform des Sexualstrafrechts zu hören war, gibt daher einem Wunsch des Gesetzgebers Ausdruck. Doch ist es möglich, dass er weiterhin unerfüllt bleibt.

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