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Panorama: Mafia-Bosse fordern „menschenwürdige“ Haftbedingungen Sizilianische Organisation bildet neue Netzwerke im Gefängnis

Von Thomas Migge, Rom Palermo ist zum Mekka der sizilianischen Vergnügungssüchtigen geworden: Keine andere Stadt Italiens bietet derzeit ein so faszinierendes Nachtleben. Gegen das, was die Clubs oder auch die Kulturzentren präsentieren, sieht selbst Mailand blass aus.

Von Thomas Migge, Rom

Palermo ist zum Mekka der sizilianischen Vergnügungssüchtigen geworden: Keine andere Stadt Italiens bietet derzeit ein so faszinierendes Nachtleben. Gegen das, was die Clubs oder auch die Kulturzentren präsentieren, sieht selbst Mailand blass aus. Seitdem die wichtigsten Cosa-Nostra-Bosse hinter Gittern sitzen, taucht Siziliens Hauptstadt in den Medien nicht mehr durch spektakuläre Morde und Anschläge gegen Mafia-Ermittler auf.

Die Situation hat sich entspannt. Scheinbar jedenfalls. Luciano Violante ist davon überzeugt, dass die Bosse „einen Gegenschlag vorbereiten“. Violante sagte das vor einem Monat. Seit einigen Tagen wird deutlich, dass der Linksdemokrat und Mafiakenner nicht falsch liegt: Gleich zweimal wandten sich in diesen Tagen einsitzende Spitzenbosse mit wohlüberlegten Briefen an die italienische Öffentlichkeit. „Keine Reuebriefe oder Ähnliches“, präzisiert Violante, „sondern Drohbriefe der ganz besonders üblen Art“.

Warnung aus dem Gefängnis

Am 12. Juli verlas der in Palermo einsitzende Superboss Leoluca Bagarella aus Corleone auf Sizilien im Gerichtssaal einen Brief, der ganz Italien aufhorchen ließ. Noch nie zuvor hatte sich ein führender Mafioso stellvertretend für die anderen im gleichen Hochsicherheitsgefängnis einsitzenden Kollegen an die Öffentlichkeit gewandt. Bagarella verlas einen Brief, in dem vom „41 bis“ die Rede ist, von jener Gesetzesbestimmung, die für Mafiosi strengste Sicherheitsverwahrung vorsieht. Das heißt Einzelzellen und so gut wie keine Kontakte mit der Außenwelt. Der wegen mehrfachen Mordes Verurteilte forderte in eindringlichen Worten das Ende des „41 bis“ und „menschenwürdigere Haftbedingungen“.

Wie Bagarella sich mit den anderen Bossen in seinem Gefängnis auf den Brief verständigen konnte, bleibt ein Rätsel. „Entweder handelte er aus eigenem Interesse und sprach im n von allen“, sagt Violante, „oder aber die Gefängnisbeamten wurden korrumpiert und die Bosse können sich doch miteinander verständigen“.

Erstaunlicherweise verlas kurz darauf auch der im norditalienischen Novara inhaftierte Salvatore Madonia im Gerichtssaal einen Brief. Madonia ist nicht irgendein Boss. Er gehört dem nach wie vor gefürchteten Clan der Resuttana an und ist eng befreundet mit Cristoforo Cannella, der den tödlichen Anschlag auf den Anti-Mafia-Ermittler Paolo Borsellino mitvorbereitete. Mit scharfen Worten fordert Madonia, dass sich die Staatsanwälte, die ihn und die anderen Mafiosi bei ihren Prozessen verteidigten, für die Abschaffung des „41 bis“ einsetzen sollen. Auch hier war die Forderung mit einer indirekten Warnung versehen, erklärt Luciano Violante. Sollten die Anwälte den Wünschen der Einsitzenden nicht nachkommen, „dann müssen sie um ihre und die Gesundheit ihrer Familienangehörigen bangen“.

Ouvertüre eines Gegenschlages?

Ministerpräsident Silvio Berlusconi meinte am letzten Dienstag, dass „wir uns nicht einschüchtern lassen werden“. Die von der Bestimmung „41 bis“ festgelegten Haftbedingungen, so der Regierungschef, „werden unter keinen Umständen angetastet“.

Mafiakenner Luciano Violante begrüßt Berlusconis Äußerung, glaubt aber, dass die einsitzenden Bosse mit Kollegen außerhalb der Gefängnisse in Kontakt stehen und mögliche Aktionen gegen ihre ehemaligen Anwälte und vielleicht auch gegen Regierungsangehörige vorbereiten. Violante und andere Experten der mafiosen Szene befürchten deshalb, dass die von Bagarella und Madonia verlesenen Briefe „die Ouvertüre eines baldigen Gegenschlags sein könnten“.

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