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Panorama: Mit aller Kraft

Die Retter, die Ermittler, die Seelsorger – die Arbeit nach dem Transrapid-Unfall ist mustergültig organisiert

Die junge Frau mit dem blonden Pferdeschwanz führt die Hände vor ihre zusammengekniffenen Lippen, faltet sie vor das Gesicht. Ein Mann legt ihr die Hand in den Rücken, stützend. Es ist der Tag nach dem Unglück, als die Magnetbahn in ein Streckenkontrollfahrzeug rast. Die Angehörigen der Verunglückten kommen auch an diesem Tag auf den Hof der Firma, die die Transrapid-Versuchsstrecke leitet, genannt „IABG“, Industrie-Anlagen-Betriebsgesellschaft. Der Morgen hat einen grauen Himmel, grau sind auch die breite Hofeinfahrt, die hallenähnlichen Gebäude. Ein Kombi mit drei Frauen darin kommt an, Sonnenbrillen tragen sie und schwarze Kleidung. Vorbei an Gruppen von Kamerateams und Fotografen werden sie gelotst, hin zum Besucherzentrum. Das ist ein weißes Klinkerhaus im Achtziger-Jahre-Stil. Eigentlich informiert es Touristen über die Magnettechnik des Zuges. Seit gestern warten hier fast rund um die Uhr Seelsorger auf die Familien der Verunglückten.

Ein Gitterzaun trennt Presse und Betroffene. In Bullis mit schwarzen Scheiben werden sie zur Unfallstelle gefahren, wenn sie dort Abschied nehmen wollen. Den Weg säumen Polizeiwagen, keiner kommt ohne Erlaubnis hindurch. Sorgfältig werden die Trauernden beschützt. Und alle Politiker, die da waren, am Freitag die Bundeskanzlerin, am Samstag der Innenminister und der Verkehrsminister, treffen als Erstes die Trauernden. Ein beeindruckendes Management der Trauer.

Morgens um 9 Uhr 52 landet ein grüner Hubschrauber der Bundespolizei Knatternd neben dem Gelände der IABG. Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee steigt aus, er hat seine China-Reise, auf der er auch für den Transrapid werben wollte, abgebrochen. „Meine Gedanken sind bei den Angehörigen“, sagt er, nachdem er die Unfallstelle besichtigt und die Angehörigen getroffen hat. „Ich habe im Gespräch gemerkt, was da noch alles auf sie zukommt.“ Andere Politikerkollegen, Lokalgrößen wie Landrat Hermann Bröring aus dem Landkreis Emsland, waren an diesem Morgen schon früh da. „Ich habe gestern noch spätabends mit Hinterbliebenen telefoniert“, sagt Bröring. Und er erzählt von einer Mutter, die ihre 16-jährige Tochter verloren hat. Von einer anderen Frau, 40 Jahre alt, die ihm sagte: „Ich habe doch schon meine Mutter, als sie 49 war, verloren. Und jetzt das noch.“ Leise erzählt er von einer anderen Angehörigen, die ihren Mann noch überredet hätte mitzufahren.

Feldwege grenzen an das Gelände, darüber die hohe Brücke, auf der das Magnetsystem der Bahn liegt. Wenige hundert Meter entfernt von den Verwaltungsgebäuden steht der Zug noch auf den Schienen. Er ist gegen einen Wartungswagen geprallt. Kabel, Platinen und silberne Metallstreben säumen den Weg. Alle Verweise auf die 33 Verunglückten sind weggeräumt. Kleidung, Blut, nichts mehr ist davon zu sehen. Welche Kraft der Aufprall hatte, das verraten nur noch autogroße Wandteile, drei Finger dick, die dreihundert Meter von dem Zug weggeschleudert wurden, jetzt vor Brombeersträuchern liegen.

Vor dem halben Zug sind zwei Gummireifen des Wartungsfahrzeugs aufgestellt, daneben Rosen, Friedhofskerzen. Das vordere Drittel des Zuges ist abgerissen, an der linken Seite hängt ein Wandstück herab, meterlang, leicht wie ein Stück Alufolie sieht es aus. Am Freitagmorgen, als das Unglück geschah, lag der Wartungswagen noch auf dem Mittelteil des Transrapid. Der schwere Unterbau des Transrapid hat sich mit der Nase voran unter den Wartungswagen geschoben, der leichte Aufbau der Passagierabteile riss ab.

Wie konnte es passieren? „Unsere Ermittlungen konzentrieren sich auf die Leitstelle“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Osnabrück, Alexander Retemeyer. „Wir ermitteln wegen fahrlässiger Tötung von 23 Menschen.“ Normalerweise darf der Transrapid erst losfahren, wenn die Leitstellenmitarbeiter, das sind Techniker oder Ingenieure, die in einem Kontrollhäuschen sitzen, das Startzeichen geben. Und zwar, nachdem sie per Funk informiert sind, dass das Wartungsfahrzeug in der Halle ist, und sich zudem per Augenschein vergewissert haben. Am Samstagabend sagte Retemeyer, die Leitstelle hätte von dem Hindernis auf der Strecke wissen können. „Im Leitstandsbuch ist handschriftlich vermerkt, dass das Sonderfahrzeug an der dafür vorgesehenen Stelle auf der Strecke stand“. Zudem sei der Standort des Fahrzeugs auf einem Monitor im Leitstand sichtbar gewesen.“Das Fahrzeug, auf das später der Transrapid aufprallte,stand also rechtmäßig an der dafür vorgesehenen Stelle und wo es in vergleichbaren Situationen auch immer steht, bevor es die Freigabe von der Leitstelle erhält, die Strecke zu verlassen“, erklärte Retemeyer. „Es ist nun zu klären, warum die Mitarbeiter des Leitstandes die Fahrt des Transrapids freigaben, obwohl das Hindernis noch auf der Strecke war.“ Die Zugführer an Bord der Magnetschwebebahn hätten allein nämlich nicht den Zug in Bewegung setzen können.

Mehr als zehn Jahre Erfahrung hatten die zwei Mitarbeiter der Leitstelle. Beide werden psychologisch betreut, sind noch nicht vernehmungsfähig. „Eine Notbremsung wurde registriert“, sagt Retemeyer. Zug und Wartungsfahrzeug stehen auf gerader Strecke, gut sichtbar. Weshalb hat das Bremsmanöver nicht gereicht? Das müsse noch ermittelt werden.

Was, wenn dies keine Teststrecke gewesen wäre?, fragen sich die Menschen. Muss man stets mit so einem Zusammenstoß rechnen? Seelsorger begleiten die Angehörigen, auch zur Identifizierung der Leichen. Ihre Gesichter, blass, steinern, verraten das Leid. „Etwas Vergleichbares habe ich nicht gesehen“, sagt ein Pfarrer.

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