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Stararchitekt Renzo Piano hat das Gebäudeensemble entworfen. Vom Dach aus hat man einen Rundumblick über die griechische Hauptstadt.

© Nikos Karanikolas/dpa

Kulturzentrum in Athen: Eine neue Akropolis für die Griechen

Die Stiftung einer Reederfamilie schenkt den krisengeplagen Griechen ein prächtiges Kulturzentrum – samt Opernhaus, Nationalbibliothek und Park.

Jogginghosen und T-Shirts trocknen an einer schiefen Leine auf dem Balkon eines Nachbarhauses. Auf dem schmutzigen Gehweg hat ein fürsorglicher Mensch zwei kleine Holzhütten gebaut, aus denen korpulente Straßenhunde träge schauen. Und um die Ecke braust ohne Unterbrechung der Autoverkehr über die sechsspurige Posidonios-Avenue Richtung Piräus oder Glyfada. Vorbei an leerstehenden Büros und fahlgrünen Palmen.

Das Kulturzentrum, das hier geöffnet hat, komplett mit Opernhaus, Nationalbibliothek und Park, wirkt wie ein Meteor aus einer anderen Welt, der im Süden Athens einschlug. Elly Andriopoulou hat einen anderen Vergleich. „Als die Leute den Beginn der Bauarbeiten sahen, wurde es ein Leuchtturm der Hoffnung“, sagt die Managerin des Kulturzentrums der Stavros-Niarchos-Stiftung: „Es ging voran, ganz nach Plan. Es war für sie.“

Andriopoulou arbeitet für die wohl größte private Wohltätigkeitsorganisation im Griechenland der Schuldenkrise. Der Reeder Niarchos hatte – weitgehend steuerfrei wie alle in der Branche – bis zu seinem Tod 1996 ein Milliardenvermögen angehäuft, mit dem seine Familie seither dem Land unter die Arme greift. Ende vergangener Woche übergab die Stiftung das Megaprojekt in einer abendlichen Feier an Staat und Volk.

Die Kosten: 670 Millionen Euro

So war es 2009, kurz vor Ausbruch der Finanzkrise, in einem vom Parlament ratifizierten Abkommen mit der griechischen Regierung festgelegt worden. Die Niarchos-Stiftung finanziert und verschenkt anschließend ihre Projekte, selbst wie jetzt einen vom italienischen Stararchitekten Renzo Piano entworfenen Kulturpalast. 670 Millionen Euro hat er am Ende gekostet, nur ein bisschen mehr als die 617 Millionen, die Alexis Tsipras zum Ärger der Kreditgeber im vergangenen Dezember an die Rentner im Land verteilt hatte.

Tsipras’ Weihnachtsgeschenk ist längst verpufft. Doch das Kulturzentrum bleibt. Für Griechenland, wo Politiker und Medien jeden Tag mit Millionen und Milliarden an Schuldenrückzahlungen und neu verordneten Sparzielen jonglieren wie an einer Börse, ist ein neuer öffentlicher Platz zum Lesen und Musik hören ein unglaublicher Luxus.

"Wo ist denn die schöne Aussicht?"

Renzo Piano hatte eine Frage, als er den enormen Baugrund im Süden Athens zum ersten Mal inspizierte. „Wo ist die schöne Aussicht?“, soll der Architekt gefragt haben. Kallithea, der Name der Vorstadt zwischen Piräus und der Bucht von Faliro, bedeutet eben das – „schöne Aussicht“.

Doch Kallithea ist ärmlich und zubetoniert, die Sicht auf die Bucht und das Meer zwischen Athen und der Peleponnes abgeschnitten durch die Schnellstraße entlang des Ufers. Die „schöne Aussicht“ haben sich Renzo Piano und die Architekten seines Workshops deshalb selbst geschaffen. Ein Hügel wurde angehäuft, der als Parkanlage breit und langsam ansteigend über die Glasfront der Bibliothek hinweg auf das Dach des Opernhauses führt. Dort schützt, einem Segel ähnlich, ein enormes Solarpanel die Besucher vor der Sonne.

Ein Rund für die Kunst. Auch die neue Nationaloper gehört zum Kulturpalast.
Ein Rund für die Kunst. Auch die neue Nationaloper gehört zum Kulturpalast.

© George Dimitrakopoulos/SNFCC/dpa

Von oben haben sie einen Rundumblick über Athen und den Golf; unten, vom Eingang der Parkanlage betrachtet, sieht man nur das Solardach des Opernhauses. Mit seinen Stützen wirkt es in der Tat wie eine neue Akropolis. Alte Olivenbäume mit dickleibigen Stämmen, neu eingesetzt, und bauchige Stühle zum Sitzen und zum Sonnen wie in den Pariser Stadtparks, die zwischen Rosmarin- und Lavendelbüschen platziert sind, geben der Gartenanlage das Aussehen eines modern-antiken Hains. Ein künstlicher Kanal, 400 Meter lang, 30 Meter breit, läuft an einer Seite und soll sinnbildlich Kallitheas getrennte Verbindung zum Meer wiederherstellen.

Im nächsten Monat soll der Umzug der Nationalbibliothek beginnen. Das alte Gebäude in der Athener Innenstadt, ein Teil der sogenannten Athener Trilogie des dänisch-österreichischen Baumeisters Theophil Edvard Hansen, zählt zu den Wahrzeichen der neoklassischen Architektur. Doch es ist längst zu klein geworden, die technischen Möglichkeiten zur Konservierung ihrer Bestände fehlen.

Die Nationalbibliothek - ein öffentlicher Raum

Große Teile der neuen Bibliothek werden nun sichtbar sein. „Bücherburg“ nennen die Architekten den Wall von gefüllten Regalwänden vom Boden bis zum Dach, vor denen die Besucher in der Eingangshalle stehen werden. Die Glasfassade lässt keine UV-Strahlen durch, um die Bücher nicht zu beschädigen, so heißt es. Anders als die alte Nationalbibliothek ist die neue als öffentlicher Raum gedacht. Jeder kann kommen, Zeitungen lesen, Filme sehen, in den Beständen suchen, nicht nur Forscher und Studenten. Das Vorbild ist das Centre Pompidou in Paris.

Ebenso wie die Nationalbibliothek suchte Griechenlands Nationaloper einen neuen Ort. Ihr Sitz im Olympia-Theater aus den 50er Jahren in der Akadimias-Straße, unweit von der Bibliothek, war zu klein und baufällig geworden. Beide wandten sich an die Niarchos-Stiftung, die Reeder-Familie schlug einen gemeinsamen Bau vor.

Auch nach der Übergabe an den Staat wird die Stiftung das Kulturzentrum nun für zunächst fünf Jahre weiter subventionieren. Zehn Millionen Euro jährlich sind eingeplant, die Hälfte für die laufenden Kosten von Park und Kulturzentrum, die andere Hälfte für Veranstaltungen. Für einen „Leuchtturm der Hoffnung“ hat Griechenlands Regierung selbst kein Geld.

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