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Update

Mehr als 3900 Opfer bei Erdbeben: Fachleute befürchten Ausbruch von Epidemien in Nepal

Nach dem massiven Erdbeben in Nepal nimmt die Zahl der Todesopfer weiter zu. Rettungsteams arbeiten sich in die abgelegenen Regionen des Himalaya vor. Hunderttausende Nepalesen campieren auf den Straßen. Reinhold Messner kritisiert die „Zwei-Klassen-Rettung“.

Zwei Tage nach dem schweren Erdbeben im Himalaya finden die Helfer weiter zahlreiche Tote. In den entlegenen Erdbebengebieten des Himalaya kommen die Retter nach der Katastrophe mit mindestens 3900 Toten nur schwer voran.
Hilfsorganisationen berichten, dass Erdrutsche und armbreite Risse viele Straßen des bergigen Landes unpassierbar machen. Einzelne Flugzeuge mit Hilfsgütern
mussten umkehren, weil der einzige internationale Flughafen Nepals überlastet war. Selbst in der Hauptstadt Kathmandu gab es kaum Strom und Benzin.

Das nepalesische Innenministerium gab die Zahl der bestätigten Toten am Montag mit inzwischen 3837 allein im eigenen Land an. Nach Regierungsangaben sollten am Montag massenhaft Leichen verbrannt werden, um Seuchen zu verhindern.

Allein in Nepal kamen nach Regierungsangaben vom Montag mindestens 3 326 Menschen ums Leben. Für die Rettungs- und Hilfsarbeiten würden alle verfügbaren Kräfte eingesetzt. Das Militär erklärte, 90 Prozent aller nepalesischen Soldaten seien im Einsatz. In Indien starben bei dem gewaltigen Beben 62, in China mindestens 20 Menschen. Unterdessen erschütterten weitere Nachbeben die Erde im Katastrophengebiet.

Zahlreiche Staaten und Organisationen entsandten Helfer. Der einzige internationale Flughafen Nepals war zwar am Montag geöffnet, doch konnten viele Flugzeuge nicht landen und zogen stundenlang Kreise. Auch Deutschland schickte Experten. Am Mittag sollte ein Team des Technischen Hilfswerks (THW) in der Hauptstadt Kathmandu eintreffen.

Den Überlebenden machten in der Nacht starke Regenfälle zu schaffen. Hunderttausende abgekämpfte Menschen verbrachten die Nacht - auch aus Angst vor Nachbeben - in provisorischen Zeltstädten. Nepals Regierung spricht von mehr als 6500 Verletzten. Krankenhäuser sind heillos überfüllt. Viele Verletzte müssen auf der Straße versorgt werden. Die Regierung rief die Bürger am Montag zu Blutspenden auf. Überlebende berichten, viele Straßen seien wegen Erdrutschen oder aufgerissenen Teer nicht passierbar.

19 Bergsteiger und Helfer in einer Lawine gestorben

Das Tourismusministerium versicherte, ein Fokus der Hilfskräfte sei es auch, die festsitzenden Urlauber in Sicherheit zu bringen. Allein aus dem Basislager am Mount Everest seien 82 Menschen ausgeflogen worden, sagte Suresh Man Shrestha vom Ministerium. Dort waren mindestens 19 Bergsteiger und Helfer in einer Lawine gestorben. Dutzende sitzen noch am höchsten Berg der Welt fest.

Die Europäische Kommission versprach Nepal drei Millionen Euro Soforthilfe. Das Geld solle zusätzlich zu den Hilfen der einzelnen Mitgliedstaaten und zur Entsendung von Zivilschutzexperten in die Erdbebenregion fließen, erklärte der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe, Christos Stylianides. Am dringendsten würden medizinische Helferteams und Nothilfe-Lieferungen benötigt.

Die Asiatische Entwicklungsbank sicherte 200 Millionen Dollar (rund 183 Millionen Euro) an Unterstützung zu. Für Zelte, Medikamente und Trinkwasser sollen kurzfristig 3 Millionen Dollar Soforthilfe bereitgestellt werden. In Kathmandu habe in der Nacht eine solidarische Atmosphäre geherrscht, berichtet der deutsche Reisefotograf Jordane Schönfelder. Viele Menschen seien auf Nachbarschaftshilfe angewiesen. Es gebe keine Informationszentren und nur wenige Soldaten und Polizisten. „Selbst nach den Verschütteten graben die meisten Leute selber.“

Weltkulturerbe- und Pilgerstätten wurden zerstört

Das Erdbeben der Stärke 7,8 war die stärkste Erschütterung des Bodens in Nepal seit mehr als 80 Jahren. Das Epizentrum lag etwa 80 Kilometer nordwestlich von Kathmandu. Große Teile der Infrastruktur Nepals, viele alte Häuser sowie Weltkulturerbe- und Pilgerstätten wurden zerstört. Schulen und Universitäten bleiben für eine Woche geschlossen. „Wir versuchen Telefonleitungen zu reparieren und Strom wiederherzustellen„, sagte Nepals Kommunikationsminister Minendra Rizal. Nach Regierungsangaben sollten auch am Montag massenhaft Leichen verbrannt werden, um Seuchen zu verhindern.

Dem Beben am Samstag folgten viele Nachbeben. Das ganze Ausmaß der Zerstörung war noch nicht abzusehen, weil viele abgelegene Dörfer zunächst nicht erreicht wurden. Auch Kathmandu war nicht mehr über den Landweg erreichbar, nachdem ein Nachbeben der Stärke 6,7 die Ost-West-Landstraße bei Mugling und Narayanghat blockierte.

Indien schickt Helikopter

Vom Flughafen Berlin-Schönefeld sollte am Montag ein Flug mit 60 Tonnen Hilfsgütern nach Nepal starten, wie das Deutsche Rote Kreuz mitteilte. Ein Hilfsflug von I.S.A.R. Germany mit 52 Experten war schon am Sonntag gestartet. Unter ihnen seien auch Rettungshundeführer. Das größte Hilfskontingent kommt aber aus dem Nachbarland Indien. Neu Delhi schickte allein 16 Helikopter. „Das Erdbeben in Nepal, das so viele Tote verursacht hat, ist eine schlimme Katastrophe. Die internationale Gemeinschaft muss die Region jetzt unterstützen“, erklärte Bundesinnenminister Thomas de Maizière.

Viele Organisationen riefen zu Spenden für die Erdbebenopfer auf und entsandten ebenfalls Helfer und Material. Die Liste der Länder, die in den ersten 24 Stunden ihre Unterstützung ankündigten, reicht von Sri Lanka über Japan und Russland bis Belgien, Frankreich und Luxemburg. Nepal rief den Notstand in den betroffenen Gebieten aus, in denen 6,6 Millionen Menschen leben. Gesteuert wird die Hilfe für Nepal vom UN-Büro zur Nothilfe-Koordinierung (OCHA).

Im Internet riefen Prominente zur Unterstützung auf: „Mein Herz bricht mit der steigenden Zahl der Todesopfer“, schrieb Sängerin Katy Perry am Montag bei Twitter. „Bitte helft Unicef dabei, betroffene Kinder und Familien zu unterstützen.“ Schauspielerin Alyssa Milano schrieb: „Mein Herz ist in Nepal.“ Auch der Tennisspieler Rafael Nadal, die Sängerin Shakira und Kim Kardashian äußerten ihr Mitgefühl.

Krankenhäuser überlastet

Fachleute warnen vor dem Ausbruch von Krankheiten: „Wir fürchten, dass es zu Epidemien kommen könnte“, sagte der Koordinator der Arbeiterwohlfahrt International (AWO) in Kathmandu, Felix Neuhaus, am Montag im Deutschlandfunk. Die Trinkwasserversorgung sei ausgefallen und Regen verschlimmere die Lage.

„Die Krankenhäuser sind komplett überlastet“, sagte Neuhaus. Auf den Straßen herrsche allgemeines Chaos, besonders schlimm sei die Situation in den Dörfern, „wo bis zu 100 Prozent der gesamten Bausubstanz zusammengefallen ist“, erklärte der Nothilfekoordinator.

„Die Situation in Kathmandu ist fatal“, sagte der Länderreferent bei Caritas international, Peter Seidel, im ZDF-„Morgenmagazin“: „Die medizinische Versorgung in Nepal ist schon in normalen Zeiten sehr schlecht, auf dem Land in vielen Regionen praktisch inexistent.“ Umso schwieriger werde es jetzt, medizinische Nothilfe zu leisten.

Nothilfekoordinator Neuhaus kritisierte, dass es bislang „keine Unterstützung von staatlichen Akteuren“ gebe. Auch die Hilfsarbeiten liefen bislang „relativ unkoordiniert“.

Das soziale Netzwerk Facebook startete einen „Safety Check“: Damit können Nutzer ihren Status auf „sicher“ stellen, um ihre Freunde wissen zu lassen, dass es ihnen gut geht. Googles „Personenfinder“ lässt auch zu, dass Nutzer Informationen über Dritte angeben - etwa wenn sie mit jemandem im betroffenen Gebiet telefoniert haben.

Der deutsche Reisefotograf Jordane Schönfelder ist derzeit in Nepal und sagte, für zahlreiche Touristen in der Hauptstadt Kathmandu seien die Funktionen sehr wichtig, um Bekannten Zuhause Bescheid zu geben. Die Informationen in Googles Funktion können von allen öffentlich eingesehen werden.

Messner kritisiert die Hilfsaktionen

Bergsteiger Reinhold Messner hat deine „Zwei-Klassen-Rettung“ angeprangert. Seiner Meinung nach werden bei den Hilfsaktionen die Prioritäten falsch gesetzt, wie er am Montag im Radiosender hr-Info erläuterte. In erster Linie müsse man den Menschen in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu helfen und nicht den Bergsteigern, erklärte Messner. „Im Kathmandutal und in den Schluchten drum herum ist eine viel größere Katastrophe passiert.“ Die Bergsteiger benötigten natürlich auch Hilfe, allerdings nicht vorrangig. „Es ist zynisch, dass man um die Bergsteiger am Mount Everest, die sich für 80 000 bis 100 000 Dollar diese Besteigung kaufen können, einen solchen Hype macht“, sagte Messner. Am Mount Everest gebe es genügend Ärzte und Essen. Außerdem könne man die Betroffenen mit dem Hubschrauber ausfliegen. (AFP/dpa)

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