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Panorama: Malka Mai: Nicht sehen, nicht hören, leben

Kann ein siebenjähriges Flüchtlingskind, ausgesetzt und verfolgt, alleine überleben? Man könnte es kaum glauben, wenn man nicht wüsste, dass es Malka Mai wirklich gibt: Heute lebt sie in Israel.

Kann ein siebenjähriges Flüchtlingskind, ausgesetzt und verfolgt, alleine überleben? Man könnte es kaum glauben, wenn man nicht wüsste, dass es Malka Mai wirklich gibt: Heute lebt sie in Israel. Auf ihre Erinnerungen gestützt hat Mirjam Pressler "Malka Mai" geschrieben.

Polen 1943. Hals über Kopf muss die jüdische Ärztin Hanna Mai mit ihren beiden Töchtern Minna und Malka vor der Deportation durch die Deutschen fliehen. Für Malka das Ende ihres wohlbehüteten Kinderlebens. "Warum gehen wir nicht nach Hause?" Malka versteht das alles nicht, sie ist erst sieben Jahre alt. Als das Kind unterwegs hohes Fieber bekommt, entschließt sich Hanna, ihre Tochter bei einer Bauernfamilie zurückzulassen. Der Bauer wird ihr Malka mit dem Zug nach Munkatsch nachbringen, sobald sie wieder gesund ist. So ist es am besten, sagt sich Hanna, denn ein Kind fällt nicht auf, "ein Kind läuft immer irgendwie mit". Und dennoch packen Hanna schwere Selbstzweifel: Hat sie das Kind nicht nur zurückgelassen, um es sich selbst leichter zu machen? Mit seltener Intensität erzählt Mirjam Pressler von einer verletzten Kindheit, den Strapazen der Flucht und dem Verhalten der Menschen in einer schwierigen Zeit. Ohne zu belehren, gibt sie den Blick frei in die Abgründe der menschlichen Seele.

Malka Mai kommt nie in Munkatsch an: sie wird mutterseelenallein ausgesetzt und schließlich in ein polnisches Getto gebracht. Dass sie dort überlebt, verdankt sie vor allem ihrem erstaunlichen Lebenswillen. Sie erträgt Hunger, Kälte und Krankheit. Und immer, wenn wieder eine Aktion der Deutschen bevorsteht, flüchtet sie. Stiefelschritte, Schüsse, leblose Körper auf der Straße. In ihrer Einsamkeit lernt Malka, nichts zu hören, nichts zu sehen, sich in sich selbst zu verkriechen. Nicht einmal an ihre Mutter will sie denken. Höchstens noch an die Frau Doktor, "diese fremde Person, in deren Haus sie gelebt hatte, früher, vor langer Zeit".

Mirjam Pressler hat die Gabe, das Schwere mit Poesie und Spannung auszusprechen, ohne es zu verharmlosen. Indem sie mal aus Malkas, mal aus Hannas Blickwinkel erzählt, gelingt ihr eine eindrucksvolle Mutter-Tochter-Geschichte. Hanna, die inzwischen mit Minna in Ungarn ist, kehrt unter größter Gefahr nach Polen zurück, um Malkas Spur wiederzufinden. Solche Geschichten gingen nur selten gut aus, "Wer findet in diesen Zeiten schon ein verloren gegangenes Kind?" In diesem Fall gibt es ein glückliches Ende, das aber dem Schrecken und der Trauer nicht die Tiefe nimmt.

Margit Lesemann

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