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Lady Gaga: Im Mieder in die Charts

Die New Yorkerin Lady Gaga ist ein futuristisches Gesamtkonzept, das auf den Skandal setzt.

Als Stefani Joanne Germanotta zum ersten Mal als Sängerin in einer Bar auftrat, hieß sie noch nicht Lady GaGa. Dafür benahm sie sich aber schon so. Denn als das studentische, plebejische New Yorker Publikum nicht zuhören wollte, sondern besoffen weiter vor sich hin feierte, ohne Notiz von ihr zu nehmen, zog sie sich einfach aus. Bis sie in Unterhosen, weißen Pumps und Netzstrumpfhosen vor der verstummt glotzenden Menge stand. Lady GaGa war geboren.

Um Aufmerksamkeit muss sie sich heute nicht mehr bemühen, denn Lady GaGa hat mit „Just Dance“ international den Winterhit des Jahres abgeliefert, die Folgesingle „Pokerface“ ist momentan auf Platz eins der deutschen Charts, das Album der 22-Jährigen – „Fame“ – stieg fast europaweit sofort in die Top Ten ein. Über „Just Dance“, ein Lied, das erzählt, wie Lady GaGa viel zu betrunken durch einen Club torkelt und schließlich vom Rhythmus eines Liedes übermannt wird, sagt sie: „Den Song habe ich in fünf Minuten geschrieben.“ Eine Erfolgssängerin, die sich bei ihren Liedern keine Mühe gibt – damit unterscheidet sie sich von den meisten ihrer Kolleginnen, die behaupten, sie hätten jahrelang all ihr Herzblut und ihre Kraft in ein Album gesteckt. Aber an Lady GaGas Musik liegt ihr Erfolg auch nicht. Eingängiger Pop, der mit wenigen, dafür meist zweideutigen Zeilen, einer guten Melodie und Techno-Pop-80er-Beats auskommt. Er erinnert ein bisschen an Gwen Stefani, ein bisschen an Christina Aguilera – in den Tagen vor ihrer Mutterschaft – gepaart mit einer großen Portion Liebe zum Trashpop der 80er. Sie selber nennt David Bowie und Queen, von deren Lied „Radio Gaga“ sie auch ihren Namen entlehnt hat, ihre Musen.

Das Phänomen „Lady GaGa“ ist ein Gesamtkonzept. Eine lärmende Erscheinung mit langen, platinblonden Haaren und obligatorischer tiefdunkler Sonnenbrille, die in Miederhosen auf der Bühne steht. Es ist die futuristische Bühnendiva mit elektronischem Glitzerhandschuh und Disco-Zepter, die die „New York Post“ dazu veranlasst, Lady GaGa „die Zukunft des Pop“ zu nennen. Es geht um polizeiliche Ermahnungen wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses durch ihre unzüchtige Kleidung. Es geht um ständige Betonung der eigenen Bisexualität. Um den inszenierten Skandal. Um Latex, Leopardentangas, opulente Perlenketten, dicke Schichten von Selbst- bräunungscreme und Plateauschuhe. Um die äußerliche Mischung aus ordinärer Schlampe, Roboter und Burlesque-Tänzerin. Der britische „Guardian“ schreibt: „Stellen sie den Ton ab, hängen Sie ihr Bild in eine Bildergalerie und wir sind verliebt!“ Lady GaGa: Das perfekte Rolemodel einer digitalisierten Welt, sagen viele. Madonna 2.0.

Lady GaGa tanzt in Nobelrestaurants der New Yorker Upper West Side auf den Tischen, in ihren Videos simuliert sie Sex mit einem Gummiwal. Sie zelebriert ihr Konzept aus Gesang, theaterhaften Shows, die sie „Shock-Art-Performances“ nennt, Bühnenoutfits, Skandal und aufgedrängtem Sex. „Warhol hätte sie geliebt“, schreibt der „Guardian“.

Allerdings verfügt Lady GaGa tatsächlich über einen bemerkenswerten Lebenslauf. Sie ist ein intelligentes, privilegiertes New Yorker Mädchen. Als Tochter aus reichem amerikanisch-italienischen Haus lernt sie mit vier Jahren Klavier spielen. Sie besucht eine private Klosterschule – übrigens die gleiche wie Paris Hilton. Dann wird sie an der „Tisch School of Arts“ angenommen, einem renommierten Institut für Musik-, Theater- und Bühnenstudium. Schließlich schreibt sie Songs für andere Stars: die Pussycat Dolls, Britney Spears. Ihr eigenes Album beim Label Interscope Records ist dann eine logische Folge. Glaubt man Lady GaGa, hätte es aber auch alles ohne Plattenvertrag funktioniert, denn: „Man wird kein Star – als Star wird man geboren.“

Lady GaGas Familie musste sich schon früh an die Exzentrik der Tochter gewöhnen. Denn ihr Image ist ihr nicht von einer Plattenfirma aufgezwungen worden, es ist kein künstliches Erfolgskalkül. Als der Vater sie das erste Mal im Tanga auf der Bühne sah, hat er geweint. Nicht vor Rührung, sondern vor Entsetzen. Lady GaGas Großmutter ist fast blind, sie kann nur noch Hell von Dunkel unterscheiden. Sie sagt, sie könne ihre Enkelin also nur deswegen erkennen, weil diese nie Hosen trage. Und Lady GaGa will schon allein deswegen weiterhin auf der Bühne ihre Beine zeigen, damit ihre Oma sie sehen könne. Ihr Ziel steht fest: „Ich möchte die nächsten 25 Jahre Musikgeschichte schreiben.“

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