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Michael Bloomberg

© AFP

Michael Bloomberg: Der König und die Krise

New York wählt: Michael Bloomberg will wieder Bürgermeister werden – doch er hat auch Viele enttäuscht.

Felix ist ein einflussreicher Mann. Kein Politiker, der die Latino-Stimmen von Washington Heights haben will, kommt an ihm vorbei. Bisher hat Felix sein Gewicht in der Community stets treu für Michael Bloomberg in die Waagschale geworfen. Diesmal ist das anders. An diesem Dienstag tritt Bloomberg zum dritten Mal als New Yorker Bürgermeister an. Die Amtszeitbegrenzung auf zwei Wahlperioden hat er eigens abgeschafft. Im Schaufenster von Felix’ Laden stecken zwischen Töpfen und Bohrern diesmal große Pappschilder, die für Bloombergs Herausforderer Bill Thompson werben. „Ich mag Mike immer noch“, sagt der stets makellos gekleidete Dominikaner, der vor 40 Jahren aus der Karibik hierher zog. „Aber die Zeiten haben sich geändert.“

Was sich geändert hat, sieht man, wenn man von Felix’ Laden aus den Broadway hinunterläuft. In jedem Block hängt vor wenigstens einem Geschäft ein großes Schild, auf dem „For Rent“ steht. Die Wirtschaftskrise hat voll durchgeschlagen, hier, an der Grenze zwischen dem schwarzen Harlem und den vorwiegend hispanischen „Heights“. Die „Heights“ sind ein Arbeiterviertel, Lichtjahre von jenem parfümierten Manhattan entfernt, das man aus „Sex and the City“ zu kennen meint und das nur wenige U-Bahn-Stationen entfernt ist. In den vergangenen Jahren haben die „Heights“ sich gemausert: Die Straßen sind sauber, und man kann ohne Furcht nachts von der U-Bahn nach Hause laufen. Doch in den letzten Monaten hat man Angst, dass die schlimmen Zeiten zurückkommen.

Felix erinnert sich noch allzu gut daran, wie das war, als man jede Nacht Schüsse in der Gegend hörte und die Drogengangs die Straßen in ihrem Würgegriff hielten. Aber dann kamen die 90er Jahre, und Bürgermeister Rudy Giuliani räumte mit eiserner Polizeigewalt die Stadt auf. In einer seiner symbolträchtigsten Aktionen ließ Giuliani eine Hundertschaft von Polizisten mit Knüppeln anrücken, um die Obdachlosen aus dem Park am Tompkins Square zu vertreiben. Seit Jahren hatten sie dort gezeltet, von den Anwohnern mitversorgt. Heute ist der Tompkins Square von schicken Restaurants umringt, der gepflegte Park hat sogar einen eigenen Hundespielplatz. Eine Zweizimmerwohnung ist hier nicht mehr unter zweieinhalbtausend Dollar pro Monat zu haben. Wirklich absurd wurden die Veränderungen jedoch erst Ende der 90er Jahre.

Es war eine Explosion in zwei Wellen, erst die Dotcom-Blase und dann der Börsen- und Immobilienboom nach dem 11. September 2001. Die Ära von Bloomberg brach an. Jenem Mike Bloomberg, der mit seinem Finanzinformationsdienst eines der größten Vermögen der USA angehäuft hatte. Auf 13 Milliarden Dollar schätzt Fortune Magazine den New Yorker Bürgermeister, der einmal gesagt hat, New York sei ein Luxusprodukt, und wer es sich nicht leisten könne, müsse eben fortbleiben.

Felix aus Washington Heights unterstützte ihn trotzdem anfangs. Denn Bloombergs Philosophie, dass es allen gut geht, wenn es nur der Wall Street gutgeht, schien aufzugehen. Die Menschen in Washington Heights hatten Arbeit – als Taxifahrer, Kellner, Kindermädchen, Putzfrauen und Rezeptionisten. Und der Stadtsäckel war so voll, dass es für die Sanierung heruntergekommener Viertel reichlich Steuervorteile und Subventionen gab. Washington Heights blühte auf.

Mit dem Kollaps der Wall Street im vergangenen Jahr kollabierte jedoch auch Bloombergs Vision eines goldenen New York. Am deutlichsten ist dies wohl am Scheitern der ehrgeizigen Städtebauprojekte des Bürgermeisters abzulesen. Ganze Viertel wollte er neu erfinden, indem er Nutzungsbeschränkungen aufhob und Investoren einen roten Teppich aus Steuernachlässen und billigen Staatsdarlehen ausrollte. Alteingesessene Handwerksbetriebe mussten schließen, wenn sie die Mieten nicht mehr zahlen konnten. Bürogebäude und Luxuswohnungen entstanden.

Der Bedarf an Büros und Edelboutiquen ist mit der Krise jedoch praktisch erloschen. Traurigstes Symbol des jähen Stillstands ist wohl Ground Zero. Mit viel politischem Druck haben zwar jetzt die Bauten am Prunkstück, dem sogenannten Freedom Tower, begonnen. Kommerzielle Mieter dafür gibt es jedoch bislang nicht. Stattdessen ist nach neuesten Statistiken die Arbeitslosigkeit in der Stadt auf über zehn Prozent geklettert, 25 Prozent der New Yorker leben unter der Armutsgrenze. Die Obdachlosigkeit ist so hoch wie nie und kriecht auch wieder in das so penibel gesäuberte Manhattan.

Bloomberg versucht all das herunterzuspielen. Bill Thompson hingegen gibt zumindest ein Lippenbekenntnis für die kleinen Leute ab, für Leute wie Felix. Das reicht dem Eisenwarenhändler, um Bloombergs Herausforderer zu unterstützen, auch wenn dieser allen Prognosen zufolge keine Chance gegen den Milliardär hat, der den teuersten Lokalwahlkampf aller Zeiten führt. Letztlich weiß Felix, dass es niemand verhindern kann, wenn Washington Heights wieder zum Slum wird und nachts wieder Schüsse durch die Straßen gellen. Seine Hoffnung ist es insgeheim, dass er dann nicht mehr hier ist. Felix ist jetzt 62, und er baut sich gerade ein Haus am Strand in seiner Heimat. Nur das Geld für die Veranda muss er sich noch zusammensparen.

Sebastian Moll[New York]

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