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Margot Käßmann: Von Pflicht und Gefühl

Sie hat immer höhere Ämter übernommen, auch aus protestantischem Ethos. Dabei hätte sie sich ein anderes Leben vorstellen können – ein freieres. Nach ihrer Trunkenheitsfahrt versagt sich Margot Käßmann, Landesbischöfin und Vorsitzende der Evangelischen Kirche, allen Appellen zum Weitermachen. Und geht

Sie hat lange überlegt, ob sie Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland werden will. Für den Entschluss, von diesem Ehrenamt und als Landesbischöfin zurückzutreten, brauchte sie einen Tag. Als Margot Käßmann am Mittwochnachmittag vor die Presse tritt, fällt ihre Erklärung knapp aus. „Ich kann nicht mit der notwendigen Autorität im Amt bleiben“, sagt sie. Nachfragen lässt sie nicht zu.

Damit endet eine Karriere, an die große Hoffnungen geknüpft waren. Dass diese sympathische Frau, die so sprühte vor Begeisterung für ihren Glauben, die Menschen zurückholen würde in die Kirchen, haben viele gedacht, und dass sie ihr mehr Gehör verschafft. Man habe sich bemüht, sie zu halten, sagt ein Kirchenmann, aber es habe auch gewichtige Stimmen gegeben, die Margot Käßmann vorhersagten, zu was für einer Belastung die nächtliche Trunkenheitsfahrt für sie werden würde.

Eine Fahrt, zu deren genauen Umständen Margot Käßmann in ihrer Erklärung kein Wort verlor. Ihre Heimatzeitung, die „Hannoversche Allgemeine“, hat herausgefunden, dass die Bischöfin sich kurz vor 23 Uhr in Hannovers Rotlichtbezirk, dem Steintorviertel, ans Steuer ihres Dienstwagens, ein VW Phaeton, setzte, um die zwei Kilometer zu ihrer Wohnung zu fahren. An einer Kreuzung überfuhr sie eine rote Ampel. Ein Streifenwagen nahm die Verfolgung auf, als der Wagen hielt, stiegen auch die Beamten aus. Käßmann öffnete ihr Seitenfenster, es roch nach Alkohol. Die Beamten veranlassten einen Bluttest, der 1,54 Promille ergab. Ausfallerscheinungen hat Käßmann nicht gezeigt. Sie war nicht allein im Wagen, die Personalien der Begleitperson wurden nicht aufgenommen – der Fall war klar, man brauchte keinen Zeugen.

Eine Ahnung von dem, was auf diese Kontrolle folgen würde, dürfte Margot Käßmann schnell bekommen haben. Einer, der sie gut kennt, sagt über sie, sie finde es unerträglich, wenn sie nicht konsequent in ihrem Handeln sein könne. Wegducken könne sie sich nicht.

Wie überhaupt das „nicht machen“ das größere Problem zu sein scheint. Immer wieder in den vergangenen zwei Jahren wurde sie gelöchert, ob sie sich als Bischöfin der größten evangelischen Landeskirche zu Höherem berufen fühle, immer wieder sagte sie, sie wisse es nicht. Es aber am Ende dann wirklich nicht zu machen, war ihr auch nicht möglich. Dabei waren die Zweifel nicht taktisch, nicht demütig, um dann bei der Wahl womöglich bessere Chancen zu haben. Es waren ehrliche Zweifel.

In Margot Käßmann kämpfen zwei Ansprüche miteinander: Pflichtbewusstsein und das Bedürfnis, leben zu wollen, nicht nur als Funktionsträgerin, sondern als eine Frau von Anfang 50, die 2007 eine Brustkrebserkrankung überstanden hatte. Die drei Monate aus dem Amt als Landesbischöfin ausgestiegen war und über sich und ihr Leben nachgedacht hatte. Die sich, ihre Fröhlichkeit, ja auch ihre Weiblichkeit, neu entdeckte.

„In der Mitte des Lebens“ nannte sie das Buch, das sie in dieser Zeit geschrieben hat. In der Mitte des Lebens brechen viele Frauen noch einmal zu neuen Ufern auf, heißt es darin. Die Kinder sind aus dem Haus, eine neue Phase der Freiheit bricht an. Das Amt der Ratsvorsitzenden war für Margot Käßmann nicht unbedingt ein neues Ufer. Aber Anfang vergangenen Jahres sagte sie schließlich: „Wenn die anderen mich wollen, werde ich es machen.“ Das Pflichtbewusstsein hatte gesiegt, wieder einmal.

Der Zwiespalt zwischen Pflicht und der Sehnsucht danach, das Leben genießen zu wollen, begleitet die zierliche Frau schon ein Leben lang. „Wenn der Herrgott jeden Tag für dich da ist, wirst du ja wohl einmal in der Woche für ihn Zeit haben“, hatte die Mutter zu ihr gesagt, wenn sie sonntags in den Gottesdienst nicht mitkommen wollte. Die Mutter war die Strenge bei Käßmanns zu Hause. Der Vater der Weiche, der mit der Tochter kleine Fluchten unternahm, mit ihr Schnitzel essen ging, sie tröstete. Margot Käßmann hat beides geerbt.

Ohne die strenge Fuchtel der Selbstdisziplin, ohne Ehrgeiz hätte sie es nie mit nur 41 Jahren auf den Bischofsstuhl in Hannover geschafft und nebenbei vier Töchter groß gezogen, dann noch der EKD-Vorsitz. Aber sie wollte eben auch fliehen dürfen.

Als sie beruflich alles erreicht hatte, was eine Theologin in Deutschland erreichen kann, sagte sie der „Zeit“, dass sie davon träume, sich irgendwann wieder mehr ins Private zurückziehen, eine „Lebensphase ohne Berufsdruck“ erleben zu können. Sie hat sich nicht mit ausgefahrenen Ellenbogen nach oben geboxt. Auch um das Amt der Landesbischöfin hatte sie sich nicht geprügelt. Als sie gefragt wurde, ob man sie aufstellen dürfe als Kandidatin, sagte sie Ja. Man hatte ihr gesagt, dass sie sowieso keine Chancen haben würde. Als sie dann gewählt wurde, sei sie selbst schockiert gewesen. Wieder fragte sie sich: Oh Gott, kann ich das? „Wenn Gott dir ein Amt gibt, dann gibt er dir auch die Kraft, es auszufüllen“, habe ihr Großmutter gesagt. Sie selbst hatte ja immer gedacht, ein Bischof müsse männlich und ältlich sein und eine gediegene Ausstrahlung haben. Sie selbst passte nicht in ihr eigenes Bild. Der, dem sie jetzt Platz macht an der EKD-Spitze, wird dem Bild wieder entsprechen. Ihr Stellvertreter Nikolaus Schneider wird übernehmen. Er ist 62 Jahre alt, ein Rheinländer, einer, der immer wieder auch den Dialog mit den Katholiken suchte, von denen Margot Käßmann sich stets abzugrenzen wusste. Einer aber auch, der sich in politische Debatten einmischt.

Margot Käßmann hat nie einen Hehl aus ihren Schwächen, aus ihren Zweifeln und Ängsten gemacht. Gerade deshalb öffneten sich ihr Herzen. Denn vielen geht es ähnlich, die Sorge, überfordert zu sein, dem Leistungsdruck nicht standzuhalten. Die heimliche Sehnsucht nach einem ganz anderen, freieren Leben, auch die teilt sie mit vielen ihrer Anhänger. Von ihrer „Nahbarkeit“ spricht Katrin Göring-Eckardt, die Grünen-Politikerin, die EKD-Ratsmitglied ist und nun „traurig“ über den Rückzug. Doch da Frau Käßmann immer „durch ihre Gradlinigkeit in theologischen Fragen überzeugt“ habe, sei ihr Entschluss zu respektieren. „Sie wird uns fehlen“, sagt Göring-Eckardt.

Der EKD-Rat hatte sich am späten Dienstagabend zu einer Telefonkonferenz verabredet, alle 14 Mitglieder, Käßmann eingeschlossen, sie haben diskutiert und „einmütig“ eine Erklärung verabschiedet, die Rückhalt für Käßmann signalisiert. Darin heißt aber es auch: „In ungeteiltem Vertrauen überlässt der Rat seiner Vorsitzenden die Entscheidung über den Weg, der dann gemeinsam eingeschlagen werden soll.“ Kritische Beobachter werteten diese Formulierung als diplomatisch verpackte Aufforderung zum Rücktritt. Göring-Eckardt am Telefon: „Wir wollten ihr die Möglichkeit geben, frei zu entscheiden.“ Was sie dann tat.

In Käßmanns jüngstem Buch „In der Mitte des Lebens“ ist viel die Rede von der Erschöpfung, die man mit Anfang 50 spürt, vielleicht zum ersten Mal im Leben. Das Buch kam wenige Wochen vor der Ratswahl im Oktober 2009 heraus. Welcher Mann hätte sich so kurz vor einem Wettbewerb, der über das eigene Lebenswerk entscheidet, zum Thema Erschöpfung geäußert? Ihre männlichen Konkurrenten protzten denn auch bei der Vorstellungsrunde mit virilen Qualitäten, versuchten sich in der gezeugten Kinderschar zu übertrumpfen, während Margot Käßmann vom Scheitern in ihrer Ehe sprach, authentisch bis zur Schmerzgrenze. Die Authentizität einer Seelsorgerin ist ihre große Stärke. Sie versteckte sich nicht hinter Phrasen und Masken, in die sich andere Leistungsträger zwängen wie in ihre Anzüge. Und weil sie sich nicht versteckte, scheinbar ihr Innerstes nach außen kehrte, konnte sie in kurzer Zeit eine verblüffende Nähe zu Menschen herstellen – ob zu Straßenkehrern, Journalisten oder Ministern.

„Wenn ich nicht mehr sein kann, wie ich bin, dann kann ich dieses Amt nicht mehr ausüben“, hatte sie Mitte Januar gesagt und damit insgeheim bereits den Fahrplan ihres Abschieds vorgelegt. Wenn sie sich jeden Tag überlegen müsste, was solltest du sagen und was besser nicht, könnte sie den Stress nicht aushalten, dann würde sie gar nicht mehr zur inneren Ruhe finden.

Da tobte gerade die Auseinandersetzung um ihre Äußerungen zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Vertreter fast aller Parteien waren hart mit ihr ins Gericht gegangen, so etwas hatte sie als Landesbischöfin nie erlebt. Plötzlich hieß es, sie sei ihrer Aufgabe wohl intellektuell nicht gewachsen. Rede von Dingen, von denen sie keine Ahnung habe. „Das trifft mich schon sehr“, hatte sie danach gesagt, „auch emotional“. Wie sehr sie die Debatte mitgenommen hatte, konnte jeder erleben, der sie Ende Januar, Anfang Februar getroffen hat. Abgespannt wirkte sie, müde.

Dabei gab es innerkirchlich keinen Gegenspieler mehr, außer ihr selbst. Nach ihrem „Fehler“ hätte sie künftig wohl nicht mehr einfach so sein können, wie sie ist. So sagte sie es auch am Mittwoch: „Die Freiheit, ethische und politische Herausforderungen zu benennen und zu beurteilen, hätte ich in Zukunft nicht mehr so, wie ich sie hatte.“

Vielleicht wollte sie auch nicht noch einmal derart angefeindet und, ja, gehasst werden, wie in den Monaten, nachdem sie ihre Scheidung öffentlich gemacht hatte. Dieser Hass, der ihr da in Mails und Briefen entgegengeschlagen war, vor allem aus streng konservativen evangelischen Kreisen, der hat ihr damals sehr zugesetzt, gestand sie.

„Ich hänge nicht an diesem Amt“, das hat sie oft gesagt und dann herzhaft gelacht. Das Pflichtgefühl, es hat diesmal verloren.

Mitarbeit Kai Müller

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