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Legendäres Wiener Pfandhaus: Die alte Tante Dorothee

In schlechten Zeiten machen Pfandleiher ihre besten Geschäfte. Wie ist das momentan in einem der traditionsreichsten Häuser Europas? Ein Besuch in Wien.

Die älteste Pfandleihanstalt im deutschsprachigen Raum befindet sich in einem Palais. Freitreppe und Säulen in der Eingangshalle, Gestecke aus roten Lilien, wie in einem Ballsaal. Gegenüber dem Tresen, an dem Damen in Hosenanzügen sitzen wie in der Empfangshalle eines Luxushotels, stehen Vitrinen, darin Colliers, Uhren, Diamanten. Das soll die 1707 gegründete Pfandleihe sein, ein Ort der Tristesse, wo man sein Letztes hinbringt, um die Miete zahlen zu können?

Wien, die Stadt der prächtigen Fassaden. Es geht vorbei an der Wiener Hofburg und der Wiener Hofreitschule. In der Dorotheergasse 17 liegt das Palais Dorotheum, „das Dorotheum“, wie die Wiener sagen, beziehungsweise „das Pfandl“. Eine Institution seit Hunderten von Jahren, allen Wienern bekannt, spätestens seit dem Lied des Sängers Ludwig Hirsch. Darin geht es um die „Tante Dorothee“, bei der das seltsamste Zeug den Besitzer wechselt: „Der Kopf vom Hans Moser, aus Taubendreck modelliert…/der steife Kragen vom Schnitzler, mit Schnitzelfettflecken verziert.“

„Übernahme zur Auktion. Antiquitäten, Kleinkunst, Glas, Porzellan, Spielzeug, Waffen“ steht auf einem Schild. Ein paar Leute huschen die Treppe hoch, zusammengerollte Teppiche unter dem Arm oder Papiertüten, aus denen Pelzmäntel gucken. Sie werden sie versetzen, für ein Drittel des Handelswertes etwa, was im Dorotheum allerdings „einbringen“ heißt. In der Stadt der prächtigen Fassaden liebt man auch Wörter, die wie Fassaden sind für die Geschichten, die dahinter spielen.

Draußen klappert eine Fiakerkutsche vorbei. Um die Ecke liegt die Tanzschule Elmayer, in der die Kinder des Wiener Bürgertums lernen, unter sich zu bleiben. In diese stille Gegend kommen nur diejenigen, die hierher gehören. Die Besitzer der Schränke, Tische und Stühle etwa, die im ersten Stock des Dorotheums ausgestellt sind. Für eine der vielen Auktionen, die hier stattfinden.

An den Wänden hängen großformatige Bilder, moderne Kunst. Das „Pfandl“ hat sich ganz schön verändert über die Jahre. Es ist jetzt eines der großen Auktionshäuser Mitteleuropas, mit Zweigstellen in London, Düsseldorf, Rom. Versteigert wird immer noch, was die Leute einbringen. Das aber ist vor allem Kunst. Teure Kunst. Wie das Gemälde des flämischen Künstlers Frans Francken, das 2010 für sieben Millionen Euro den Besitzer wechselte. Bei einem Berliner hing es davor zu Hause.

Ein Saal mit schwerem Teppichboden und kaiserlichem Wappen an der Wand. Überall Truhen, Bronzefiguren, französische Kommoden, Renaissance-Kabinettschränke, Empire-Tischchen, Kerzenluster, Kaminverkleidungen, Rokoko-Sessel, Marmorbüsten. Normalerweise erzählen Pfandleihanstalten von den Nöten einer Gesellschaft. Von den kleinen Ausschweifungen und Schicksalsschlägen, die mit dem Leihwert von Playstations oder Fotoapparaten abbezahlt werden müssen. Das Dorotheum hingegen ist das Restelager des Reichtums.

Wem das wohl gehört haben mag? Die Skulptur aus Alabaster, die silbernen Kannen, all die Salontischchen? Im Dorotheum erfährt man wenig über Krisen und viel über Statussymbole. Den Tabernakel-Schrank etwa, diese wuchtige Mischung aus Schreibtisch, Kommode und Schrank, so etwas wie der Hochaltar des großbürgerlichen Wohnzimmers.

Martin Böhm hat die Zeiten noch erlebt, als „das alle höheren Töchter haben mussten“. Böhm, Geschäftsführer des Dorotheums, sitzt an einem Tisch von Tabernakel-Schrank-Ausmaßen. Er trägt Anzug und helle Krawatte, ganz der Manager, der er sein muss, seit das Dorotheum 2001 privatisiert wurde. Es gehört jetzt unter anderem Immobilieninvestoren. Nur Böhms Manschettenknöpfe verraten den Kunstmarkt: kleine grüne Schildkröten aus Jade.

Böhm sagt, sein Vater habe bei einem Perserteppich noch sagen können, ob ein Muster aus Isfahan stammt oder aus Kashan. Heute interessiert das keinen, und die Teppiche wird man im Dorotheum vielleicht noch für ein paar hundert Euro los, genau wie die Tabernakel-Schränke. Ob sie jemand ersteigert, ist eine andere Frage. Wer im Dorotheum kauft, will die Statussymbole von heute: Stühle von Zaha Hadid oder den Luster von Daniel Libeskind.

Was auch gut geht: Porzellan. Geschirr, die Lipizzaner-Figuren der Manufaktur Augarten. Es steht in großen Vitrinen, wie im Museum. Das sei auch das Stichwort, um die Massen ins Dorotheum zu bekommen, sagt Böhm. Die Wiener schauen sich Kunst und Antiquitäten im Dorotheum am liebsten in der „Langen Nacht der Museen“ an. Als hätten sie Angst, gesehen zu werden, an einem Werktag im „Pfandl“. Man wahrt gern die Fassade.

An diesem milden Donnerstagvormittag strömen vor allem Touristen durch die hohen Räume. Sie kaufen kleine Dinge, die man nicht ersteigern muss, ein paar Silberlöffel oder eine Tasse aus Kaisers Zeiten. Sie betrachten den Schmuck und die Garnituren von schwerem Silberbesteck, die afrikanische Stammeskunst, die historischen Jagdwaffen. Die alten Globen, Standuhren, Geigen, das Mikroskop aus dem 17. Jahrhundert, all die verwehten Träume des Großbürgertums.

Und die Albträume. Dorit Bader-Whiteman erinnert sich noch genau, wie sie mit ihrer Familie vor den Nationalsozialisten nach Amerika flüchten musste. Die Kunstgegenstände der Familie mussten für einen Pappenstiel ins Dorotheum gegeben werden, das am Besitz der Wiener Juden sehr gut verdiente. „Da ich selbst Dorit heiße, blieb mir der Name in Erinnerung“, sagte Bader-Whiteman in einem Interview mit dem österreichischen „Standard“.

Als sie vor einigen Jahren auf Besuch in ihre alte Heimatstadt kam, sah sie einen Wegweiser zum Dorotheum. Aufgeregt folgte sie ihm und: „Fand ein Palais. Fein gefertigte Möbel und funkelnde Juwelen betörten meine Augen. Das war also der Ort, wo unsere Besitztümer gelandet waren.“ Inzwischen hat das Dorotheum 32 Millionen Dollar in den Allgemeinen Entschädigungsfonds eingezahlt, den es in Österreich für NS-Opfer gibt.

Und wie ist das mit der Krise? Geschäftsführer Böhm sagt, man spüre sie. Aber nicht, weil so viele Leute mit ihren Wertsachen kommen, sondern weil sie diese zurückhalten, vor allem die Kunstwerke. Die Auktionshäuser sind dann auf die „drei D“ angewiesen, um an Ware zu kommen, „Death, Debt and Divorce“, wie das in Amerika heißt. Tod, Schulden, Scheidung. Überhaupt ist das Geschäft mit dem Pfand stark zurückgegangen, es macht weniger als zehn Prozent des Umsatzes aus. Weil es zu wenige Krisen gibt, keine Kriege, keinen Hunger, keine Inflation, die einen zwingen, die Bettwäsche, den Sonntagsanzug oder den Ehering zu versetzen.

Der Wiener Bezirk Favoriten, eine Mischung aus Arbeiterbezirk und Little Istanbul. Hier gibt es wenige prächtige Fassaden und umso mehr Wirklichkeit. In einer Seitengasse liegt eine Zweigstelle des Dorotheums, ein rotes Gebäude mit den hochgezogenen Fensterschlitzen der 20er Jahre. Es sieht aus wie ein mondänes, altes Kaufhaus, und das ist es in gewisser Weise auch. Im Erdgeschoss Vitrinen mit nagelneuem Schmuck. Bekannte Marken, das Dorotheum betätigt sich auch als Juwelier. Doch im ersten Stock ist es noch ein bisschen das „Pfandl“ von früher. In einem Saal, so groß wie die Schalterhalle einer Bank, stehen die Leute Schlange, mit Uhren, Kameras, Säckchen mit Goldketten. Ein Schätzmeister trägt ein Ölbild weg, ein anderer vermisst eine Jesus-Büste mit Dornenkrone. Drei Monate darf man die Sachen hierlassen, dann werden sie versteigert. 90 Prozent werden wieder ausgelöst.

Vor einer Vitrine zeigt ein Herr mit weißem Haar und grellgrünem Jackett auf einen Edelstein von der Größe einer Babyfaust. „Schauen Sie den Quarz“, sagt er, seine Augen funkeln wie die Siegelringe an seinen Händen. Er kommt ins Plaudern, kein Wunder, „bei der Tante Dorothee, da lebt der gute Wiener Schmäh“, heißt es bei Ludwig Hirsch.

Der Herr erzählt, er sei Professor in Pension. Er habe keine Kinder, keine Erben, er gebe sein ganzes Geld im Dorotheum für Uhren und Schmuck aus. Die Omega etwa, Wert 15 000 Euro, ersteigert für 4500 Euro. Ein „junger Bursch“ habe sie von seinem Onkel geerbt, „der Neffe hat das Geld gebraucht“. Einmal hat er eine Landschaft von Camille Corot ersteigert, das war noch vor der Zeit der großen Kunstauktionen.

Das Bild des flämischen Malers, das im Dorotheum auf einer Auktion verkauft wurde, war übrigens das teuerste auf dem österreichischen Kunstmarkt. Es ging an einen britischen Sammler. Viele Leute sind darauf zu sehen und Schätze. Titel: „Der Mensch, der sich zwischen Tugend und Lastern entscheiden muss“.

Der Professor sagt, seine „Gelddruckmaschine“ habe „sich leider verlangsamt, seit ich vor drei Wochen eine Schweizer Uhr ersteigert habe“. Er blickt wehmütig auf den Quarz. Auch er ein Mensch, der sich zwischen Tugend und Lastern entscheiden muss.

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