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Panorama: Liebe auf Zeit

Zurück zur Familie: Wenn in Frankreich die Ferien enden, ist auch Schluss mit Tausenden von Seitensprüngen

Von Sabine Heimgärtner, Paris

Nun sind sie bald nicht mehr die Verlassenen, die Verlorenen, die einsamen Wölfe, die auf der Suche nach weiblicher Begleitung alleine durch die im Sommer ausgestorbenen Straßen von Paris streifen. Die „Ausgesetzten“ heißen sie im französischen Jargon, die zahlreichen berufstätigen Ehemänner, die während der acht Wochen langen Sommerferien nach drei Wochen Urlaub wieder ins Büro zurückkehren müssen, die ihre nicht berufstätigen Frauen samt Kinder zwangsläufig im Landhaus oder am Strand zurücklassen. Aber waren sie überhaupt so bemitleidenswert ? Haben sie sich nicht mit einer Sommer-Geliebten prächtig amüsiert? In dem typisch französischen Phänomen der getrennten Sommerferien findet das ohnehin notorische Fremdgehen französischer Männer eine Berechtigung.

Der Trend zur „Mätresse auf Zeit“ hat in Frankreich solche Ausmaße angenommen, dass sich selbst Soziologen und die Medien inzwischen damit beschäftigen.

Und damit die neue Spezies der „Juli-August-Fremdgeher“ einprägsam bleibt, hat sie auch gleich einen Spitzn: „Maribataires“ heißen die temporär untreuen Gatten, ledige Ehemänner, ein französisches Wortspiel aus „mari“ für Ehemann und „celibataire“ für Single - eine gelungene Mischung, finden die in Liebesdingen weltweit als Experten gerühmten Franzosen.

Für Millionen „maribataires“ markieren die ersten Septembertage deshalb einen bedeutsamen Einschnitt: Zurück zur Familie, zurück ins Nest, zurück in den Hafen der Ehe und natürlich: zurück zu Moral, Anstand, auf den Pfad der Tugend eben. Wehmütig werden sie sich an die schönen Tage heimlicher Zweisamkeit in Paris zurückerinnern und den Soziologen und Statistikern noch eine Zeitlang Kopfzerbrechen bereiten. Die haben nämlich an Hand von Umfragen bei Nachtclubs, Bars und Single-Treffs festgestellt, dass sich zu den ohnehin 600 000 Solos, die in Paris leben, in diesem Sommer mindestens noch einmal so viele vorübergehende Singles gesellen. Frankreich-weit gebe es ohnehin drei MillionenAlleinlebende, in den Sommermonaten schnellte die Zahl deutlich in die Höhe, wissen Experten.

„Man spürt dann in der Hauptstadt ein erotisches Vibrieren, die Kunden haben Lust, sich zu amüsieren, sind offen für Abenteuer und wollen von ihrem neuen Single-Dasein profitieren“, hat Edouard Morange festgestellt, Chef eines Pariser Clubs für Alleinstehende. Die „maribataires“ seien schnell zu erkennen. Erwartungsvoll stünden sie bereits um 19 Uhr vor der Türe. „Für diese Ehemänner, egal, ob im Alter von dreißig, vierzig oder fünfzig, ist die Einsamkeit Horror, bloß nicht auch nur eine Stunde lang alleine vor dem häuslichen Goldfisch-Aquarium eine Zeitung lesen.“ Also, auf zur nächsten Eroberung.

Weniger lustig finden den Trend natürlich die Ehefrauen, die sich einen langen Sommer lang mit Kind und Kegel am Strand oder im Landhaus der Großeltern tummeln. „Alle Frauen, die ich kenne, die ihren Ehemann in den Ferien allein zurückgelassen haben, sind heute geschieden“, weiß die 48-jährige Hausfrau Claude Beaufort der Boulevard-Zeitung „Le Parisien“ zu berichten. „Train des cocus“heißt im Volksmund spöttisch der Schnellzug zwischen dem bei den Parisern beliebtem bretonischen Badeort La Baule und Paris - der Zug der Betrogenen.

Allerdings: Der Spitzname für die Bahn zwischen Erst- und Zweitpartner kann durchaus auch die Männer treffen, die ihre Lieben am Wochenende am Urlaubsort besuchen. Denn, auch wenn die maskulinen Ehebrecher weit in der Überzahl sind, Fremdgehen hat in Frankreich auch beim angeblich schwachen Geschlecht Tradition. Schon Balzac beschrieb die so genannten grisettes, Wäscherinnen, Näherinnen und Verkäuferinnen im 19. Jahrhundert, die oft drei Liebhaber gleichzeitig hatten. Einen Mann aus ihrem Sozialmilieu für die spätere Heirat, einen jungen Studenten für das Flanieren am Sonntag und einen verheirateten Bourgeois, der für ihre materiellen Bedürfnisse aufkam und den sie nach Feierabend unter der Woche trafen. Diese Regelung hat den heimlichen Treffen Geliebter sogar ihren Namen gegeben. Cinq-a-sept, von fünf bis sieben, so heißt das Stelldichein verheirateter Abtrünniger heute noch.

Madame Pompadour läßt grüßen. Die weltweit berühmteste Mätresse, Geliebte von Ludwig dem XV., dem Nachfolger des Sonnenkönigs, hat das Fremdgehen in Frankreich hoffähig, ihre Nachfolgerinnen haben es später gesellschaftsfähig gemacht, nicht nur zur Sommerzeit. Die derzeit bekannteste ist Christine Deviers-Joncour, die frühere Geliebte des französischen Außenministers Roland Dumas, die sogar nicht davor zurückschreckte, sich als „Hure der Nation“ zu outen.

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