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Panorama: Mein Garten Eden: Atemberaubendes Aroma

Meine Großmutter war eine Wohnungsgärtnerin. Sie wohnte 43 Jahre lang in einer alten Stadtwohnung, die genau genommen als Gewächshaus diente - voll von Blumentöpfen, Stecklingen, Samenkistchen.

Meine Großmutter war eine Wohnungsgärtnerin. Sie wohnte 43 Jahre lang in einer alten Stadtwohnung, die genau genommen als Gewächshaus diente - voll von Blumentöpfen, Stecklingen, Samenkistchen. Ihre Geranien überwinterten auf dem Schlafzimmerschrank, von der Küchendecke hingen Büschel mit wildem Kümmel zum Trocknen, in trüben Einmachgläsern dümpelten Eierschalen ihrer Reifung als Dünger entgegen, Sträuße standen herum, ein magerer Christusdorn am Fensterbrett wurde niemals weggeworfen, obwohl er unglaublich alt und hässlich aussah. Für meine Großmutter war die Wohnung kein Thema der Inneneinrichtung, sondern ein Pflanzenasyl, in dem es immer ziemlich unordentlich aussah.

Aber, von den Eierschalen abgesehen, roch es bei ihr so gut. Am allerbesten im Januar und Februar, wenn ihre Hyazinthen blühten. Meine Mutter, die Schwiegertochter meiner Großmutter, betrat die Wohnung dann nicht, weil sie von dem wahnsinnigen Duft Kopfweh bekam. Aber ich war begeistert. Ich hatte das Wachstum der Hyazinthen schon monatelang verfolgt. Sie standen in Gläsern am Fenster. Die dicken Zwiebeln setzte meine Großmutter oben auf den Rand. Langsam wuchsen die dünnen langen Wurzeln in das gelblich-abgestandene Wasser in den Gläsern hinein. Die Zwiebeln selber waren durch spitze bunte Stanniolhüte verdeckt, die man nicht heben durfte. Geheimnisvoll rüsteten sich darunter im Dunkeln die Blüten zum Aufbruch.

Eines Tages kamen die Hütchen dann weg. Kurze hellgrüne Blätter zeigten sich, und ganz innen der Blütenansatz. Das Wachstum schritt fort, und eines Tages waren sie tatsächlich soweit: ein strammer Stängel hielt die walzenförmig angeordneten Knospen aufrecht ins Licht. Und dann öffneten sich die Knospen, zuerst die unteren, und verströmten ein geradezu atemberaubendes Aroma. Die Hyazinthen blühten nicht stark, das haben ja bekanntlich die meisten Blumen besonders gern.

Warum heißen sie Hyazinthen, Oma? Ach, das ist eine sehr rührende Geschichte, die ich mir immer wieder erzählen ließ. Sie geht auf die griechische Göttermythologie zurück. Apollo, der Gott des Lichtes, Sohn des Zeus, liebte einen schönen Jüngling namens Hyakinthos. Eines Tages tötet er ihn aus Versehen durch einen unglücklichen Diskuswurf. Aus dem Blut des Geliebten ließ Apollo eine schöne Blume wachsen, der er den Namen des Toten gab. Zu deutsch: Hyazinthe.

Die Hyazinthen meiner Großmutter blühten bis in den März hinein. Dann kam, wie bei allen Zwiebelpflanzen, der weniger schmückende Teil. Die Blätter wurden gelb und immer länger. Aber selbstverständlich wurden sie nicht abgeschnitten. Sonst würden die Zwiebeln verbluten wie der arme Hyakinthos und im Herbst unter dem Hütchen nicht wieder austreiben. Jede Blume, sagte meine Oma, hat das Recht, in Ruhe zu verwelken, wie der Mensch auch.

Ursula Friedrich

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