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Loveparade-Tragödie: Duisburg: Nichts passt zusammen

Auch am Tag drei nach der Katastrophe auf der Duisburger Loveparade hüllen sich die Verantwortlichen weitgehend in Schweigen. Noch immer gibt es nur Einzelteile, aber noch kein ganzes Bild.

Wann kam die Genehmigung für die Loveparade, von wem und was beinhaltet sie?

Hundertprozentig beantworten lässt sich die Frage nicht. Noch nicht. Denn die Verantwortlichen der Stadt Duisburg geben nur spärlich Auskunft. Auch die Staatsanwaltschaft Duisburg, die die Ermittlungen leitet, hält sich noch bedeckt. Ähnlich ist es bei der Polizei Köln, die die Ermittlungen von der Polizei Duisburg übernommen und eine 60-köpfige Ermittlungskommission eingesetzt hat. Unklar ist, ob Oberbürgermeister Adolf Sauerland die Genehmigung erteilt hat. Ratskreise berichten, dass er bis Samstag früh im Urlaub war. Ob er die entsprechenden Genehmigungs-Dokumente unterschrieben hat ist unklar.

Die „Genehmigung einer vorübergehenden Nutzungsänderung“, die dem Tagesspiegel vorliegt, wurde nicht von ihm, sondern von einem Sachbearbeiter unterschrieben. Aus diesem Dokument geht hervor, dass es Abweichungen von der Bauordnung des Landes Nordrhein-Westfalen gab. So durfte der Veranstalter beispielsweise die Beschaffenheit der Fluchtwege anders als normalerweise gestalten. Außerdem wird klar, dass die Veranstaltung auf dem Gelände für maximal 250.000 Menschen genehmigt worden ist. Die Berechnungen im Vorfeld der Veranstaltung waren aber deutlich höher. Laut der Nachrichtenagentur ddp rechneten Planungsfachleute im Arbeitskreis Verkehr der Stadt Duisburg mit 700.000 bis 750.000 Besuchern. Wie viel es tatsächlich waren, ist immer noch nicht klar. Laut Polizei Duisburg waren es den ganzen Tag über verteilt rund 300.000 bis 400.000 Menschen gewesen. Loveparade-Organisator Rainer Schaller sprach sogar nur von 187.000 Menschen auf dem Gelände. Er selbst hatte am Mittag der Veranstaltung noch von einer Million gesprochen. Die Frage nach der Besucherzahl könnte bei der strafrechtlichen Bewertung relevant werden, um zu klären, ob gegen die Genehmigungs-Vorgaben verstoßen wurde.

Was ist mit den Bedenken der Polizei im Vorfeld passiert?

Um das Sicherheitskonzept gab es im Vorfeld der Loveparade heftigen Streit. Offiziell bestätigen will das zwar von den Duisburger Verantwortlichen niemand. Die sind größtenteils abegetaucht. Wilfried Albishausen, NRW-Landesvorsitzender des Bunds deutscher Kriminalbeamter, weiß davon zu berichten: „Es gab bei den Kollegen massive Sicherheitsbedenken, aber die sind vom Veranstalter und auch von der Politik weichgespült worden.“ Die Sehnsucht nach einem Imagegewinn und nach Profit hätten da eine entscheidende Rolle gespielt, sagt Albishausen. Diese Form der Verwaltungspraxis sei in Duisburg immer wieder festzustellen. Insofern sei auch nicht verwunderlich, dass der Veranstalter von Seiten der Stadt von einigen Sicherheitsauflagen wie der Breite von Fluchtwegen entbunden worden sei. Viele Polizeibeamte seien mit einem „flauen Gefühl“ in diesen Einsatz gegangen. Bei einer Demonstration hätte die Polizei mit Eilanträgen oder ähnlichem noch etwas unternehmen können, aber da die Loveparade eine Privatveranstaltung gewesen sei, habe man nur noch versuchen können, das Beste daraus zu machen. Wichtig sei bei solchen Großveranstaltungen, dass die Kommunikation zwischen Polizei und Veranstaltern laufe. „Da kommt es auf Minuten an, wenn es um die Frage geht, ob ein Gelände geschlossen werden muss oder nicht“, sagt er. Ob diese Kommunikation bei der Loveparade nicht funktioniert habe, wollte Albishausen nicht kommentieren. „Da muss man die Ermittlungen abwarten.“ Klar sei, dass die Frage, ob der Zugang zu einem Gelände gestoppt oder ausgeweitet werden muss, „letztendlich bei der Polizei liegt“. Auf allen Seiten, also Polizei, Stadt und Veranstalter, seien Fehler passiert. „Aber es ist bedrückend, dass keiner der Verantwortlichen einmal deutlich sagt, dass da etwas schief gelaufen sein muss, denn sonst hätten wir keine 20 Toten.“

Hatte die Polizei keinen Funkkontakt mehr?

Diese Vermutung taucht bei der Suche nach den Ursachen der Katastrophe immer mal wieder auf. Bestätigen kann das niemand. Im Gegenteil. Die Polizei in Köln kann sich das nicht vorstellen. „Der analoge Polizeifunk kann zwar wegen eines Funklochs mal gestört sein, aber dass er flächendeckend ausfällt ist nahezu unmöglich“, sagte ein Sprecher. Der digitale Polizeifunk befindet sich noch im Aufbau. Neben dem separaten Polizeifunk haben Polizei, Rettungsdienste, Feuerwehr und andere Personen und Institutionen mit Sicherheitsaufgaben aber auch die Möglichkeit, in den ganz normalen Mobilfunknetzen bevorzugt zu telefonieren. Bundesweit 90 000 Rufnummern im Festnetz und Mobilfunk stehen auf einer Bevorrechtigungsliste der Bundesnetzagentur. Nicht jedes Polizei-Handy steht somit auf dieser Liste. Ist Gefahr in Verzug, können die Netzbetreiber die Bevorrechtigung aktivieren. Die Folge: Alle Nummern, die auf der Liste stehen, werden bevorzugt behandelt. Ist das Netz ausgelastet, wird ein anderes Gespräch unterbrochen, um eine freie Leitung zu bekommen. Vodafone und O2 aktivierten diese Funktion in Duisburg.

Gibt es bereits konkrete Anzeichen für Verstöße gegen das Sicherheitskonzept?

Die erste Auswertung der Unglücksvideos durch die Ermittler hat ergeben, dass die überwiegende Mehrzahl der Menschen rings um die Treppe auf der linken Seite der Rampe ums Leben gekommen ist. „Man hat die Toten in einem Feld von nur 15 Metern gefunden“, wird aus Ermittlerkreisen berichtet. Bei einem Sturz sind die 20 Menschen aber laut NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) entgegen ersten Angaben nicht ums Leben gekommen. Der Veranstalter hatte die Auflage in diesem Bereich mindestens 15 Ordner aufzustellen, auf dem Video sind aber nur zwei Ordner zu sehen. Auch in anderen Bereichen soll es zu wenig Ordner gegeben haben.

In der Duisburger SPD-Ratsfraktion machen sich ebenfalls Zweifel breit, dass alle Sicherheitsbedenken von der Verwaltung aufgenommen wurden. Zwar wolle man auf dem Rücken der Toten keinen politischen Streit ausfechten, „aber wir haben unsere Bedenken, in den Ratssitzungen vorgetragen, das ist auch dokumentiert, und wir sind selbstverständlich davon ausgegangen, dass diese Bedenken bei der Planung berücksichtigt werden – das war aber offensichtlich nicht der Fall“, sagt Uwe Linsen, Geschäftsführer der SPD-Ratsfraktion.

Polizei und Veranstalter streiten unterdessen über die Ursachen der Katastrophe. Lopavent-Geschäftsführer Rainer Schaller hatte die Polizei beschuldigt, Schleusen geöffnet zu haben, wodurch es zu dem Gedränge gekommen sei. Die nordrhein-westfälische Polizeigewerkschaft bezeichnete die Schuldzuweisung Schallers als „Frechheit“. Die Kölner Polizei nannte die Äußerungen „Spekulationen“, dementierte sie aber nicht.

Was ist mit dem Duisburger Bürgermeister Adolf Sauerland?

Der lehnt einen Rücktritt weiter ab. Wenn er sich so verhalten würde, wäre das quasi ein Eingeständnis, den Tod von 20 Menschen verursacht zu haben, sagte Sauerland in einem Interview der Essener WAZGruppe. Aber die Anzeichen, dass er, anders als von ihm nach wie vor behauptet, in die Planung der Techno-Veranstaltung involviert war, nehmen zu. Ein Sitzungsprotokoll aus dem Duisburger Rathaus zur Loveparade belastet den Oberbürgermeister nach Angaben der WAZ-Gruppe. Bereits vier Wochen vor der Loveparade habe das Bauordnungsamt massive Einwände gegen das vorgelegte Sicherheitskonzept erhoben. Das gehe aus einem Sitzungsprotokoll vom 18. Juni hervor, bei dem auch der OB auf dem Verteiler stehe, berichten die WAZ-Zeitungen.

Welche Ansprüche können Angehörige und Verletzte geltend machen?

Grundsätzlich wird ein Schadensersatz gezahlt, wenn jemand nachweislich einer anderen Person Schaden zufügt. In Deutschland sind diese Zahlungen im Vergleich zu den USA relativ gering. Lediglich die entstandenen Kosten werden beglichen, etwa die Behandlungs- und Transportkosten. Bei weiterreichenden Verletzungen kann auch ein Verdienstausgleich gezahlt werden. Wurde man in Duisburg verletzt, sollte man Beweise aufheben, die belegen, dass man tatsächlich da war, empfiehlt Kai von Lewinski von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin. Dazu gehöre ein ärztlicher Befund und etwa ein Zeuge, der bestätigt, dass diese Verletzung tatsächlich bei der Loveparade zugefügt wurde. „Der Betroffene kann auch schon mit dem Veranstalter formlos Kontakt aufzunehmen“, sagt Lewinski. Ein kurzer Brief reiche erstmal aus, in dem der Betroffene ankündigt, Ansprüche auf Schadenersatz geltend zu machen. Die Verjährungsfrist betrage normalerweise drei Jahre. Lewinski empfiehlt, erst abzuwarten, wie sich die Stadt und der Veranstalter verhalten und dann erst zu einem Anwalt zu gehen. Angehörige der Verstorbenen haben kein direktes Recht auf Schmerzensgeld. Es werden nur die Beerdigungskosten und mögliche Unterhaltskosten übernommen, etwa Waisen- oder Witwengeld.

Reicht die Versicherung der Lopavent?

Die abgeschlossene Haftpflichtversicherungssumme von 7,5 Millionen Euro für Personen- und Sachschäden wird von Experten als viel zu niedrig bewertet. „Es gibt keine Standardsumme für Events dieser Größenordnung, aber es war klar, dass es hier nicht um ein Konzert der Wildecker Herzbuben ging“, hieß es bei einer großen Versicherung. „Für mittelgroße Veranstaltungen sind Versicherungssummen von drei bis sieben Millionen Euro üblich. Aber die Loveparade ist etwas anderes, es gibt nichts Vergleichbares in Deutschland in dieser Größe“, sagte Dirk Olaf Leiendecker, Makler bei Caninenberg & Schouten, einem Spezialisten für Veranstaltungshaftpflichtversicherungen. „Eine Deckungssumme von 7,5 Millionen Euro halte ich deshalb für viel zu niedrig.“ Es gebe Anbieter, die wesentlich höhere Deckungssummen, zum Teil bis zu 50 Millionen Euro, anbieten. Ob die Geschädigten der Loveparade überhaupt Schadenersatz bekommen, ist fraglich. Erst muss geklärt werden, wer verantwortlich ist. Der Schuldnachweis dürfte laut Leiendecker Jahre dauern.

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