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Panorama: Luxus-WG

Wer bist du denn? Lust auf Whirlpool, Miracoli und Karaoke? In Düsseldorfs größter Wohngemeinschaft kennen sie einander kaum. Ein indiskreter Blick durch 33 Schlüssellöcher.

Von Jeannette Krauth Das Altbier am Morgen. Da steht dieses Glas vor mir, neben dem Obstsalat vom Buffet. Ich soll das tatsächlich zum Frühstück kippen. Hilfe. So sind die also drauf, acht meiner neuen Mitbewohner. Drei Tage lang wohne ich in einer Luxus-Wohngemeinschaft namens WG-Café in Düsseldorf: in einer Büroetage mit Putzfrau, Fernsehraum, Profiküche, Sauna, Whirlpool – und 33 Mitbewohnern. Einer professionellen Wohngemeinschaft jenseits von Putzplanstreits. Ich teste ein Leben in der modernen Kommune. Nicht erwartet habe ich allerdings ein Frühstücksbier nach fünf Stunden Schlaf und einer Nacht mit viel Alkohol.

„Na, gestern jemanden flachgelegt?“, fragt mich Klaus. Klaus Moskop ist der Chef der Wohngemeinschaft. Es ist die vierte XXL-WG, die der Mann, 43 Jahre alt, eröffnete. Ich sage: „Nein. War das dann ein schlechter Abend?“ Klaus sagt nichts, er brummelt was und redet mit jemand anderem weiter.

Der Tag der Ankunft, 20 Stunden zuvor. Düsseldorf-Derendorf. Das Haus hat einen gläsernen Eingang, hinauf geht es in den zweiten Stock, vorbei an einem Architekturbüro. Dann ein 82 Schritte langer Flur mit Teppichboden. Rechts und links Türen, darauf Namen: „Thomas“ steht da etwa, dazu eine Handynummer.

Klaus Moskop hat mich am Bahnhof abgeholt, jetzt wollen wir kochen. Ich habe sechs Packungen Miracoli und Wein mitgebracht. Das ist meine Miete: „Zahlen darfst du nicht, aber koch uns unser Lieblingsessen, Spaghetti mit Tomatensoße. Grüße von Klaus und Schnappi“, hieß es in einer Mail vorab. Schnappi ist ein Hund, und Klaus unterschreibt jede Mail mit Schnappi. Eigentlich hätte ich es da und nicht erst beim Altbier schon wissen müssen: Hier will jemand superlustig sein. Und alle sollen mitmachen.

Klaus schneidet Zwiebeln in grobe Stücke, schmeißt sie in eine Pfanne, die steht auf dem Profi-Edelstahl-Kochmöbel auf einer Induktionsherdplatte. Nichts zu sehen von abgeschabten WG-Holztischen oder zusammengewürfeltem Besteck. Er schaut, was er im Kühlschrank noch findet: Tomaten und ein Stück Käse. Samstags gibt es ein Frühstücksbuffet für alle, und was übrig bleibt, ist Gemeingut.

Auf die WG-Idee kam er durch Zufall. Drei Freunde und er wollten eine Wohngemeinschaft gründen, da bekamen sie zwei Etagen eines Büros günstig angeboten. So wurden aus drei Bewohnern über dreißig. Im Stil eines Ikea-Katalogs richtete Klaus ein: glänzendes dunkles Laminat, orangefarbene Lampen, Chrom, klimpernde Vorhänge, Sitzsäcke. Klappte prima, sagt Klaus, „Wenn du hier bezahlbaren Wohnraum anbietest, steht das Telefon nicht mehr still.“ 300 bis 500 Euro kostet das Zimmer bei ihm. Nicht billig, selbst fürs zentrale Düsseldorf-Derendorf, wo der Quadratmeter im Schnitt zehn Euro kostet. Steht ein übliches WG-Zimmer frei, bewerben sich 30 Menschen und mehr. Die Stadt hat viele schnelle Branchen, Mode, Werbung, Internet: Da kommen und gehen die Leute.

Eigentlich, sagt Klaus, sei er Kommunist. Das WG-Café würde er aus Spaß machen. Geld verdiene er mit seinem Job als Internetdienstleister. Bisschen komisch klingt das. Die Jugendherberge für Jungverdiener soll keine Geschäftsidee sein? Ich habe vorher eine ehemalige Mieterin getroffen, die anderes erzählte.

Wir essen. Mehr als zehn Leute sitzen am Tisch, rechts von mir ein Paar, er ist gerade eingezogen. „Total super, rufst hier an und hast ein Zimmer“, sagt er. Vor drei Tagen hat der Mann aus Süddeutschland erfahren, dass er zum Probearbeiten zu einer Werbeagentur kommen darf. Die meisten Menschen wohnen fünf Monate hier, oft sind es Berufsstarter. Kündigen kann man innerhalb von zwei Wochen. Wer keine Möbel hat, bekommt für zehn Euro Miete eine Matratze und Kleiderstange von Ikea. Ideale Voraussetzungen für die Generation Praktikum. Und für die, die es geschafft haben, mit Arbeit auch Geld zu verdienen. Die haben wenig Zeit, ihr restliches Leben zu sortieren, Menschen kennenzulernen oder den Klempner anzurufen.

Die Unterhaltung auf der gegenüberliegenden Tischseite: „Ey, Philipp, was war mit Shakira?“ Philipp stochert in seinen Spaghetti. Gestern war Party, und Philipp hat nicht zu Hause geschlafen. Die anderen lachen. „Habt ihr die Fotos gesehen, Wahnsinn, und der Noel wieder beim Singstar, und die ganzen L’Oreals!“ Jemand hat seinen Laptop auf den Tisch gestellt, zeigt Bilder . Menschen mit Mikrofon in der Hand, das Karaokespiel Singstar. Mädchen mit in die Augen gekämmtem Ponys – das sind die „L’Oreals“, sie arbeiten beim Shampoo-Hersteller .

Wer bei Wohngemeinschaft an Streitgespräche, Literatur auf dem Klo und Biogemüse denkt, liegt hier falsch. Im WG-Café geht es um Spaß. Um ein leichtes Leben in der sowieso komplizierten Welt der Berufsstarter. Alles, was Ärger macht, fällt weg: Fürs Putzen gibt es die Haushälterin. Massage buchen, Hemden bügeln lassen, alles inklusive. Und falls mal Bierflaschen morgens noch auf dem Tisch stehen, schreit Klaus Moskop durch die Bude. Oder er platziert die Besucherin zwischen zwei rivalisierenden Frauen, ob die will oder nicht. Der Deal heißt: Klaus packt euch in Watte, und dafür bestimmt Klaus.

Ich lerne kennen: Gunnar, Noel, Steffen, Hardi, Melanie, deren russischen Model-Freund, noch drei Leute, deren Namen ich mir nicht merken konnte. Dass ich dabeisitze, wundert niemanden. Mitten in der Unterhaltung fragen sie mich: „Und, du bist neu eingezogen?“ Es ist, als ob ich gestern mitgefeiert hätte. Die Menschen hier sind Meister der Integration. Wein und der Düsseldorfer Schnaps Killepitsch wird gereicht, „kommst du mit, gehen wir weg, heut Abend?“, fragt jemand.

Zwölf Menschen in fünf Stunden. Ich sehne mich danach, ein bisschen allein zu sein. Mein Zimmer liegt genau neben Küche, Wohnzimmer und Fernsehraum. Mittendrin. Dann eben duschen. Tanja zeigt mir das Bad, Holzroste liegen vor zwei geschwungenen Duschkabinen, kein Haar liegt auf dem Boden. „Bitte nicht abschließen“, sagt Tanja. Falls noch jemand ins Bad will.

Danach ziehen wir zu sechst gen Disco. Wir trinken Flaschenbier und reden über Jobs, über Heimatstädte und Studienorte. Alle hier kennen sich erst ein paar Monate. Es sind Ingenieure, Rechtsanwälte, Mediengestalter. Es ist eine Rundschleife von Kennenlerngesprächen. Sind ja alle neu hier. Wie schrecklich muss das sein, jeden Abend nur solche Themen?

Das Ende der Nacht: Noel, ein Schweizer mit Internetfirma, gibt bis fünf Uhr morgens im Wohnzimmer den Frank Sinatra beim Karaoke. Er singt mich in den Schlaf. Durch die Wand hindurch. Man hatte mich schon vor den dünnen Wänden gewarnt. Es wäre ungünstig, einen Nachbarn zu haben, der oft Sex hat. Zum Glück haben die meisten hier eine Fernbeziehung. Um neun Uhr klingelt mein Handy. „Hallo, hier Klaus, gehen wir frühstücken?“ Nein. Will schlafen. Um 12 Uhr klopft Noel: „Aufstehen! Wir gehen alle brunchen!“ Es folgt das Altbier.

Der Sozialstress, das ständige Zusammenhocken, endet nachmittags, als endlich alle in ihren eigenen Leben verteilt sind. Ein paar sind im Fitnessstudio, einer arbeitet, einer lernt. Ich sitze im Gemeinschaftsraum und tippe auf dem Laptop herum. Das Wireless Lan ist schnell, die Espressomaschine macht guten Kaffee, Sonne scheint durch die Fensterfront. Da kommt ein Paar herein, er groß, Glatze, sie blond, Felljacke im Flokati-Stil. „Hallo“, sagt die Frau, „ich bin Lotus.“ Sie erzählt von Esoterik, von Wohnkonzepten. Tatsächlich: ein Hippie. Hier, wo alle so ein austauschbares Leben ohne Ideale zu führen scheinen.

Ideen liegen Klaus Moskop da mehr. Demnächst will er ein Restaurant eröffnen, ein Café aus der Tankstelle gegenüber machen. Vielleicht das WG-Dach durchbrechen. Momentane Aktion: Tortenwerfen. Ein Fernsehmoderator hatte in der Sendung „Bizz“ einen Beitrag gesendet, in dem Klaus Moskop mit ehemaligen Vermietern konfrontiert wurde, denen er Geld schulden soll. Klaus sagt, dass ist eine ziemliche Verdrehung: „Der Vermieter hatte nicht die richtigen baupolizeilichen Genehmigungen, deshalb haben wir ihn in Regress genommen.“ Als er den Moderator in einem Café wiedertraf, hat er ihm eine Torte ins Gesicht geworfen. Jetzt verspricht er im Internet jedem Geld, der es ihm nachmacht.

Wer weiß, ob an der Geschichte mit den geprellten Vermietern etwas dran ist. Es gibt Anzeigen, es gibt ehemalige Bewohner, die Räumungsklagen gesehen haben wollen. Fragt man die Menschen in der WG, sagen sie: „Kann sein, aber was haben wir damit zu tun?“ Hauptsache, die eigene Kaution ist noch da. Hauptsache, das Nest ist bereitet und der Alltagskleinkram erledigt.

Am Montagmorgen schmiert die Haushälterin Brote. Mit Pute und Sprossen. Dann fliegen die Küken aus.

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