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„Die Jungfrau mit Kind im Garten“ von Martin Schongauer (1469–91). Dieses und andere Werke der deutschen Renaissance zeigt die National Gallery.

© National Gallery/dpa

London: Deutsche Kunst der Renaissance – zu hässlich?

In London sollen Besucher der National Gallery beurteilen, wie sie Bilder von Cranach und anderen deutschen Malern der Renaissance finden. Im 19. Jahrhundert fanden die Engländer die deutsche Kunst so hässlich, dass sie sie entfernten.

Die Londoner Nationalgalerie betreibt Vergangenheitsbewältigung – mit einer Ausstellung, in der Meisterwerke deutscher Renaissance-Maler vorgestellt werden. Hinter der Ausstellung mit Gemälden von Lucas Cranach, Hans Baldung Grien und einem Dutzend anonymer Altdeutscher steht eine Ursünde der Galerie, über die bisher wenig gesprochen wurde: 1856 verkaufte die Nationalgalerie unter ihrem ersten Direktor Charles Eastlake eine Gruppe von deutschen Renaissancegemälden, weil sie von der Öffentlichkeit als zu hässlich abgelehnt wurden. „Grässlich“, schrieben die Zeitungen und drängten darauf, die Bilder zu entfernen, die man erst drei Jahre zuvor erworben hatte.

Die National Gallery in London bewältigt jetzt ihre Vergangenheit

„Strange Beauty“ – „Seltsame Schönheit“ – heißt die Ausstellung, die nun Abbitte tut, was in überempfindlichen deutschen Redaktionsstuben sogleich Stirnrunzeln auslöste. „Warum ‚strange’“? fragte das angesehene Kunstmagazin „Weltkunst“ in einer Vorankündigung. „Ist deutsche Kunst so fremdartig in Großbritannien?“ Damals ja, wie Kuratorin Susan Foister erklärt. „Sie galt als zu realistisch, zu hart, sie ging den Menschen zu weit“.

Heute ist deutsche Kunst in London en vogue – gerade wegen ihrer „fremdartigen, ungewöhnlichen, exzentrischen, unkonventionellen“ Schönheit, um ein paar Synonyme für das englische Wort zu nehmen. Das Britische Museum zeigt derzeit eine viel beachtete Ausstellung mit Papierarbeiten des deutschen Malers Georg Baselitz und seiner Freunde, im Courtauld Museum gibt es romantische deutsche Landschaftskunst – zuvor war dort eine hymnische Ausstellung auf den jungen Dürer zu sehen. Deutscher Expressionismus war in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg von Engländern aus Ressentiment verpönt. Aber in den achtziger Jahren stieg die Kunst von Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel, Georg Grosz und Otto Dix, zusammen mit der Bewunderung für die Malerei der deutschen „neuen Wilden“ nicht nur im Ansehen, sondern im Preis. Plötzlich wirkte das deutsche „Schönheitsideal“ mit seiner Offenheit für das Hässliche ehrlicher, wirklicher, härter als die polierte Glätte vieler englischer Kunst.

Im 19. Jahrhundert waren die Engländer durch das Schönheitsideal der Italiener beeinflusst

Im 19. Jahrhundert dagegen stand das Schönheitsideal der Briten noch frisch unter dem Eindruck der Italienbewunderung der britischen Aristokratie, die ihre Kunst in Italien kaufte und um Deutschland bei ihren Bildungsreisen einen Bogen machte – abgesehen von einem kurzen Abstecher zu Rhein und Mosel.

Die Engländer schüttelten sich vor Ekel, als sie die deutsche Kunst sahen

W. E. Galdstone, damals Schatzkanzler, hatte 64 Gemälde früher westfälischer Kunst aus einer Mindener Sammlung Krüger für 3500 Pfund erwerben lassen. Aber bald wurde der „schlimmste Erwerb“ der noch jungen Galerie im Parlament debattiert. Nicht weil er zu teuer war: Ein paar Jahre später bezahlte die Nationalgalerie für ein einziges Bild von Raffael 9000 Pfund. Aber der Maler Ford Madox Brown schüttelte sich, als er die Kunst seiner deutschen Vorgänger inspizierte: „Absurde alte Bilder“. Nicht viel besser ging es deutschen Altmeistern, die Prinz Albert, der deutsche Prinzgemahl von Königin Viktoria. gesammelt hatte. Von den 77 Werken, die Viktoria der Nationalgalerie als Geschenk anbot, akzeptierte diese nur 25 – der Rest blieb bis heute in der „Royal Collection“.

Im letzten Raum wird der Zuschauer mit Fragen an der Wand konfrontiert, die ihn in die ästhetische Debatte einführen sollen. „Sind Schönheit und Expressivität unvereinbar?“ – oder „Kann Kunst sowohl erfinderisch als auch wahrheitsgetreu sein?“.

Dass Deutsche Kunst damals solch emotionale Reaktionen auslöste, hat nichts mit einer Ablehnung Deutschlands zu tun. Deutschland und deutsche Kultur stand im 19. Jahrhundert bei den Briten hoch im Kurs. Die Ausstellung beleuchtet vielmehr, wie der Zeitgeschmack unser Sehen bestimmt.

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