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Panorama: Mit allem gerechnet

Wie sich die Menschen in Amerika auf das einmalige Wetterereignis vorbereitet haben.

Taschenlampen? Ausverkauft. Wasser? Ausverkauft. Batterien? „Das sind die letzten hier.“ Stromgeneratoren? „Haben wir nicht. Müssen Sie woanders versuchen. Viel Glück!“ Den ganzen Tag herrscht Hochbetrieb zwischen „Safeway“ und „Giant“ in der Mall in der King Street in Alexandria. Es ist wie kurz vor Weihnachten, wenn Heiligabend auf einen Sonntag fällt. Man deckt sich ein. Die Kassen klingeln zwar nicht, aber scheinen zu dampfen.

Denn „Sandy“ kommt. Dieses Unwesen, dieser Teufel, der „Frankenstorm“, das Urgetüm, der Super-Mega-Hurrikan. Drei Wettersysteme potenzieren sich in ihm zu einem naturgewaltigen Monster, dessen Winde, Stürme, Regenfälle und Schneeschauer Amerikas Ostküste in diesen Tagen lahmlegen könnten. Es ist die am dichtesten bevölkerte Region des Landes. 60 Millionen Amerikaner könnten betroffen sein. In vielen Bundesstaaten wurde der Notstand ausgerufen. Hochalarm bei Polizei, Feuerwehr, Elektrizitätswerken, Wasserversorgern, Telefonunternehmen. Wer über „Sandy“ spricht, pendelt zwischen Respekt, Sorge und Angst. Historische Analogien werden herangezogen, „Sandy“ übertrifft sie alle. Im Fernsehen laufen rund um die Uhr Sondersendungen. Über Zeitungen und Online-Portale werden Instruktionen verbreitet. Woran man nicht alles denken muss! Essen in Dosen kaufen, keine Tiefkühlkost, denn wenn der Strom ausfällt, geben Kühlschrank und Tiefkühltruhe ihren Geist auf. Genügend Bargeld abholen und den Wagen volltanken, weil bei Stromausfall weder die elektronischen Kassensysteme noch die Zapfsäulen funktionieren. Alles, was lose ist, ins Haus bringen, auch Mülleimer, damit nichts herumfliegt. Ein altes Telefon zur Verfügung haben, das man noch direkt mit der Telefonbuchse verbinden kann. Telefonnummern für den Notfall heraussuchen, abschreiben und in einer Plastiktüte verwahren. Das betrifft auch Dokumente und Versicherungspolicen.

Spezielle Anweisungen gibt es für Hochhausbewohner und Kleintierhalter. Ohne Strom kein Fahrstuhl. Und Tiere werden in den meisten Notunterkünften nicht akzeptiert. Außerdem: Laden Sie Ihre Handys auf! Heizen Sie die Wohnung nicht über den Gasherd, Vergiftungsgefahr! Überschwemmungen meiden, weil das Wasser durch abgeknickte Strommasten elektrisch geladen sein könnte. Es wirkt, als könne man mehr falsch als richtig machen. Längst bevor „Sandy“ da ist, wirbelt er alles durcheinander.

Wann schlägt Vorsicht in Hysterie um? Das ist schwer zu sagen. In diesen Minuten lässt der Wind draußen etwas nach. Ein seltsamer Ruhemoment. Politiker wollen gewarnt haben, Zeitungen Auflage machen, Fernsehanstalten schielen auf Einschaltquoten. Alarmismus verkauft sich besser als Beschwichtigung. Aber manchmal kommt der Wolf eben doch, der die Schafe fressen will. Und gilt nicht die Regel, dass es besser ist, sich zehnmal auf eine Katastrophe vorzubereiten, die dann nicht eintritt, als einmal unvorbereitet zu sein, wenn sie kommt?

Die Schule fällt aus, heißt es in den lokalen Fernsehnachrichten, also muss ohnehin umdisponiert werden. Das Haus nicht mehr verlassen, Wäsche waschen, lesen, mit Kindern spielen, Verwandte beruhigen. Und wenn der Strom ausfällt? Dann nur noch mit Kindern spielen, im batteriebetriebenen Radio die Ereignisse verfolgen und früh ins Bett gehen. Der Himmel wird schon nicht einstürzen. Malte Lehming

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