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Panorama: "Man stirbt nur einmal"

Mario Santo Di Matteo aus dem sizilianischen Dorf Altofonte nahe Palermo steht, ohne es zu wollen, für ein Stück jüngster italienischer Justizgeschichte und für deren Widersprüche.Di Matteo war vor zehn Jahren ein gefühlloser Täter, der buchstäblich über Leichen ging, kurze Zeit später mutierte er zum "Pentito": Er war der erste reumütige Mafioso aus dem Kommando, das am 23.

Mario Santo Di Matteo aus dem sizilianischen Dorf Altofonte nahe Palermo steht, ohne es zu wollen, für ein Stück jüngster italienischer Justizgeschichte und für deren Widersprüche.

Di Matteo war vor zehn Jahren ein gefühlloser Täter, der buchstäblich über Leichen ging, kurze Zeit später mutierte er zum "Pentito": Er war der erste reumütige Mafioso aus dem Kommando, das am 23. Mai 1992 den Antimafia-Richter Giovanni Falcone, seine Frau Francesca und drei Mitglieder seiner Eskorte nahe Capaci in die Luft sprengte. Falcone kam gerade aus Rom zurück und war auf dem Weg vom Flughafen nach Palermo. Ganz Italien reagierte damals mit Entrüstung auf das Attentat. Ein nie da gewesener Ruck ging durch den gesamten Justiz- und Polizeiapparat.

Kaum ein Mafia-Verbrechen hat die öffentliche Meinung in Italien so aufgerüttelt wie Falcones Ermordung. Di Matteos wertvollen Aussagen war es dann zu verdanken, dass die ermittelnden Richter nicht nur diejenigen verhaften konnten, die das Bombenattentat verübt hatten, sondern auch die Auftraggeber. Einen Teil zumindest. Insgesamt 29 hochrangige Mafiosi. Nach Di Matteos Vorbild kooperierten auch andere frühere Mafiosi mit der Justiz. Um Di Matteo zu zwingen, seine Aussagen zu widerrufen, entführte der Mafia-Boss Giovanni Brusca auf Befehl des Corleonesi-Clanchefs Totò Riina Matteos Sohn Santino und hielt ihn mehr als ein Jahr gefangen. Als der zwölfjährige Junge schließlich zur Last wurde, erwürgte Giovanni Brusca ihn und löste seinen Leichnahm in Säure auf. Einige Zeit später wurde Brusca selbst verhaftet und arbeitete dann ebenfalls als "Pentito" mit der Justiz zusammen.

All das scheint nun eine Ewigkeit her zu sein. Denn jetzt ist Di Matteo ein freier Mann und ist in seinen Geburtsort zurückgekehrt, wo er sich um sein Land und seine Tiere kümmert, statt sich woanders unter falschem Namen eine neue Existenz aufzubauen wie so viele "Pentiti" vor ihm. Di Matteo hat keine Angst, mit dem Makel des "Infamen" zu leben. "Man wird nur einmal geboren und man stirbt auch nur einmal", wird Di Matteo zitiert. Seinen Personenschutz übernehmen derzeit zwei Hunde.

Mit Di Matteo freigekommen sind fünf weitere "Pentiti", die ebenfalls zum Kommando der Falcone-Attentäter gehörten: Salvatore Cancemi, Calogero Ganci, Gioacchino La Barbera, Giovanbattista Ferrante sowie Antonio Galliano. Alle waren zu Haftstrafen zwischen 13 und 15 Jahren verurteilt worden. Und bald könnte auch Giovanni Brusca wieder freikommen, der beim Falcone-Attentat den Sprengsatz betätigte.

"Ich kann es nicht fassen. Es ist ein Umstand, der nach Rache schreit", kommentierte Falcones Schwester Maria: "Was soll ich dazu sagen, dass die Killer schon nach zehn Jahren wieder in Freiheit sind?" Die Rechtskundelehrerin an einer Oberschule in Palermo leitet die Falcone-Stiftung und hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, der Jugend des Landes die "Frage der Rechtsstaatlichkeit" näher zu bringen. In den Schulen des gesamten Landes hält Maria Falcone Vorträge, bei denen sie an das Opfer ihres Bruders erinnert.

Anders denkt der Bruder von Falcones Frau, Alfredo Morvillo, der ebenfalls Staatsanwalt in Palermo ist. Er ist von der Wirksamkeit der Kronzeugenregelung überzeugt. "Das Instrument der Kronzeugenregelung ist, wenn angemessen davon Gebrauch gemacht wird, sehr effektiv, um das organisierte Verbrechen zu bekämpfen", sagte Morvillo der Tageszeitung "la Repubblica". Dem pflichtete auch Morvillos oberster Chef in Palermo bei. Denn ohne Di Matteos Aussagen, so Generalstaatsanwalt Piero Grasso, "wäre auch das Attentat von Capaci ungesühnt geblieben, wie so viele andere Bombenattentate in Italien zuvor".

Festzuhalten bleibt, dass in Sizilien derzeit eine ungewohnte Ruhe herrscht. Die Mafia ist aus den Schlagzeilen. Die blutigen Mafia-Kriege der Vergangenheit scheinen Lichtjahre entfernt zu sein. In diesem Klima laufen nur wenige frühere Mafia-Bosse zur Justiz über. Zum Teil liegt es auch daran, dass das Gesetz novelliert wurde. "Reumütige" müssen demnach innerhalb einer bestimmten Frist alles sagen, was sie wissen. Tun sie es nicht, fallen die Vergünstigungen wie Personenschutz, Haftverschonung und Hilfen zur Gründung einer neuen Existenz weg.

Tatsächlich war es Giovanni Falcone selbst, der gewissermaßen zu Di Matteos vorzeitiger Freilassung beigetragen hat: Er kämpfte für die Einführung der Kronzeugenregelung. Er war es, der den ersten reumütigen Mafia-Boss, Tommaso Buscetta, zum Sprechen brachte und sich für dessen Schutz einsetzte. Die Verabschiedung eines Gesetzes, das diesem Personenkreis nach US-amerikanischem Vorbild weitreichende Garantien gewährte, erfolgte hauptsächlich auf Giovanni Falcones Bestreben.

Vincenzo Delle Donne

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