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"Mit dem Duft einer Frau." Chanel No. 5, das berühmteste Parfum der Welt.

© The Advertisi

Panorama: Liebe geht durch die Nase

Nelkenpfeffer und Veilchenwurz – ein Lexikon der Parfums stellt die Duftkreationen der Welt vor

Eine Biographie in Düften ginge vielleicht so: „White Linen“, es ist Ende der 70er Jahre, das erste Mal New York, eine kleine Parfumprobe bei Bloomingdale’s riecht nach frisch gewaschenem weißen Leinen. Eine Offenbarung. Die nächsten Jahre duften so. Oder „Anais Anais“: ein Hörsaal an der Uni, in der Vorlesung geht es um die Literatur der Empfindsamkeit. Es ist warm draußen, das weiße Kleid mit roten, gelben, grünen und blauen Blumen bestickt. Später sitzt man im Gras, diskutiert mit den Kommilitonen. Oder „Ysatis“: ein Septembertag in Avignon, ein Pastis in der „Bar du Monde“. Von jetzt an wird dieser sinnliche Duft immer an die verliebten Tage in der Provence erinnern.

Düfte speichern Gefühlslagen viel besser als das eigentliche Gedächtnis. Da der Geruchssinn unmittelbar mit dem limbischen System verbunden ist und also der Schaltstelle der Emotionen, lösen Gerüche ohne Umwege spontane Regungen aus. Oder eben Erinnerungen.

Düfte waren lange nur Gefühle. Jetzt gibt’s dazu ein Lexikon zum analytischen Einordnen und Einprägen. „Das große Buch vom Parfum“ heißt das Werk von Frank J. Schnitzler und Bodo Kubartz, erschienen bei Collection Rolf Heyne. „Anais Anais“ wird darin als romantischer Duftklassiker beschrieben mit einer gefühlvollen blumig-frischen Komposition um Maiglöckchen und Tuberose, eine Komposition, deren Idee die „Lust am Mädchensein“ ist. „White Linen“ verbindet demnach Rosen, Jasmin, Maiglöckchen und Veilchen mit Nelkenpfeffer und Veilchenwurz und soll das Gefühl Frühling, Gärten, Leinenstoffe, Hängematten und saftig grüner Rasen wachrufen. „Ysatis“ ist dem Willen der Kreateure nach geheimnisvoll und opulent, drückt Selbstvertrauen aus mit Hilfe von Mandarine, Ylang-Ylang, Rose und Vanille.

Das Basiswissen zum Parfum liest sich wie eine Anleitung zum Selbstverständnis. Man hat vielleicht gedacht, ein bestimmtes Parfum war Liebe auf den ersten Riecher und dann stellt sich im Nachhinein heraus, dass es ganz besondere Gründe hatte, warum man in einer bestimmten Lebensphase genau diesen und keinen anderen Duft gewählt hat. Weil man ein Mädchen war. Weil das erste Mal New York das Lebensgefühl auf den Zustand Frühling gesetzt hat. Weil die Liebe opulent ist und geheimnisvoll. Mit einer bestimmten Gefühlsnote war man doch nur Zielgruppe. Zwischenstopp auf dem Weg nach Australien. Im Duty Free Shop riecht „Un Jardin sur le Nil“ wie der Duft der nächsten Jahre. Bis der Flieger geht, ist noch Zeit. Ein kleiner Spritzer „Anais Anais“ holt die Zeit der Empfindsamkeit zurück. „Un Jardin sur le Nil“ ist komplexer, erlesener wie der Erfahrungsschatz, der sich mit den Jahren angesammelt hat. Dafür stehen laut Lexikon grüne Mango, Lotusblume, Kalmus, Sykomore, Weihrauch und Mineralnoten. Nur „Happy“ von Clinique, mit der starken Zitrusnote und einem intensiven Blütenbouquet eigentlich erfrischend unkonventionell und optimistisch gemeint, ist nicht aufgegangen. So lang kann die Wartezeit auf einen Weiterflug gar nicht sein, als dass man sich das Ende einer Liebe mit einem Spritzer aus der Probierflasche im Duty Free Shop noch mal zurück ins Gedächtnis oder die Gefühlswelt rufen wollen würde.

Obwohl rund 1000 Düfte in dem Band charakterisiert werden, kommen einige nicht vor, obwohl sie eine Rolle gespielt haben in dieser Biographie. „Kalispera“ von Jean Desses fehlt ebenso wie „Divine“ von Victoria’s Secret, „Thé Vert“ von Bulgari und „Phéromone“ von Marlilyn Miglin. „Diorissimo“ hingegen spielt eine Rolle. Die Komposition aus Maiglöckchen, Ylan-Ylang, Amaryllis und Rosenholz betrachtete der Legende nach der Couturier Christian Dior als „duftenden Ausdruck seiner Seele.“

Natürlich wird Chanel No. 5 erklärt. Das gilt als das berühmteste Parfum der Welt. Die Duftnote wird mit „aldehydig“ beschrieben, was sehr feminin wirkt. Coco Chanel hatte 1921 den Parfümeur Ernest Beaux beauftragt, ein „Parfum für eine Frau mit dem Duft einer Frau“ zu kreieren.

Parfums haben in der Geschichte der Menschheit immer eine Rolle gespielt. Die Ägypter verbrannten schon vor 5000 Jahren Duftstoffe als Opfer für die Götter. Noch heute wird in Kirchen zu besonderen Anlässen Weihrauch verwendet. Königin Kleopatra benutzte duftende Salben, um ihre Verführungskraft zu erhöhen. In der Antike entwickelten Wissenschaftler Düfte für reiche Familien, auch als Symbol der Macht. Der südfranzösische Ort Grasse, in dem im 14. Jahrhundert Parfums für die Neuzeit entwickelt wurden, spielte eine Hauptrolle in Patrick Süskinds Bestseller „Das Parfum“. Die Rolle des Parfums hat sich freilich verändert. In vergangenen Jahrhunderten wurde es benutzt, um Körpergerüche zu überdecken, galt in Gestalt des Riechfläschchens auch als Linderungsmittel für körperliche Probleme. Im Zeitalter der täglichen Dusche wird Parfum eher als Mittel der Selbstdarstellung eingesetzt oder klassisch à la Kleopatra zur Verführung. Es gibt psychologische Studien zur beruhigenden Wirkung von Düften oder auch zur abschreckenden. Unangenehme Gerüche lassen sich etwa beim Objektschutz einsetzen. Parfumliebhaber sollen im Durchschnitt acht bis zwölf Düfte besitzen, die sie je nach Stimmung auflegen. Oder auch, um bestimmte Signale auszusenden. Mit Hilfe eines Parfums kann man eben ein bisschen so wirken und werden, wie man eigentlich sein will.

Frank J. Schnitzler: Das große Buch vom Parfum. Collection Rolf Heyne, München 2011, 400 Seiten, 29,90 Euro.

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