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Die Fernsehmoderatorin Monika Lierhaus bereut ihre lebensrettende Gehirn-OP.

© dpa

Leben mit Behinderung: Monica Lierhaus bricht ein Tabu

Monica Lierhaus bereut ihre lebensrettende Hirnoperation. Dafür bekommt sie viel Kritik - vor allem von Vertretern der Behindertenverbände. Dabei ist Lierhaus nur ehrlich. Es ist allein ihre Sache, wenn sie ihr neues Leben nicht voll annehmen kann.

„Recht hat sie!“, kommentierte meine Freundin B. die Aufregung um Monica Lierhaus, die rückblickend über ihre lebensrettende Hirnoperation gesagt hatte: „Ich glaube, ich würde es nicht mehr machen.“ Und auf den Einwand, dass sie dann vermutlich tot wäre, hatte sie erwidert, das sei ihr egal, denn „dann wäre mir vieles erspart geblieben.“ Darf man so denken und es auch noch aussprechen?

„Ja!“, meint meine Freundin B., Mutter eines Sohnes mit Down Syndrom. „Endlich mal jemand, der ehrlich sagt, dass ein Leben mit Behinderung kein Spaziergang ist, auch und gerade nicht für uns Angehörige!“ B.'s Sohn ist 16 Jahre alt, besucht eine Sekundarschule, er reitet, gehört einer Theatergruppe an, hat Freunde – allerdings nur welche, die ebenfalls Downies (so nennen sie sich selbst) sind. B. und ihr Mann lieben ihren Sohn, der noch zwei ältere Geschwister hat, bedingungslos, lassen nichts aus, um ihn zu fördern. Und dennoch sind da die Momente, in denen alles zu viel wird. Andere 16-Jährige ziehen alleine los, gehen schwimmen, shoppen, ins Kino. B.'s Sohn kann das nicht. Er braucht rund um die Uhr Betreuung. „Manchmal möchte ich nur noch weg!“, so B., „dann verfluche ich diese Behinderung und stelle mir vor, wie unser Leben aussehen würde, wenn mein Kind gesund wäre.“

Darf man so etwas fühlen, denken und gar aussprechen? Nein!, sagen die Kritiker von Monica Lierhaus, überwiegend Vertreter von Behindertenverbänden. Denn die Botschaft ihres Interviews sei: Ein Leben mit einer solchen Behinderung (wie Lierhaus sie hat) ist nicht lebenswert. Und das wiederum komme einem GAU gleich (was für eine Wortwahl!). Lierhaus habe die Arbeit von vielen zunichte gemacht, die zeigten, dass auch ein Leben mit Behinderung lebenswert sei. Außerdem wurde ihr neben Selbstmitleid auch angekreidet, dass sie ihre Situation nach mittlerweile fünf Jahren noch immer nicht „angenommen“ habe.

Vier Monate lang lag Monica Lierhaus im Koma. Heute denkt die TV-Moderatorin kritisch über die lebensrettende OP.
Vier Monate lang lag Monica Lierhaus im Koma. Heute denkt die TV-Moderatorin kritisch über die lebensrettende OP.

© dpa

Ich frage: Wer kann es ihr verdenken? Monica Lierhaus, die ehemals erfolgsverwöhnte und attraktive Journalistin, trauert ihrem alten Leben nach. Natürlich wäre es für sie das Beste, könnte sie ihr neues Leben in Liebe und Dankbarkeit annehmen. Immerhin hat sie überlebt und ist, wie sie selbst sagt, „zu 85 Prozent wieder hergestellt“. Doch wenn sie sich nicht mit sich selbst versöhnen kann oder will, ist das allein ihre Angelegenheit.

Mangel an Liebe und Selbstliebe

Was ein Mangel an Liebe und Selbstliebe anrichten kann, weiß ich aus eigenem Erleben. Als ich klein war und noch in der DDR lebte, besuchte ich manchmal meinen Vater in der Nervenklinik, wo er als Psychiater arbeitete. Mein Vater war ein begnadeter Arzt. Er liebte seine Patienten. Dazu zählten Alkis, Schizos, Depris, auch Mörder und Gewaltverbrecher. Außerdem waren da auch noch die geistig behinderten Patienten. Die liebte mein Vater am allermeisten. Mein Vater war selbst gehandicapt. Infolge einer Kinderlähmung, die ihn in frühester Kindheit in Bulgarien ereilt hatte, blieb sein eines Bein schmächtig und verkürzt. Er hinkte und lief am Stock. Mein Vater hat sich damit nie abfinden können. Er hasste seine Versehrtheit. Oft hat er auf sein kaputtes Bein geschimpft. Und er hat sich selber nicht geliebt. Was er an Kraft und Liebe in sich hatte, floss seinen Patienten zu. Egal wie krank, geistig oder körperlich, einer war, niemals hätte mein Vater dessen Leben als nicht lebenswert empfunden.

Für mich war es normal, einen behinderten Vater zu haben. Trotzdem beneidete ich mit schlechtem Gewissen meine Freundinnen, um ihre gesunden Väter. Und heimlich wünschte ich mir auch einen Vater, mit dem ich toben, tanzen, rennen konnte. Doch heute weiß ich: Eigentlich, im tiefsten Herzen, wünschte ich mir einen Vater, der mit sich selbst klar kommt. Ein schwer auszuhaltender Zwiespalt.

Hierzulande ist es ein Tabu, darüber zu reden

Monica Lierhaus wird auch einen Zwiespalt empfinden. Einerseits doch Glück, überlebt zu haben, weil sie ein Kämpferherz hat; andererseits Frust und Trauer über die bleibenden Einschränkungen. Und auch meine Freundin B. kennt einen Zwiespalt, obwohl sie selbst gesund und „nur“ Mutter eines behinderten Kindes ist. Sie liebt ihren Sohn über alles, möchte ihn nicht missen, verflucht aber so manches Mal das Leben, das sie durch seine Behinderung zu führen gezwungen ist. Tausende kennen derlei Zwiespälte. Man muss es äußern dürfen und nicht nur hinter vorgehaltener Hand. Doch noch ist es hierzulande ein Tabu, darüber offen zu reden. Ich finde aber, wir dürfen so fühlen, denken und es auch sagen. Weil es ehrlich ist und weil es nichts bringt, aus seinem Herzen eine Mördergrube zu machen.

Vielleicht sollten Monica Lierhaus und ihre Kritiker sich zusammenschließen, anstatt miteinander zu streiten. Denn im Grunde stehen beide ja auf derselben Seite. Und der „echte“ Feind, das sind die Barrieren in unseren Köpfen und im realen Leben, die immer noch dazu führen, dass Menschen mit einer Behinderung tatsächlich diskriminiert werden. Diese Barrieren gilt es zu beseitigen. Im besten Falle miteinander!

Nicki Pawlow ist Schriftstellerin und lebt mit ihrer Familie in Berlin-Zehlendorf. Sie schreibt regelmäßig für die Zehlendorf-Seiten des Tagesspiegels. Zuletzt erschien ihr Roman „Der bulgarische Arzt“ (Langen Müller Verlag, München 2014).

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