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Panorama: Leiden für den Größenwahn

In teuren und komplizierten Operationen lassen sich Chinesen ihre Körpergröße verlängern

Von Eva Knoll und

Harald Maass, Peking

Mit Schmerzmitteln betäubt, aber glücklich liegt die siebzehnjährige Li im Krankenhaus. Metallstangen verlaufen entlang ihrer Unterschenkel und bohren sich durch die Haut in den Knochen. In einer komplizierten Operation hat sich das Mädchen die Beine verlängern lassen. „Mein Traum ist, ein paar Zentimeter größer zu werden“, sagt Li. Acht Monate wird sie dafür in dem Krankenhausbett liegen.

„Meine Eltern sagen, ich habe keine Chance auf einen guten Job und werde niemals einen Mann finden, wenn ich nur 148 Zentimeter groß bleibe“, sagt die 17-Jährige. Wie Li träumen Millionen junge Chinesinnen davon, ein paar Zentimeter größer zu sein. Chinesische Arbeitgeber verlangen oft eine Mindestgröße für ihre Angestellten. Das westliche Schönheitsideal dient als Vorbild. Für private Krankenhäuser sind die Operationen ein gutes Geschäft. Bis zu 60.000 Yuan (7500 Euro) zahlen Chinesinnen für eine Beinverlängerung – das sind etwa zwei Jahreseinkommen einer Familie. In Zeitungsanzeigen versprechen dubiose Schönheitskliniken bis zu 25 Zentimeter längere Beine. Die Schmerzen werden heruntergespielt, über mögliche Risiken wird nicht aufgeklärt. Mehrere Tausend Chinesen unterziehen sich Schätzungen zufolge jedes Jahr der gefährlichen Operation.

„Normalerweise läuft alles gut“ verspricht der Arzt Yang Junjin, der in einer der vielen Hundert privaten Schönheitskliniken in Peking arbeitet. Auf Feldbetten liegen mehrere junge Frauen, die sich nach der Operation erholen. Die Zimmer sind heruntergekommen und schmutzig. Die einzige Toilette des fünfstöckigen Hauses ist im Keller. Drei bis neun Monate liegen die Mädchen hier nach der Operation in Zimmern, bevor sie überhaupt aufstehen können. Nicht selten kommt es zu schwerwiegenden Entzündungen durch die im Knochen steckenden Nägel.

Die Beinverlängerung ist kompliziert. In einer aufwändigen Operation werden die Ober- und Unterschenkelknochen gebrochen, so dass künstliche Wachstumsfugen entstehen. In dem folgenden langwierigen Prozess werden die Knochen bis zu einen Millimeter am Tag gedehnt. Von Eisengestängen gehen Nägel direkt in den Knochen. Das Gewebe um die Einstichstellen ist durch den Dehnungsprozess oft entzündet. Viele der Frauen brechen die Behandlung ab, weil sie die Schmerzen nicht aushalten. Im Westen wird dieses Verfahren nur bei absoluter medizinischer Notwendigkeit angewendet.

Doktor Ma Huasong, Chefchirurg im Pekinger Militärkrankenhaus Nr. 306, sieht dem neuen Trend gelassen entgegen. „Große Frauen sind einfach schöner", meint er. Um die hundert Frauen, die meisten sind zwischen 18 und 30 Jahre alt, operiert er im Monat. „Es tut nicht weh", sagt er in dem kurzen Beratungsgespräch. Über mögliche Risiken und Behinderungen im späteren Leben verliert er kein Wort.

Mehrere Monate wird die junge Li, die in einer Klinik in der Südchinesischen Provinz Zhejiang liegt, noch im Krankenhaus leiden müssen. Wenn sie die Prozedur durchsteht, werden große Narben ihre Beine entstellen. „Die kann ich unter dem Rock verstecken," sagt das Mädchen zuversichtlich. Hauptsache sie wird ein paar Zentimeter größer sein.

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