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Panorama: Leichen pflastern seinen Weg

Gunther von Hagens hat in München gewonnen – der Ansturm auf die „Körperwelten“ bleibt aus

Ganz in Goldfolie gehüllt steht es da, das „Scheuende Pferd mit Reiter". Nichts ist zu erkennen vom Muskelaufbau, nichts von den Nervensträngen und dem Knochengerüst, nichts von Lage und Feinstruktur der Organe. Kein Vergleich ist möglich zwischen dem so völlig unterschiedlich angelegten Körperbau von Mensch und Tier, den man hier in München nur auf dem Titelblatt des Katalogs noch zu sehen bekommt. Das betrübt Gunther von Hagens sichtlich, ist doch dieses Exponat eines der spektakulärsten in der von ihm konzipierten Ausstellung „Körperwelten". Andererseits ist der Heidelberger Anatomieprofessor aber heilfroh, dass er seine plastinierten Leichen und zahlreiche weitere anatomische Exponate jetzt überhaupt hier in der „München Arena" auf dem Olympiagelände zeigen darf.

Die Entscheidung darüber fiel in letzter Sekunde. Am Samstag um 9 Uhr öffneten die „Körperwelten" ihre Pforten, doch erst am Freitag Mittag hatte der bayerische Verwaltungsgerichtshof in zweiter Instanz ein von der Stadt München verfügtes Ausstellungsverbot aufgehoben. Allerdings mussten von Hagens und sein Team erhebliche Auflagen und Einschränkungen akzeptieren. So befanden die Richter insgesamt sechs Exponate, darunter das Pferd samt Reiter oder eine Leiche in Pose eines Fechters, als didaktisch nicht sinnvoll und verbannten sie aus der Ausstellung. Dabei äußerten sie auch harte Kritik an der Inszenierung der Körper. Wenn die künstlerische Gestaltung im Vordergrund stehe, dann „missachte der gewollte Tabubruch eindeutig die Menschenwürde".

Genau das hatte auch der Münchner Stadtrat moniert – allerdings für die gesamte Ausstellung. So beschlossen die Vertreter von SPD, CSU und Teilen der Grünen Ende Januar, dass die Ausstellung, die weltweit bereits an die elf Millionen Besucher angelockt hat, in der bayerischen Landeshauptstadt keinesfalls zu sehen sein dürfte. Die bei den „Körperwelten" in verschiedenen Posen gezeigten Leichen verletzten neben der „Würde der Verstorbenen auch das sittliche Empfinden der Allgemeinheit".

Zudem zauberte Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle einen Passus aus dem bayerischen Bestattungsgesetz hervor, der vorschreibt, Tote innerhalb von 96 Stunden zu beerdigen, falls sie nicht zu medizinischen oder wissenschaftlichen Zwecken verwendet werden. Genau diesen wissenschaftlichen Anspruch bestritt Blume-Beyerle aber in einem juristischen Gutachten seiner Behörde. Nach deren Rechtsauslegung hätte den weltberühmten Leichen sogar eine Zwangsbestattung in München gedroht.

Dieser Linie wollte der Verwaltungsgerichtshof nicht folgen, untersagte aber neben der Aufstellung umstrittener Exponate auch den Verkauf von Fan-Artikeln, weil „diese Form der Kommerzialisierung die guten Sitten und die Pietät missachte". Nur Medien wie Kataloge, Videos oder Postkarten werden jetzt in der „München Arena" angeboten. Gunther von Hagens zeigte sich bei der Eröffnungsfeier trotz aller Einschränkungen erleichtert und in aufgeräumter Stimmung: „Wenn man beim Ritt durch die bayerischen Verwaltungsgerichte einen Gaul verliert, lohnt sich das, wenn dafür nicht die ganze Ausstellung auf der Strecke bleibt." Außerdem sei die „Ehre der Körperspender", die sich nach ihrem Tode für die Plastination zur Verfügung stellen, wieder hergestellt.

Der Schachspieler, der scheinbar nachdenklich vor seinem Brett sitzt, ist ohne Veränderung zu sehen, ebenso der Radfahrer, dessen Körper zur besseren Ansicht des Inneren überlebensgroß auseinander gezogen ist, oder die schwangere Frau im achten Monat samt Fötus. Ganz offensichtlich bleibt die Ausstellung eine Gratwanderung, wie auch die ersten Einträge im Gästebuch am Samstag zeigen, die von Beschimpfungen bis zu Lobpreisungen reichen. Schlangen vor dem Eingang, wie aus anderen Städten, gibt es bislang nicht.

Vielleicht schaut auch der Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle mal vorbei. Schließlich sagte er, dass nach den Teilverboten der „marktschreierische und menschenverachtende Eventcharakter der Show" entfalle. Da steht einem Besuch eigentlich nichts im Wege.

Jörg Schallenberg[München]

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