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In einigen italienischen Arztpraxen ist schon der Impfstoff ausgegangen.

© PHILIPPE DESMAZES/AFP

Meningitis in Italien: Die eingebildeten Kranken

Nach dem Tod zweier Studentinnen wollen sich tausende Italiener gegen Meningitis impfen lassen – dabei gibt es gar keine Häufung von Hirnhautentzündungen, nur viele Gerüchte

Die Panik vor einer tödlichen Meningitis-Infektion in Italien hat ein Gesicht: Jenes von Flavia Roncalli, einer 24-jährigen Chemie-Studentin in Mailand. Sie war am 30. November wenige Stunden nach ihrer Einlieferung in die Notaufnahme an einer akuten, bakteriell verursachten Hirnhautentzündung gestorben – nachdem eine gleichaltrige Kommilitonin aus der gleichen Fakultät schon vier Monate zuvor vom gleichen Erreger dahingerafft worden war. Flavias Tod hat Italien berührt und beunruhigt – das Bild der hübschen jungen Frau prangte in den ersten Dezembertagen auf den Frontseiten aller italienischen Zeitungen.

Seither berichten die Medien mehr oder weniger täglich über neue Meningitis-Erkrankungen im ganzen Land – obwohl 98 Prozent der Fälle glimpflich enden. Die Berichte haben eine regelrechte Psychose ausgelöst: Seit etwa zwei Wochen rennen jeden Tag tausende Italiener in Arztpraxen, staatliche Ambulanzen und Apotheken, um sich gegen Hirnhautentzündung impfen zu lassen.

Zahl der Grippetote weitaus höher als Meningitis-Todesfälle

Und weil in den vergangenen Tagen in einzelnen Praxen vorübergehend die Impfstoffe ausgegangen waren, gesellte sich zur Angst vor einer Erkrankung auch noch die Panik, sich vor der tödlichen Gefahr womöglich nicht mehr schützen zu können – was den Run auf die Impfung noch verschärfte.

In der vergangenen Woche versuchte das Gesundheitsministerium, die verängstigten Bürgerinnen und Bürger zu beruhigen: „Es gibt keinen einzigen Hinweis auf einen sanitären Notstand auf nationaler Ebene“, hieß es in einem Rundschreiben der Behörde. Ebenso wenig bestehe die Gefahr, dass der Impfstoff ausgehe. Gefährlich sei in erster Linie die vom Erreger Meningokokkus Serotyp C verursachte Hirnhautentzündung (an welcher auch Flavia Roncalli und ihre Studienkollegin gestorben sind), doch auch bei diesem Typ lägen die Erkrankungen im üblichen, sporadischen Rahmen – insgesamt 187 Fälle im gerade abgelaufenen Jahr. Mit landesweit weniger als 20 Todesfällen sei keine Häufung gegenüber dem jährlichen Durchschnitt festzustellen.

„Es gibt keinen Grund, jetzt zum Arzt zu rennen, schon gar nicht für gesunde Erwachsene“, betont auch der Präsident des nationalen Sanitätsinstituts, Walter Ricciardi. Viel wichtiger sei es, bereits bei Klein- und Schulkindern für den nötigen Impfschutz zu sorgen oder sich als älterer Erwachsener gegen die Grippe impfen zu lassen, die in Italien jedes Jahr über 7000 Todesfälle verursache. „Es ist doch irrational, dass sich nun massenhaft Senioren gegen Hirnhautentzündung impfen lassen wollen, welche die von den Behörden dringend empfohlene Grippeimpfung aus ,prinzipiellen Gründen’ ablehnen“, sagt Ricciardi.

Wilde Verschwörungstheorien im Internet

Tatsächlich glauben auch in Italien immer mehr Leute an alle möglichen Schauermärchen, die sie in esoterisch angehauchten Internet-Foren oder sozialen Medien lesen – etwa an die längst widerlegten Behauptungen, dass Impfungen gegen Kinderkrankheiten zu Autismus führen könnten oder das eigene Immunsystem schwächten. Der Prozentsatz der italienischen Eltern, die ihre Kinder impfen lassen, ist bereits auf alarmierende Weise gesunken; Gesundheitsexperten warnen vor der Gefahr, dass Krankheiten, die dank jahrzehntelangen Impfkampagnen praktisch ausgerottet werden konnten, in Form von tödlichen Epidemien zurückkehren könnten.

Einer der Mediziner, die sich in Italien am vehementesten gegen „Fake News“ und Verschwörungstheorien gegen das Impfen zur Wehr setzen, ist der Mailänder Immunologie-Professor Roberto Burioni. Auf seiner Facebook-Seite nimmt er regelmäßig zu aktuellen Fragen Stellung – auch zur Meningitis. „Eine der Lügen, die mir am meisten auf die Nerven gehen, ist jene, wonach der Meningokokkus C von den Flüchtlingen eingeschleppt worden sei“, schrieb Burioni in einem Eintrag vom Silvestertag. Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass in Europa die Typen B und C vorherrschten, in Afrika dagegen die Typen A, W-135 und X. „Wer die Lüge von der Einschleppung durch Flüchtlinge verbreitet, ist ein ignoranter Esel“, stellte der 54-jährige Burioni klar.

Der Eintrag wurde über zwei Millionen Mal gelesen und hat in wenigen Stunden eine Flut von aggressiven, fremdenfeindlichen Antworten ausgelöst, zumeist garniert mit pseudowissenschaftlich untermauerten „Gegenbeweisen“ und verlinkt mit gefälschten „Studien“. Noch am gleichen Tag löschte Burioni alle Einträge. „Ich beschäftige mich seit 35 Jahren mit der Materie. Meine Facebook-Seite ist kein Ort, wo Leute, die nichts wissen, mit mir diskutieren können“, begründete Burioni seine Maßnahme. Die Wissenschaft sei nicht demokratisch: „Auch wenn 99 Prozent der Bevölkerung der Ansicht sind, dass zwei plus zwei fünf ergibt, ist die richtige Lösung trotzdem noch vier.“

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