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Panorama: "Maren Gripes notwendige Rituale": Alles bleibt. Alles ruht. Alles zerbricht

Nach nassem Hanf und verbranntem Flachs. Nach Salz, Meer, Fischen.

Nach nassem Hanf und verbranntem Flachs. Nach Salz, Meer, Fischen. In Oystein Lønns kleinem Roman "Maren Gripes notwendige Rituale" orientieren sich die Menschen mit Hilfe von Gerüchen, und wer nicht weiß, wie es auf einer kleinen norwegischen Insel riecht, kann es hier lesen: knapp und fast minimalistisch. Dafür ist der Norweger in seinem Heimatland bekannt. Seit 1966 publiziert er Novellen und Romane, dies ist seine dritte deutsche Übersetzung - eher eine Erzählung als ein Roman. Es ist die erstaunliche Geschichte von Maren Gripes, einer Inselbewohnerin, die eines Tages aus ihrem Trott ausbricht und alles anders macht. Erstaunlich, weil sie deshalb von den anderen Inselbewohnern gleich für verrückt erklärt und aufs Festland ins Irrenhaus geschickt wird: Maren Gripes, die sonst keinen Tropfen anrührt, hatte sich im einzigen Gasthaus der Insel betrunken und ihre Bluse aufgeknöpft, nachdem sie Leo Tybrin Beck begegnet war, einem holländischen Seemann, der sie nicht einmal bemerkte. Maren Gripes im Wirtshaus - in den Augen der anderen Inselbewohner eine Unmöglichkeit.

"Sie hätte absolut nicht dort sein dürfen, und sie waren so verwundert, dass sie taten, als wäre es ein Unfall." Eine Ordnung zerbricht, und was dann passiert, sickert durch die Geschichte wie stinkende Schlacke. Friedfertige Inselbewohner drehen durch, stecken Scheunen in Brand, demolieren das Eigentum des Gastwirtes oder baden, wie Lina, Unmengen Kandis lutschend, stundenlang im Waschzuber. Symptome einer Unruhe, die mit dem Erscheinen des holländischen Seemanns hereingebrochen ist. Angst vor dem Fremden - das ist die eigentliche Geschichte, die Oystein Lønn hier aufbewahrt. Dazu hat er die passende Form gefunden: Statt linear zu erzählen, lässt er die Inselbewohner in verschiedenen Befragungen zu Wort kommen. Aber auch dieses Muster ist nicht Autorität. Die Brüche zwischen den Perspektiven werden zunehmend übergangslos, die Ereignisse fließen ineinander, und je länger Lønn erzählt, desto unklarer werden die wilden vier Tage auf der Insel.

Hass und Zufall

Lønn besitzt die Gabe, lieber an- als auszudeuten: Mitunter fühlt man sich wie in Kleists "Zerbrochenem Krug", bis erkennbar wird, dass es hier nicht darum geht, einer vertuschten Wahrheit auf den Grund zu gehen, sondern den Wahrheitsbegriff überhaupt unter die Lupe zu nehmen: Ist Maren Gripes verrückt geworden (oder genesen), weil endlich etwas aus ihr herausgebrochen ist, das mehr als ihr vorheriges Leben zu tun hat? Eine längst fällige Sehnsucht, die allerdings nie als solche beim Namen genannt wird, als hätte jeder Angst vor dieser Kraft.

Über Maren Gripes heißt es einmal, sie sei Maren Gripes begegnet... Was für sie einem befreienden Erwachen gleicht, wendet sich bald gegen andere. Tybrin Beck, gegen den sich der allgemeine Hass zu richten beginnt, ist dann zwar das, was der Insel "passiert" ist. Aber er ist nur ein Symbol, das zufällig zu einem bestimmten Zeitpunkt bereit ist. Marens Mutter sagt es so: "Manchmal wird jemand zum Ziel für alles, was eingedämmt ist. Das kann seltsamerweise jeder sein. Man trifft einen Menschen, der zum Ziel für alles wird, was eingedämmt ist", fügt sie hinzu. "Jetzt ist es Tybrin Beck."

Damit bekommt dieses Buch eine schaurige Aktualität. Es ist längst nicht mehr nur ein Inselroman. Fast könnte man das heimliche Thema überlesen, sich lieber ein wenig betäubt tragen lassen von der eigenwillig melancholischen Stimmung. Denn um mit dem Inselmythos brechen zu können, muss er zunächst einmal entwickelt werden. Das gelingt Lønn auf so wunderbar unspektakuläre Weise, dass man am liebsten daran glauben möchte. An Jacob, der von den Farben des Meeres besessen ist. An den Pastor, der fast traumwandlerisch die Verhöre führt und ansonsten gemächlich sinniert, höchstens einen Gedanken daran verschwendet, den Tabak zu wechseln.

Alles bleibt. Alles ruht. Und wenn sich Menschen bewegen, dann nach feststehenden Gesetzen. Wenn sie reden, dann kurz und eindeutig. Lønn baut den Mythos in die Geschichte ein, obwohl er doch von Satz zu Satz zerbricht. Diese Gleichzeitigkeit von Ruhe und Unruhe macht die Faszination dieses Buches aus.

Anja Hirsch

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